Russland

Chodorkowski muss fortsetzen, was er begonnen hat

Kremlgegner Michail Chodorkowski steht während eines Prozesses im Gerichtssaal und winkt.
Der Kremlgegner Michail Chodorkowski wurde nach zehn Jahren freigelassen. © dpa/Tass/Stanislav
Von Sabine Adler · 20.12.2013
Die lange Haft hat den Kremlkritiker Michail Chodorkowski nicht brechen können. Nun kann er wieder den Kampf für eine demokratische Gesellschaft in Russland unterstützen, meint Sabine Adler.
Michail Chodorkowskis erster Weg in Freiheit führt nach Berlin. Hier wurde seine Mutter medizinisch behandelt. Krank hat sie vermutlich nicht nur das Alter gemacht, sondern ein System, das immer noch mit Lagerhaft arbeitet wie unter dem Zaren und danach dem Diktator Stalin, in einem Land, das ehemalige Sowjetrepubliken mit Wirtschaftskriegen zur Gefolgschaft zwingt. Das jeden innenpolitischen Gegner von Präsident Putin wenn nicht wirtschaftlich, dann spätestens juristisch zur Strecke bringt, ein Land, in dem Homosexuelle verfolgt werden, als seien sie Kriminelle.
Russland, das zu den olympischen Winterspielen einlädt, bekommt ganz sicher keine Medaillen in Sympathie, Weltoffenheit, Toleranz, Rechtstaatlichkeit. Seitdem Putin Ernst macht mit der Eurasischen Zollunion, seitdem die Annäherung an Europa für den Herrscher im Kreml Schnee von vorgestern ist, seitdem lässt er alle Mühen um einen demokratischen Anschein fahren. Putin gefällt sich mehr und mehr in der Rolle des Zaren.
Vergessen wir dennoch nicht, das Russland nicht aus 140 Millionen Putins besteht. Er glaubt, sein Land auf diese Weise zu alter Stärke zurückführen zu können. Er begreift nicht, dass territoriale Größe eine überholte Kategorie ist, auf die es heute in Zeiten offener Grenzen immer weniger ankommt.
Hätte Chodorkowski seine Reise zehn Jahre früher angetreten, wäre dem reichsten Mann Russlands und seiner Familie eine Menge erspart geblieben. Er hätte wie vor ihm Boris Beresowski, Wladimir Gussinski und etliche andere Oligarchen sein Vermögen, seine Familie und sich selbst in Sicherheit bringen können. Doch Chodorkowski hat sich stark genug gefühlt für eine Auseinandersetzung mit dem System Putin.
Glücklicherweise ist es dem Autokraten nicht gelungen, Chodorkowski zu brechen. Der Mann, der heute das Lager in Karelien verlassen hat, ist der moralische Sieger. Nicht nur, weil er sich seine Würde bewahrte. Sondern auch, weil er, der selbst ein Tiger im Raubtierkapitalismus nach der Perestroika war, Russland zivilisieren wollte. Er wollte der gelenkten Demokratie, der gesteuerten Justiz die Stirn bieten.
Er hatte bereits damit begonnen.
Mit transparenter Unternehmensführung, einer Stärkung der Zivilgesellschaft. Chodorkowski wollte ein guter Russe werden, einer der sein Land nicht nur ausraubt und sich davon macht, sondern aufbauen hilft. Es sollte nicht sein.
Wenn er jetzt nach Deutschland kommt, stellt sich die Frage: Was tun?
Wird der politische Häftling Privatier, was ihm nicht zu verdenken wäre. Wird er sich zurückziehen, weil er seine Kraft, auch seine Visionen für ein anderes Russland nicht genügen? Dann hätte er vor zehn Jahren kommen sollen. Chodorkowski wird in Russland gebraucht. Er muss fortsetzen, was er begonnen hat, nämlich für eine demokratische Gesellschaft kämpfen, die Bürger gestalten und in der sie das Sagen haben. Dazu braucht er nicht anwesend sein, sonst landet er wahrscheinlich nur erneut im Gefängnis, aber er muss den Prozess sichtbar von außen unterstützen. In Russland hört man auf Märtyrer.
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