Russischer Sommer in Baden-Baden
Zwei Opern, eine Vorstellung: Tschaikowskys Einakter "Jolanthe" und Rachmaninows "Aleko" werden zu den Sommerfestspielen Baden-Baden direkt nacheinander gezeigt. Star des Abends ist die russische Opernsängerin Anna Netrebko in der Rolle eines blinden Mädchens, das seine Sehkraft zurückgewinnt.
Auf den großen, lang erwarteten Auftritt der Primadonna muss man im Baden-Badener Festspielhaus zwei Stunden warten, denn Peter Tschaikowskys lyrischer Oper in einem Akt "Jolanthe", in der Anna Netrebko die Titelpartie singt, ist zunächst Sergej Rachmaninows Oper "Aleko" vorgeschaltet. Rachmaninows Einakter ist nämlich keineswegs bloß Vorprogramm. Zwischen 1890 und 1900 lagen Operneinakter im Trend, und auch Rachmaninows in zweieinhalb Wochen für das Moskauer Konservatorium als Examensarbeit komponierte Oper hat mit Mascagnis drei Jahre zuvor uraufgeführten, bis heute überaus erfolgreichen"Cavalleria rusticana" nicht nur die sinfonische Struktur, das Intermezzo beispielsweise, gemeinsam, sondern auch ein ähnliches Thema.
Der Held Aleko, der sich aus Liebe zu Zemfira den Zigeunern anschließt, kann schließlich deren freie Lebensweise, vor allem eine kleine Affäre seiner Geliebten mit einem jungen Zigeuner, nicht ertragen und wird gewalttätig. Aus Eifersucht mordet er Geliebte und Liebhaber und wird darauf als Mörder von der Gemeinschaft der Zigeuner ausgestoßen. Lyrische Aussprüche, Balladen über die Vorgeschichte und Tänze bestimmen die ausdrucksstarke und doch auch zarte Komposition nach einer Novelle Puschkins - eindrucksvoll von Veronika Dijoeva (Zelmira) und John Relyea (Aleko) vorgeführt.
Vom St. Petersburger Mariinsky-Theater befürchtet man in der Regel altbackene, ein wenig antiquierte Inszenierungen. Doch Regisseur Mariusz Trelinsky verzichtet auf Zigeunerfolklore und aktualisiert im Bühnenbild von Boris Kudlička das Geschehen vor einem großen Gitter, davor zahlreiche weiße Plastikhocker. Der eigentlichen Handlung setzt er ein Hochzeitsritual mit Fußwaschung vor, durch die eine Braut in die Ehe geführt werden soll. Auf diese Weise kann Trelinsky auch "Aleko" mit Tschaikowskys "Jolanthe" - nicht völlig zwingend freilich - verbinden.
Denn nicht im Mittelalter, im Burgund des 15. Jahrhunderts, ist das symbolistische Geschehen nach einem Drama des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz in dieser Inszenierung angesiedelt, sondern in einem mit Hirschgeweihen ausgestatten Krankenzimmer. Jolanthe ist blind, doch weiß nichts von ihrem Gebrechen, nichts von Farbe und Licht - bis zu ihrer Heilung im Finale. Tschaikowsky illustriert die psychische Entwicklung eines jungen Mädchens, das Entstehen ihrer Liebesfähigkeit. Der Operneinakter ist also keine Handlung mit dramatischem Konflikt, sondern ein psychischer Zustand.
Auch wen man dem Starrummel in der Boulevardpresse skeptisch gegenübersteht, lässt man sich dennoch schnell von Anna Netrebkos jugendlichem Sopran und von ihrer - gerade in ihrer mädchenhaften Bescheidenheit - großen Intensität und Bühnenpräsenz gefangen nehmen. Jolanthe - eine kindliche Heilige. Den Bann bricht aber Piotr Beczala als burgundischer Ritter, dessen strahlenden Tenor man schwerlich widerstehen kann, noch dazu, wo Peter Illitsch Tschaikowsky so zarte lyrische, aber auch rührselige pathetische Bravourstücke für ihn komponiert hat. Durch Beczala vor allem wird der Abend plötzlich zum großen Festspielgenuss.
