Russland

Es gibt auch "Deutschland-Versteher" in Moskau

Wolfgang Gehrcke
Wolfgang Gehrcke ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken. © dpa / picture alliance / Bodo Marks
Wolfgang Gehrcke im Gespräch mit André Hatting · 10.04.2014
Der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke ist gegen eine politische Isolierung Russlands. Er halte gar nichts von den Debatten im Europarat, die Mitgliedsrechte Russlands einzuschränken.
André Hatting: Für die Übergangsregierung in Kiew und für den Westen ist die Sache klar: Russland will die Ukraine spalten, Präsident Putin verfährt nach dem Machiavelli-Motto "Teile und herrsche", deswegen würden russische Provokateure in die Ostukraine reisen, um dort Stimmung anzuheizen. Dann kann Putin seine Truppen schicken, um die angeblich in Lebensgefahr schwebenden Russen zu retten. So weit, so westlich.
Wir wechseln jetzt mal die Perspektive mit Wolfgang Gehrcke, er ist Fraktionsvize der Linksfraktion im Bundestag und deren außenpolitischer Sprecher. Er kommt gerade von einer Russland-Reise zurück, hat in Moskau mit Parlamentariern und Intellektuellen über die Entwicklung in der Ukraine gesprochen. Guten Morgen, Herr Gehrcke!
Wolfgang Gehrcke: Schönen guten Morgen!
Hatting: Lassen Sie mich raten: Für die meisten Duma-Abgeordneten ist der Westen der Aggressor, richtig?
Gehrcke: Ja, ich finde, man muss immer nachdenklich sein in den Vergleichen. Ich habe nie die russische Propaganda geglaubt, dass auf dem Maidan alles westliche Provokateure das anstacheln, und ich glaube auch nicht die westliche Propaganda, dass in der Ostukraine es alles von Russland eingeschleuste Provokateure sind. Man kann nur anstacheln, was schon da ist und wo es Probleme gibt, und das will ich erst mal unterstellen. Und ich bin nach Moskau zu fahren, um mehr zu verstehen, was in Russland passiert, das ist mir sehr wichtig. Und es gibt ja jetzt die Russland-Versteher, da rechne ich mich dazu, und ich habe in Moskau gefragt, ob es auch westliche Versteher gibt, also Deutschland-Versteher, die wollte ich gerne kennen lernen, im Außenministerium und im Parlament, und das war doch ziemlich spannend.
Hatting: Das heißt, Sie haben dort welche kennengelernt?
Gehrcke: Ja. Also mein Eindruck ist von den Gesprächen, die ich geführt habe mit Abgeordneten der Fraktion Gerechtes Russland, die sich selbst als Sozialdemokraten bezeichnen – ich würde diese Bezeichnung nicht wählen wollen –, und der stärksten Oppositionsfraktion, den Kommunisten, die immerhin den stellvertretenden Parlamentspräsidenten stellen und den stellvertretenden Sprecher des Auswärtigen Ausschusses: Dort ist mehr eine Stimmung, Konflikte nicht weiter anzuheizen, sondern zu dämpfen. Und das finde ich schon interessant. Wenn man genau hinguckt, merkt man, dass eine ganze Reihe Vorschläge aus dem Westen, gerade auch von Außenminister Steinmeier, in Moskau mittlerweile aufgegriffen worden sind und ausgestaltet werden müssen.
Hatting: Aber den Konflikt anheizen will der Westen, zumindest offiziell, ja doch eigentlich auch nicht.
Gehrcke: Nein, nein. Man muss sich ja in solchen Situationen überlegen: Isoliert man Russland weiter oder will Russland weiter isolieren? Halte ich gar nichts von den Debatten im Europarat derzeitig, Russland nur eingeschränkte Rechte weiter zu verleihen. Oder will man durch unwahrscheinlich viele Gesprächskontakte ein besseres Klima schaffen? Und ich habe schon den Eindruck, dass viele Abgeordnete jetzt nach Moskau fahren, dass man dort ein bisschen in der Schlange steht, auch sprechen zu können. Das halte ich für effektiver.
