Russischer Anna-Karenina-Film

Dreharbeiten im Kerzenschein

Von Gesine Dornblüth · 11.06.2016
Karen Schachnasarow ist Putin-Anhänger – und Direktor der russischen Mosfilm, einem der größten Filmstudios der Welt. Derzeit dreht er als Regisseur Lew Tolstois "Anna Karenina". Ein Besuch bei den Dreharbeiten.
Eine Frau sitzt auf einem Diwan, eine andere steht ihr gegenüber. Beide tragen Rüschenkleider, Hochsteckfrisuren. Teppiche, Lüster, Säulen. Drumherum: Kameraleute, Tonmänner, Stylistinnen. Eine Assistentin hält die Klappe vor die Kamera.
Die Kamera läuft. Die Dreharbeiten zu Anna Karenina in den Mosfilm-Studios gehen dem Ende entgegen. Die Heldin Anna hat Mann und Kind für ihren Geliebten Wronsky verlassen, die Beziehung mit ihm ist gescheitert, Anna ist verzweifelt und steht kurz vor dem Selbstmord. Ihre Schwägerin Dolly versucht, sie zu beruhigen.
Der Regisseur Karen Schachnasarow sitzt im Nachbarsaal in den Requisiten. Gedeckte Tische, glänzende Samoware, Kristallgläser, Goldrandgeschirr, wandhohe Spiegel. Kommoden, die Statue eines grasenden Pferdes in Bronze, Brokatvorhänge, noch mehr Leuchter, ein Billardtisch. Auf dem Regietisch nur eine Thermoskanne, eine Plastikflasche mit Wasser und ein Päckchen Zigaretten. Schachnasarow schaut auf den Bildschirm.

"Niemand hat je besser um Mann und Frau geschrieben als Tolstoi"

"Ich hatte noch keinen Film über die Liebe gemacht. Und ich dachte mir, wenn ich einen über die Liebe drehe, dann 'Anna Karenina'. Niemand hat je besser über das Verhältnis zwischen Mann und Frau geschrieben als Lew Tolstoi, und niemand wird je besser darüber schreiben. Glauben Sie meiner nicht mehr geringen Lebenserfahrung: Alles, was zwischen Anna, Wronski und ihrem Mann Karenin passiert, ist dermaßen zeitgemäß. Es gibt Szenen, die hat Tolstoi vor 150 Jahren geschrieben, aber ich kenne sie aus meinem Leben."
Die Kameraleute gruppieren sich neu. Die Lichtassistentin hält ihr Messgerät in die Höhe. Noch einmal die gleiche Szene aus anderer Perspektive. Jelisaweta Bojarskaja drückt den Rücken durch. Das russische Publikum kennt sie aus verschiedenen Fernseh- und Kinofilmen. Nun spielt sie Anna Karenina. Bojarskaja ist 30 Jahre alt und hat selbst einen Sohn.
"Das erste Mal habe ich den Roman ungefähr mit 16 gelesen. Damals schien mir alles eindeutig und schön: So eine leidenschaftliche Liebe! Dass Anna Karenina ihren Sohn verlässt, dass ihr Mann Karenin ein Ekel und Apparatschik ist, war für mich völlig klar. Inzwischen sehe ich das anders. Ich bin jetzt selbst Mutter, und dass Anna Karenina ihren Sohn verlässt, scheint mir unverständlich und unerklärlich. Karenin tut mir unglaublich leid. Ich denke, er ist eine der unglücklichsten Figuren in dem Roman."
Noch eine Verzögerung. Das Kreuz an Dollys Halskette sitzt zu tief im Dekolleté und kommt nicht zur Geltung. Eine Assistentin rückt es zurecht.
Karen Schachnasarow: "Noch ein bisschen höher. Die Leute waren religiös damals."
Regisseur Schachnasarow legt Wert auf Details.

Eine Epoche der Kerzen

"Wir bauen bewusst viele neue Kulissen. Und in den Abendszenen versuchen wir, ohne künstliches Licht auszukommen. Es war schließlich die Epoche der Kerzen. Das erzeugt eine ganz andere Stimmung. Es ist ein anderes Kolorit, ein anderer Geruch, ein anderer Zustand."
Die Halskette sitzt, die Klappe fällt. Noch einmal derselbe Dialog.
Karen Schachnasarow ist gleichzeitig Direktor von Mosfilm, eines der größten Studios der Welt. Er teilt den konservativen Kurs der russischen Führung. Er unterstützt Staatspräsident Putin und lobt öffentlich die Annexion der Krim. Dort hat er auch einen Teil der Außenaufnahmen des neuen Films gedreht. Anna Karenina mit dem konservativen Frauen- und Familienbild passt gut in die russische Kulturpolitik. Schachnasarow mischt außerdem noch etwas Krieg in die Geschichte. Wronski, Anna Kareninas Geliebter, trifft dreißig Jahre später im russisch-japanischen Krieg auf deren mittlerweile erwachsenen Sohn und erzählt ihm die Liebesgeschichte aus seiner Sicht.
Mittagspause. Nichts anrühren, alles soll so bleiben. Schachnasarow greift nach den Zigaretten und geht hinunter in die nachgebaute Empfangshalle. Kopfsteinpflaster aus Gummi, ein Säulenportal.
"Das russische Kino soll sich mit Dingen beschäftigen, die der russischen Kultur eigen sind. Das sind das Interesse am Menschen und an der Psychologie."
Schachnasarow will die Dreharbeiten im Juni abschließen. Ende des Jahres soll der Film fertig sein, später folgt eine Serie für das russische Staatsfernsehen.
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