Der Hauptverdienst liegt aber sicherlich bei Valery Gergiev, ein Dirigent, der nicht in erster Linie intellektuell interpretiert oder strukturiert, sondern ein Musiker, der den weichen Klangkörper des Mariinsky-Orchesters temperamentvoll, voller schwelgerischem Gefühl, voll lyrischer Melancholie zur Geltung bringt. Gergiev hat ja seit 1998, seit der Gründung, das Programm des Festspielhauses geprägt. Und wenn die zwischen Baden-Baden und Russland auch schon eine lange Tradition, zu dieser Geschichte gehört nun sicherlich auch die Koproduktion zwischen dem Mariinsky-Theater und dem Festspielhaus und die damit verbundene Wiederbelebung des russischen Repertoires durch Valery Gergiev.
Service:
Rachmaninows "Aleko" und Tschaikowskys "Jolanthe" mit Anna Netrebko werden am 21., 24. und 27. Juli im Festspielhaus Baden-Baden aufgeführt.
Der Held Aleko, der sich aus Liebe zu Zemfira den Zigeunern anschließt, kann schließlich deren freie Lebensweise, vor allem eine kleine Affäre seiner Geliebten mit einem jungen Zigeuner, nicht ertragen und wird gewalttätig. Aus Eifersucht mordet er Geliebte und Liebhaber und wird darauf als Mörder von der Gemeinschaft der Zigeuner ausgestoßen. Lyrische Aussprüche, Balladen über die Vorgeschichte und Tänze bestimmen die ausdrucksstarke und doch auch zarte Komposition nach einer Novelle Puschkins - eindrucksvoll von Veronika Dijoeva (Zelmira) und John Relyea (Aleko) vorgeführt.
Vom St. Petersburger Mariinsky-Theater befürchtet man in der Regel altbackene, ein wenig antiquierte Inszenierungen. Doch Regisseur Mariusz Trelinsky verzichtet auf Zigeunerfolklore und aktualisiert im Bühnenbild von Boris Kudlička das Geschehen vor einem großen Gitter, davor zahlreiche weiße Plastikhocker. Der eigentlichen Handlung setzt er ein Hochzeitsritual mit Fußwaschung vor, durch die eine Braut in die Ehe geführt werden soll. Auf diese Weise kann Trelinsky auch "Aleko" mit Tschaikowskys "Jolanthe" - nicht völlig zwingend freilich - verbinden.
Denn nicht im Mittelalter, im Burgund des 15. Jahrhunderts, ist das symbolistische Geschehen nach einem Drama des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz in dieser Inszenierung angesiedelt, sondern in einem mit Hirschgeweihen ausgestatten Krankenzimmer. Jolanthe ist blind, doch weiß nichts von ihrem Gebrechen, nichts von Farbe und Licht - bis zu ihrer Heilung im Finale. Tschaikowsky illustriert die psychische Entwicklung eines jungen Mädchens, das Entstehen ihrer Liebesfähigkeit. Der Operneinakter ist also keine Handlung mit dramatischem Konflikt, sondern ein psychischer Zustand.
Auch wen man dem Starrummel in der Boulevardpresse skeptisch gegenübersteht, lässt man sich dennoch schnell von Anna Netrebkos jugendlichem Sopran und von ihrer - gerade in ihrer mädchenhaften Bescheidenheit - großen Intensität und Bühnenpräsenz gefangen nehmen. Jolanthe - eine kindliche Heilige. Den Bann bricht aber Piotr Beczala als burgundischer Ritter, dessen strahlenden Tenor man schwerlich widerstehen kann, noch dazu, wo Peter Illitsch Tschaikowsky so zarte lyrische, aber auch rührselige pathetische Bravourstücke für ihn komponiert hat. Durch Beczala vor allem wird der Abend plötzlich zum großen Festspielgenuss.
Der Hauptverdienst liegt aber sicherlich bei Valery Gergiev, ein Dirigent, der nicht in erster Linie intellektuell interpretiert oder strukturiert, sondern ein Musiker, der den weichen Klangkörper des Mariinsky-Orchesters temperamentvoll, voller schwelgerischem Gefühl, voll lyrischer Melancholie zur Geltung bringt. Gergiev hat ja seit 1998, seit der Gründung, das Programm des Festspielhauses geprägt. Und wenn die zwischen Baden-Baden und Russland auch schon eine lange Tradition, zu dieser Geschichte gehört nun sicherlich auch die Koproduktion zwischen dem Mariinsky-Theater und dem Festspielhaus und die damit verbundene Wiederbelebung des russischen Repertoires durch Valery Gergiev.
Service:
Rachmaninows "Aleko" und Tschaikowskys "Jolanthe" mit Anna Netrebko werden am 21., 24. und 27. Juli im Festspielhaus Baden-Baden aufgeführt.