Russland

Wirken die Wirtschaftssanktionen?

07:49 Minuten
Blick auf das Fabriksgelände des russischen Autoherstellers Awtowas, der auch die Automarke Lada herstellt.
Von den Sanktionen ist z.B. der russische Lada-Hersteller Awtowas betroffen. © imago images / SNA / Dmitriy Kasa
Von Florian Kellermann |
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Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagierten westliche Staaten mit scharfen Sanktionen. Bisher hat die russische Wirtschaft diese besser weggesteckt, als wohl so mancher gedachte hätte. Aber wie lange funktioniert das noch?
Nach dem 24. Februar, als russische Raketen bis in die Westukraine flogen, ging alles ganz schnell. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte:
„Mit unseren Verbündeten und Partnern in der Europäischen Union, in der NATO und der G7 haben wir uns auf ein ganzes Paket von Wirtschaftssanktionen verständigt. Unser Ziel: Der russischen Führung klarzumachen – für diese Aggression wird sie einen hohen Preis zahlen.“
Doch ist das wirklich passiert? Nein, meint zumindest der russische Präsident Wladimir Putin. Vor zwei Wochen sagte er:
„Seht her: Unsere Inflation in diesem Jahr wird zwölf Prozent betragen. Und sie geht nach und nach zurück. In den Ländern der Europäischen Union mit einer hoch entwickelten Wirtschaft ist die Inflation höher: in den Niederlanden 17 Prozent, in manch anderem Land 21 oder 23 Prozent, doppelt so hoch wie bei uns.“

Wie stabil ist die Wirtschaft wirklich?

Tatsächlich scheint die russische Wirtschaft auf den ersten Blick weiterhin einigermaßen stabil. Der Rubel, der nach Kriegsbeginn stark abstürzte, hat sich gegenüber dem Euro und dem US-Dollar längst wieder erholt.
Stabil scheint auch das Finanzsystem. Die EU und die USA froren die Devisenreserven der Nationalbank, die sich auf Konten im Ausland befanden, ein. Auch die Geschäftsbanken nahmen sie ins Visier. Die meisten dürfen nicht mehr am internationalen Zahlungssystem SWIFT teilnehmen.
Das alles habe zu einer historisch einmaligen Konstellation geführt, sagt der Ökonom Wladimir Klimanow von der Russischen Akademie für Nationalökonomie und Öffentlichen Dienst in Moskau:
„Russland erklärt seine Bereitschaft, seine Auslandsschulden zu bedienen. Aber die Sanktionen gegen die Finanzinfrastruktur erlauben das nicht mehr. Daher kam im Sommer die Nachricht, dass Russland technisch zahlungsunfähig ist.“
Zumindest langfristig werde sich das negativ auf die russische Wirtschaft auswirken, sagt Klimanow. Denn das Land verliere an Kreditwürdigkeit. Firmen könnten sich nur noch schwer Kapital im Ausland beschaffen.

Staatsdefizit – trotz des hohen Ölpreises

Erste Probleme werden bereits jetzt beim Staatshaushalt sichtbar. Er weist seit Juni ein Defizit auf – trotz des hohen Ölpreises. Und die Regierung muss inzwischen den Rentenfonds angreifen, um den Krieg zu finanzieren.
Neben den Finanzsanktionen verhängten die Nato-Länder Handelssanktionen. Bestimmte Waren dürfen nicht mehr nach Russland exportiert werden, so Mikrochips, aber auch Stahl und Beton. Das spürt auch Denis, ein Immobilieninvestor aus Wladiwostok – im russischen Fernen Osten:
„Wir bauen Cottages, also Einfamilienhäuser – entweder im Auftrag oder um sie weiterzuverkaufen. Einige japanische Firmen haben begonnen, bestimmte Materialien nicht mehr zu liefern, etwa für die Verkleidung der Wände. Trotzdem kann man manche noch über Umwege einführen. Aber das kostet dann erheblich mehr.“
Insgesamt sei der Preis für ein Einfamilienhaus deshalb um bis zu 20 Prozent gestiegen, sagt der Immobilieninvestor. Außerdem dauere es jetzt vier Monate statt früher einen Monat, um die Baustoffe zu beschaffen.

