"Es gab nicht diese irre Trennung"

Was bedeutete das Ende des Ostblocks für die Menschen in Russland? Für den Theaterdramaturgen Dima Lesnikow war der Zusammenbruch der Sowjetunion keine Katastrophe - trotzdem vermisst er einige Dinge.
Als in Berlin die Mauer geöffnet wurde, war Dima Lesnikow 16 Jahre alt und ging noch zur Schule. Damals lebte er, wie heute, in Koroljow, einer Stadt mit rund 150.000 Einwohnern nicht weit von Moskau.
"Ich habe, glaube ich, in den Abendnachrichten vom Mauerfall erfahren. Offiziell wurde das Ereignis nicht als Niederlage des sozialistischen Blocks empfunden. Alle sagten, das sei wohl ein Weg zur Erneuerung des Sozialismus."
Dima war schon damals politisch interessiert, traf sich mit Anarchisten. In Dimas Alltag machten sich die weltpolitischen Veränderungen erst bemerkbar, als zwei Jahre später die Sowjetunion auseinanderbrach.
"Meine Eltern haben in der Raketenindustrie gearbeitet. Die Programme wurden immer langsamer, es gab keine Prämien mehr, schließlich wurden ganze Programme gestrichen. Ein Grund war, dass die Ausrüstung für die Satelliten bis dahin in Lettland hergestellt wurde, Lettland lieferte nun nicht mehr. In der Sowjetunion war es so, dass zum Beispiel Autos in Russland hergestellt wurden, Autoreifen aber in Weißrussland. Damals brach die Verbindung zwischen den Fabriken ab. Da wurde ein riesiger Mechanismus mit dem Namen Sowjetunion auseinander dividiert. Das brachte Probleme mit sich. Auch leere Regale in den Geschäften."
"Für mich war das keine Katastrophe"
Russlands Präsident, Wladimir Putin, hat das Ende der Sowjetunion einmal als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
"Damals ist ein Imperium auseinandergebrochen. Wenn für Putin das Imperium ein Ideal ist, dann ist das für ihn natürlich eine Katastrophe. Ich bin aber ein Anhänger föderaler Strukturen, vor allem parlamentarischer. Daher war das für mich keine Katastrophe."
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen mehr Ausländer aus dem Westen nach Moskau. Dima studierte damals Architektur und war genauso neugierig wie die Westler, die nach Moskau kamen. Er ging für ein paar Monate nach Spanien. Heute arbeitet er als Dramaturg an verschiedenen Moskauer Bühnen.
"Es verletzt mich, wenn die Leute etwas über die Sowjetunion sagen, ohne sich wirklich auszukennen. Das betrifft unsere Leute genauso wie Deutsche, Letten, Spanier oder alle anderen. Kürzlich hat jemand gesagt, in der Sowjetunion habe man nicht ins Ausland fahren dürfen, gar nicht. Das stimmt nicht. Es war nur kompliziert. Zuerst musste man ein sozialistisches Bruderland besuchen. Meine Schwester war in Bulgarien. Dann konnte sie in die DDR. Dann war sie in der Bundesrepublik. Mit einer organisierten Reise, natürlich. Die war sehr billig und von der Gewerkschaft bezahlt."
"Es gab nicht diese irre Trennung"
Dima vermisst vieles aus der Sowjetunion.
"Die unglaubliche soziale Absicherung. Und die sehr guten zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir konnten abends zu Milizionären gehen und sagen: Wir haben kein Geld für die Metro. Sie haben uns mit ihrem Wagen nach Hause gefahren. Natürlich gab es Privilegierte und Neid. Aber wenn in der Nachbarschaft Kosmonauten wohnten, Gagarin oder sonst wer, konnte man mit denen reden. Die lebten in einem normalen Haus. Natürlich stand ein gutes Auto, ein Wolga, vor der Tür, aber die soziale Kommunikation funktionierte viel besser als heute. Es gab nicht diese irre Trennung in die reiche Welt des Kreml und der Oligarchen mit ihren Villen und die Welt der normalen Leute, die mit den Reichen nie zu tun haben."
Wladimir Putin will Russland wieder zu einer Weltmacht erheben. Gegenüber den Nachbarn, ehemaligen Sowjetrepubliken, setzt er auf das Recht des Stärkeren. Dramaturg Dima Lesnikow sieht das mit gemischten Gefühlen.
"Natürlich möchte ich, dass mein Land stark und reich ist. Aber ich möchte, dass die Leute mich respektieren, nicht, dass sie Angst vor mir haben. Das ist ein Unterschied."