Und wenn Sie mal schauen, der Vorschlag, eine Kontaktgruppe einzurichten, ist ja erst von Moskau nicht besonders freundlich aufgenommen worden – das ist jetzt zwischen den beiden Außenministern USA und Russland vereinbart. Es ist auch klar, dass die Regierung in Kiew, wie immer man die rechtlich bezeichnet, in dieser Kontaktgruppe sein wird. Und für mich völlig überraschend ist plötzlich vorgeschlagen von Moskau, dass die drei Außenminister Deutschland, Frankreich und Polen, die das Abkommen mit ausgehandelt haben in Kiew, ebenfalls dieser Kontaktgruppe angehören sollen. Das heißt, der deutsche Außenminister muss über die Zukunft der Ukraine mit Russland, USA und der Ukraine selbst verhandeln. Das finde ich einen ganz wichtigen Schritt.
"Putin hat eine Zustimmungsrate von 80 Prozent"
Hatting: Ist das auch die Meinung der Abgeordneten der Partei Einiges Russland, also Putins Partei?
Gehrcke: Na, die sind etwas bedeckter. Dass die Putin-Partei hinter Putin steht, das verstehe ich. Vielleicht ist das Problem, dass Putin mittlerweile eine Zustimmungsrate in Russland hat, die weit über 80 Prozent liegt. Selbst linke kritische Intellektuelle haben ja gesagt: Geht etwas vorsichtiger mit dem Putin um, das ist ein janusköpfiger Politiker. Er dämpft doch etwas einen überbordenden Nationalismus, den man sonst nicht mehr in den Griff kriegt, der ist nicht interessiert an bewaffneter, gewaltsamer Auseinandersetzung in der Ostukraine, und das wird in Russland derzeitig kein anderer können. Deswegen müsst ihr ihn kritisieren und gleichzeitig sehen, dass er eine gewisse Versicherung gegen eine weitere Zuspitzung ist. Das finde ich schon eine ganz interessante Beurteilung, ist schwer einzulösen, aber eine interessante und wichtige Beurteilung, die man aufnehmen muss.
Hatting: Die EU und die USA wollen sich mit Russland und der Ukraine an einen Tisch setzen, Sie haben das schon angedeutet, Herr Gehrcke. Das soll kommende Woche passieren. Welche Erwartungen an diese Gespräche haben denn die Politiker, die Sie getroffen haben?
Gehrcke: Na, wir sind mal so einen Katalog durchgegangen. Das ist natürlich nicht meine Sache, ich bin Oppositionspolitiker hier aus Deutschland, ich habe Fragen aufgeworfen, die aus meiner Sicht behandelt werden müssen. Die erste Frage wird sein: Spricht man über eine neue ukrainische Verfassung und wie soll eine solche Verfassung zustande kommen? Das sagen ja auch die ukrainischen Politiker, dass sie dort eine Regelung wollen. Da drüber muss man sprechen. Was werden wichtige Punkte in einer solchen Verfassung? Der Vorschlag aus Moskau, dass die Ukraine ein föderatives System sich zulegen soll, finde ich vernünftig.
Man muss nur ausführen, was föderativ ist – Abspaltung oder Kooperation? Soll das deutsche System Muster werden oder andere? Es ist natürlich die Frage, dass Moskau wünscht, ich übrigens auch, dass die Ukraine blockfrei bleibt, also nicht der NATO beitritt, sich dazu auch verpflichtet, blockfrei zu bleiben. Der Umgang mit rechtsextremistischen und neofaschistischen Parteien muss geregelt werden. Ich habe in Moskau diskutiert, ob man nicht eine europaweite Deklaration gegen Rechtspopulismus und Neofaschismus in Gang setzen soll. Solche Parteien sind natürlich für alle völlig indiskutabel und unakzeptabel.
Über solche Fragen wird man in Moskau reden und da würde ich denke, dass man drüber reden sollte. Also ich bin weggefahren mit einem Katalog, wo ich meine, dass wir auch im Bundestag drüber diskutieren sollten, und ein bisschen die Erfahrung ... Das ist jetzt unsere Schwierigkeit, alle sagen: Ihr habt doch die Erfahrung der deutschen Einheit, warum stellt ihr die nicht zur Verfügung? Und diese Frage konnte ich schwer beantworten.
Hatting: Wolfgang Gehrcke, Fraktionsvize der Linken im Bundestag und deren außenpolitischer Sprecher. Mit ihm habe ich über seine Begegnungen mit Duma-Abgeordneten in Moskau gesprochen. Danke dafür, Herr Gehrcke!
Gehrcke: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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