Hersteller haben den russischen Markt verlassen

Andere, auch mit dem Krieg verbundene Faktoren, erschweren das Geschäft zusätzlich. Viele westliche Hersteller haben den russischen Markt freiwillig verlassen. Inzwischen betrifft dies mehr als 1000 westliche Firmen, wie aus einer Liste der „Yale School of Management“ hervorgeht. Auch die Unternehmen, die weiterhin nach Russland liefern wollen, können das nicht mehr so einfach tun, sagt Denis:
„Meine Frau ist in der Logistikbranche. Einige japanische Schiffstransportunternehmen fahren jetzt nicht mehr direkt Wladiwostok an, obwohl das einer der größten Häfen in Russland ist. Einige Waren kommen jetzt über Südkorea. Die Lieferketten sind länger geworden, und der Transport damit teurer. Man kann auch nicht mehr so einfach Geld nach Japan überweisen.“
Für Denis kommt hinzu, dass die Nachfrage nach Immobilien eingebrochen ist. Die Menschen seien tief verunsichert, sagt er – vor allem seit Präsident Putin im September eine Teilmobilmachung verkündete. Die Sanktionen legten offen, wie sehr die russische Wirtschaft mit dem Westen verflochten sei, so der Ökonom Wladimir Klimanow:
„Niemand hätte gedacht, dass bei der Herstellung von Büchern Importartikel eine so große Rolle spielen und praktisch nicht zu ersetzen sind. Das gilt für die Farbe. Und das gilt für einige Maschinen. Wenn sie beschädigt sind, können die Hersteller keine Ersatzteile beschaffen. Selbst in der Landwirtschaft gibt es Defizite bei bestimmten Sorten von Samen.“

Geschlossene Automobilfirmen

Noch drastischer sind die Folgen in der Automobilproduktion. Die deutschen, französischen und japanischen Hersteller haben ihre Werke geschlossen. Und die russischen Hersteller hatten bisher viele Komponenten aus dem Ausland bezogen, sagt Sergej Aslanjan, Journalist und Automobil-Experte:
„Wenn man bei Awtowas, also dem Lada-Hersteller, ein Kraftstoffsystem für ein neues Modell brauchte – oder ein neues Getriebe, dann hat man das einfach im Ausland eingekauft. Warum soll man etwa ein eigenes Antiblockiersystem erfinden, wenn es doch eines von Bosch gibt? Jetzt müssten wir eigentlich alles selbst erfinden, aber das klappt nicht. Es gibt die entsprechenden Ingenieure nicht, und es fehlt an der notwendigen Technologie.“
Denn auch chinesische Hersteller füllten die Lücke nicht, sagt Sergej Aslanjan. Die wüssten genau, dass sie dann Probleme mit den USA und mit der Europäischen Union bekämen. China hält sich auch in anderen Branchen damit zurück, Russland zur Seite zu springen.
Bei den Fluggesellschaften führt dies dazu, dass sie schon seit Monaten defekte Flugzeuge von Boeing und Airbus zerlegen. Nur so bekommen sie die nötigen Ersatzteile, um andere defekte Maschinen zu reparieren. Die Wirkung der Sanktionen wird also in vielen Bereichen langsam aber sicher deutlich.

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Doch ob das die russische Regierung dazu bringen wird, den Krieg zu beenden? Der russische Ökonom Oleg Izchoki, Professor an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, ist skeptisch. Dem unabhängigen Fernsehsender „Doschd“ sagte er:
„Der Fortgang des Kriegs wird erst einmal weiter an der Front entschieden werden. Probleme, den Haushalt auszugleichen, wird Russland erst im kommenden Jahr bekommen. Ich schätze, dass die Wirtschaft zumindest in den kommenden sechs Monaten nicht der entscheidende Faktor sein wird, der Putin dazu zwingen könnte, seine Kriegsstrategie zu ändern.“
Dann aber könnte sich nach und nach das Öl-Embargo auswirken, das die EU vom 5. Dezember an verhängt hat, sagt Izchoki. Für die russische Wirtschaft werde es zur Überlebensfrage, wie viel Öl Russland dann auf dem Weltmarkt noch verkaufen kann – und zu welchem Preis.
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