Russisch-französische Querverbindungen

Von Tschaikowksy zu Messiaen: Diese Kombination ist nicht nur untypisch für Christian Thielemann, sie scheint auch kaum zusammenzuhängen. Ein Irrtum: Keine 50 Jahre liegen zwischen den Werken, in deren sinnlichen Klängen Thielemann und die Philharmoniker schwelgen können.
Es gibt viele Verbindungen zwischen russischer und französischer Musik, aber nicht unbedingt zwischen der schwärmerischen Spätromantik eines Tschaikowsky und der tastend-zarten Frühmoderne eines Debussy. Dabei gibt es ein geheimnisvolles Bindeglied zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Meistern – eine Frau: Nadeshda von Meck. Sie förderte den leidenschaftlich verehrten Meister Tschaikowsky, dem sie niemals persönlich begegnete, mit viel Geld. Und sie förderte den noch jungen Debussy mit einer Anstellung als Hauspianist. So kam es, dass Debussy die Musik Tschaikowskys spielte und dass Tschaikowsky die ersten Kompositionsversuche Debussys begutachtete. Dass Debussy seinen attraktiven Job schließlich verlor, hing aber nicht mit Tschaikowskys eher negativem Urteil zusammen – sondern schlichtweg damit, dass Debussy auf die unglückliche Idee gekommen war, eine der zahlreichen Meck-Töchter heiraten zu wollen.

Liebesleid und Liebesfreud begegnen uns in diesem Programm immer wieder. Tschaikowksys 6. Sinfonie – die „Pathétique“ – kann als Bekenntnis einer verbotenen Liebe des Komponisten kurz vor dessen Tod 1893 interpretiert werden. Die „Nocturnes“, die Debussy zu dieser Zeit begann, wirken dagegen wie ein Versuch, die Leidenschaften des Menschen durch einen Blick in die Natur zu relativieren. Hemmungslos emotional geben sich schließlich die Mitte der 1930er Jahre entstandenen „Poèmes pour Mi“, die Olivier Messiaen seiner ersten Frau zur Hochzeit schenkte. Es sind Meditationen über das Sakrament der Ehe, eingehüllt in einen ausladenden, bisweilen parfümierten, immer höchst anspruchsvollen Orchestersatz.

Man darf gespannt sein, wie Christian Thielemann diese Werke meistert – er ist am Pult der Berliner Philharmoniker ein gern gesehener Gast, hat sich dort aber meist mit seinem Kernrepertoire profiliert und Werke der deutschen Spätromantik dirigiert. In diesem Konzert wird es einmal darum gehen, schwebende Farben und Stimmungen zu erzeugen, ohne ins Pastose abzugleiten – ein Experiment.



Live aus der Philharmonie Berlin


Claude Debussy
Nocturnes. Sinfonisches Triptychon für Orchester mit Frauenchor

Olivier Messiaen
„Poèmes pour Mi“ für dramatischen Sopran und Orchester

ca. 21:05 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Olaf Wilhelmer im Gespräch mit Christian Thielemann
Nadeshda von Meck zwischen Debussy und Tschaikowsky
Von Jan Brachmann

Peter Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“


Jane Archibald, Sopran
Damen des RIAS Kammerchores
Berliner Philharmoniker
Leitung: Christian Thielemann