Friedensforscher zum Ukraine-Krieg

Der Westen muss einen kühlen Kopf bewahren

15:57 Minuten
Eine Totale zeigt den Sitzungssaal des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
Sitzung des Sicherheitsrats und Abstimmung über die Resolution zur russischen Aggression gegen die Ukraine im UN-Hauptquartier. © picture alliance / Pacific Press / Kev Radin
Moderation: Marietta Schwarz · 27.02.2022
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Putins Drohung mit Nuklearstreitkräften ist eine neue Eskalationsstufe. Friedensforscher Ulrich Kühn sagt, der Westen müsse Putin nun eine gesichtswahrende Lösung anbieten. Historiker Ewgeniy Kasakow berichtet von steigendem Druck auf Putin in Russland.
Der Friedensforscher und Rüstungsexperte Ulrich Kühn von der Uni Hamburg bewertet die aktuelle Lage im Ukraine-Krieg als äußerst gefährlich.  
Der russische Präsident gehe mit völkischen Slogans gegen ein Nachbarvolk vor und bombardiere Zivilisten. Es sei nicht mehr klar, ob Putin geistig verwirrt oder vielleicht sogar verrückt geworden sei, sagt Kühn.

Gesichtswahrende Lösung für Putin

Der Westen müsse in der schwierigen Situation darüber nachdenken, wie man Putin „eine irgendwie geartete gesichtswahrende Lösung anbieten“ könne. Putin und sein Regime seien sehr stark in die Ecke gedrängt. „Und ich befürchte, dass sie unter diesen Voraussetzungen etwas noch viel Schlimmeres machen könnten.“ Dennoch glaube er nicht, „dass Putin in nächster Zeit Nuklearwaffen einsetzen wird oder dieses plant.“
Als mögliches Angebot an Russlands Machthaber sieht der Experte ein Waffenstillstandsabkommen. Man könne auch eine Rücknahme der Sanktionen gegen Russland mit einer politischen Gegenleistung verbinden, wie etwa der komplette Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Es sei eine ganz schwierige Situation, so Kühn. „Und ich hoffe, dass in den nächsten Tagen wirklich kühle Köpfe auf der westlichen Seite überwiegen werden.“

Eine neue Friedensbewegung

In der Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, Waffen an die Ukraine zu liefern, sieht Kühn einen Gesinnungswandel auf breiter Ebene. Die pazifistische Gesellschaft, die in Westdeutschland viele Jahrzehnte durch die USA geschützt worden sei, gebe es nicht mehr.
Die Jüngeren sähe es heute als ihre Aufgabe an, bestimmte Werte wie etwa Menschenrechte oder Gleichberechtigung zu schützen. Dazu gehöre auch, dass man sich für globale Probleme wie den Klimawandel einsetze. Entsprechend stelle auch die „neue Friedensbewegung“ radikalere Forderungen.

5.600 Festnahmen bei Anti-Kriegsdemos

Widerstand gegen Putins Einmarsch in der Ukraine formiert sich auch in Russland, berichtet der Historiker Ewgeniy Kasakow. Seit Kriegsausbruch seien dort mehr als 5.600 Menschen festgenommen worden, weil sie gegen den Krieg protestierten.

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Da man sich in Russland strafbar mache, wenn man an einer nicht genehmigten Demonstration teilnehme, gäbe es vielfach aber auch andere Formen des Protestes. Eine Online-Petition zur sofortigen Beendigung des Krieges hätten innerhalb von 24 Stunden mehr als 400.000 Menschen unterzeichnet. Viele würden in sozialen Netzwerken etwas posten, um zu demonstrieren, oder hätten Anti-Kriegsaufrufe von Lehrern oder Ärzten unterschrieben. Einige Menschen würden einzeln demonstrieren, um das Demonstrationsverbot zu umgehen.

Widerstand in der Duma wächst

Gegenwind erhält Putin nach Kasakows Beobachtung zunehmend auch aus Duma. Es würden dort immer mehr Stimmen laut, die sich gegen den Krieg „in diesem Maßstab“ aussprechen und auf dessen baldige Beendigung hinarbeiten würden.
(tmk)
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