Russland mit Humor verstehen

Viktor Jerofejew gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller Russlands. Neben seinen Romanen wurde er mit essayistischen Analysen des heutigen Russlands bekannt. Der Band "Russische Apokalypse" bündelt die Essays, in denen er mit bitterbösem Humor die groteske, surreale, tragikkomische Realität des Landes reflektiert.
"Noch nie war Russland in Europa und in der ganzen Welt so einsam wie jetzt."

Viktor Jerofejew gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller Russlands unserer Tage. Sein Debütroman "Die Moskauer Schönheit", 1989 erschienen, wurde in 27 Sprachen übersetzt. Weitere Romane folgten, "Der gute Stalin" oder "Das Leben mit einem Idioten", in denen der Diplomatensohn Jerofejew, Jahrgang 1947, meist autobiographisch die Stalin-Zeit und deren Folgen aufgearbeitet hat. Neben seiner Arbeit als Romancier wurde Jerofejew international berühmt für seine journalistischen und essayistischen Analysen des modernen Russland. Er schreibt regelmäßig für den "New Yorker", u.a. auch für die "Die Zeit" und die "FAZ". Nun ist ein neues Buch von Jerofejew erschienen, sein Titel: "Russische Apokalypse".

Die insgesamt 45 Essays hat Jerofejew in vier Kapitel aufgeteilt. Im ersten Kapitel "Auf dem Schlachtfeld der russischen Flüche" geht es u.a. um Sprache, Literatur, Humor, Chaos und Geld. In dem zweiten Kapitel "Warum russische Schönheiten immer billiger werden" widmet sich Jerofejew in erster Linie der russischen Frau, dem Sex und nebenbei auch den Männern. Kapitel drei bietet eine Sammlung von Essays zu grundsätzlichen philosophischen Fragen wie Freundschaft, Liebe und Revolution, -Kapitelüberschrift: "Sprache der Offenbarung". Und in der vierten Abteilung gibt Jerofejew mit Hilfe eines sprechenden Pferdes eine Analyse der politischen Situation Russlands heute und seiner Zukunft. Das gipfelt in einem Essay, den Jerofejew als offenen Brief an Ministerpräsident Putin adressiert hat, mit dem Titel "Die Schriftsteller auf dem Klo kaltmachen" (ein Zitat Putins).

Politische Analyse und Satire gehen bei Jerofejew Hand in Hand und ergeben einen neuen Subtext. Mit bitterböse zynischem, verzweifeltem Humor reflektiert Jerofejew die groteske, surreale, tragikkomische Realität. Sagt eine Käuferin in einem Porzellangeschäft: "Ich hätte gerne diese Figur von Präsident Putin", antwortet die Verkäuferin: "Das ist aber die Nachbildung einer Ratte!" "Gut", sagt die Käuferin, "dann geben Sie mir bitte zwei davon!"
Jerofejew darf es sich erlauben, offene Briefe an Putin zu schreiben. Er hat den Status jenes "heiligen Narren", den es in Russland schon bei den Zaren gab.

"Russische Apokalypse" dürfte auch den Letzten davon überzeugen, dass Jerofejew zu den Großen der Weltliteratur gehört: Er schreibt frech und modern, ist ein Meister des Aphorismus: "Die marxistische Philosophie in der Sowjetunion hielt die Fellatio ebenso wie den Tod für einen Widerspruch in sich." Intellektuelle Mitarbeit des Lesers erhöht den Spaß. Außerdem ist Jerofejew auch ein Meister der Metapher. Über den Schriftsteller Tschechow schreibt er: Der "beginnt Frauenschicksale abzuholzen wie einen Kirschgarten", oder er "schmeißt seine Umgebung in Gestalt von Prototypen in die Backröhre seiner Erzählungen".

"Russische Apokalypse" lesen, heißt Russland verstehen - spannender und fesselnder als jeder Krimi, von der ersten bis zur letzten Zeile.

Rezensiert von Lutz Bunk

Viktor Jerofejew, Russische Apokalypse
Aus dem Russischen übersetzt von Beate Rausch
Berlin Verlag, Berlin 2009
255 Seiten, 22.00 €