Russische Museen als Renditeobjekte

Von Elfie Siegl · 19.02.2013
In Moskau werden staatliche Museen, Kulturhäuser und Theater immer öfter geschlossen und ihre Gebäude an Privatpersonen verkauft. Jedes Mal geht ein Stück russische Kultur und Geschichte damit verloren. Ein aktueller Fall ist das berühmte Majakowski-Museum. Es befindet sich in der Wohnung, in der sich der Dichter erschossen hat.
Das Majakowski-Museum ist ein besonderer Ort für Einheimische und Touristen. Es befindet sich in einem der ältesten Mietshäuser Moskaus. Hier hat Majakowski in einem kleinen Zimmer einer Gemeinschaftswohnung elf Jahre lang gearbeitet. Und hier hat er sich am 14. April 1930 erschossen. Das Zimmer sei mit den Originalmöbeln des Dichters, Schauspielers und bildenden Künstlers erhalten, sagt Marina Krasnowa, die seit fünf Jahren Besucher durch das Museum führt:

"Das Zimmer ist das Herz unseres Museums. Von hier aus entwickelt sich die Ausstellung über vier Etagen. Das Zimmer ist die Achse, um die herum sich die Geschichte legt, die in diesen Wänden erzählt wird."

Es ist die Geschichte eines von den Bolschewiki als literarisches Genie gefeierten Mannes, der sich schließlich die Kugel gab, weil er an sich selbst und der Sowjetmacht verzweifelte.

1989 wurde die derzeitige Ausstellung konzipiert. Die Direktorin ist sogar schon seit 30 Jahren im Amt. Die Zeit wäre also reif, das Museum in vieler Hinsicht zu erneuern. Seit zwei Jahren bemühen sich die Mitarbeiter bei der Stadtregierung um grünes Licht für eine Renovierung. Doch ohne Erfolg. Das hat sich erst geändert, als im Mai 2012 der 42-jährige Wladimir Medinski neuer russischer Kulturminister wurde.

Der nationalkonservative Medinski spielt auf vielen Klavieren gleichzeitig. Er unterrichtet als Professor an der Diplomatenakademie, hat als Parlamentarier gearbeitet, die Putin-Partei Einiges Russland mitgeleitet. Er schreibt Bücher über den Ruhm Russlands und neuerdings auch Romane. Der neue Minister schickte unverzüglich eine Generation von Museumsdirektoren in den Ruhestand. Er wünscht, dass fortan am Profit orientierte Technokraten Museen leiten. Im Majakowski-Museum etwa wurde die alte Direktorin im Dezember gezwungen zu kündigen. Ihre Nachfolgerin ist fachfremd und scheint an Majakowski nicht interessiert. Deshalb argwöhnen die Mitarbeiter, dass sie das Museum lediglich abwickeln soll. Als Vorwand dafür diene die Renovierung, sagt Marina Krasnowa:

"Ende 2012 begann man damit, die Renovierung sehr aktiv vorzubereiten. Kurz nach der Ernennung von Nadéshda Morósowa zur neuen Direktorin hat man die Bestände verpackt, um sie auszulagern. Es ist nun auch die Rede davon, dass die Ausstellung abgebaut werden muss, obwohl bisher klar war, dass sie unangetastet bleiben soll."

Der Leiter der Kulturabteilung der Moskauer Stadtregierung, Sergej Kapkow, blieb in dieser Frage gegenüber dem Rundfunksender Echo Moskaus recht vage:

"Mir scheint, wir haben nicht beschlossen, das Museum zu zerstören. Wir haben entschieden, mit der Renovierung der Belüftung und der Lösung aller weiteren mit dem Gebäude verbundenen technischen Fragen wahrscheinlich erst ein Jahr nach dem Jubiläum des 120. Geburtstages von Majakowski zu beginnen."

Mitarbeiter misstrauen dem Moskauer Kulturchef
Doch die Mitarbeiter vertrauen Kapkow nicht. Und ihr Misstrauen erscheint begründet. Denn der Moskauer Kulturchef, der die neue Direktorin geholt hat, ist nicht nur ein Freund des Kulturministers, man sagt ihm auch sehr gute Kontakte zum Großgeschäftemacher Roman Abramowitsch nach. Dessen Freundin Darja Schukowa, die moderne Kunst sammelt, sucht, so heißt es, nach einem geeigneten Ort für ein Multimediazentrum nach Vorbild des Pariser Centre Pompidou. Marina Krasnowa vermutet, Abramowitsch habe deshalb ein Auge auf das Majakowski-Museum geworfen:

"Vier Stockwerke im Moskauer Stadtzentrum - da kann man gut eine große Kunstgalerie draus machen, sie vermieten und viel Geld damit verdienen. Doch wir hoffen sehr, dass es uns gelingt, das Museum zu erhalten und eine fachmännische Renovierung durchzuführen."

Mitarbeiter und Freunde des Museums haben inzwischen die Öffentlichkeit in Protestaktionen auf die Gefahren, die Moskauer Kultureinrichtungen drohen, aufmerksam gemacht.

Marina Krasnowa: "Wir haben Unterschriften gesammelt und eine Dokumentation an die Stadtregierung geschickt mit der Bitte, einen Koordinationsrat zu bilden, der die Renovierung überwacht. Außerdem lehnen wir Nadéshda Morósowa als neue Direktorin ab."

Kulturminister Medinski versichert öffentlich gerne, dass Museen wie das für Majakowski und auch die kleinen Staatstheater erhalten bleiben. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Weil sie sich getäuscht fühlen, protestieren nicht nur in Moskau immer mehr Menschen gegen die Abwicklung traditionsreicher Kulturinstitute. Als Medinski kürzlich einen wegen Korruptionsvorwürfen zum Rücktritt gezwungenen Gebietsgouverneur zum neuen Direktor des berühmten Holzkirchen-Museums Kischi im Norden Russlands ernannte, blockierten Mitarbeiter dessen Büro. Denn auch sie haben Angst davor, dass ein Technokrat die Bedeutung und die Zukunft eines Museum lediglich nach Kriterien von Gewinn und Verlust bewerten könnte.

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