Rundgang aus der Ferne

Von Thomas Migge |
Nach der Plünderung des archäologischen Nationalmuseums in Bagdad vor einigen Jahren haben italienische Historiker und Internetexperten die Ausstellung wieder rekonstruiert - und zwar im Internet. So ist das virtuelle Museum für Menschen aus aller Welt erreichbar.
Wie im Sturzflug, aber in Zeitlupe, nähert sich der Betrachter aus der Luft der Stadt Bagdad und schließlich einem riesigen Gebäude mitten in der irakischen Hauptstadt. Begleitet von arabisch anmutender Musik erfährt man zunächst, dass das archäologische Museum, eines der wichtigsten weltweit, 1926 eröffnet wurde. Typisch für italienische Inszenierungslust, wie in einer Opernaufführung, erscheint das Bild des pompösen Eingangstors in das Museum, im Stil der antiken Babylonier; dann eine breite Treppe, an deren Ende grelles Licht dem Betrachter entgegen scheint. Es folgt ein Halbrund mit einer Reihe von Eingangsportalen, über denen in großen Lettern geschrieben steht: "The Virtuel Museum of Iraq".

Und dann wird es spannend: Der virtuelle Besucher des irakischen Nationalmuseums in Bagdad kann zwischen acht Ausstellungssektionen entscheiden. Vorgeschichte, Babylonien bis zum Islam.

Der sumerische Saal: Mehr als fünf Meter hoch und hell erleuchtet! Vorgestellt werden acht Hauptwerke aus dieser historischen Periode, eines prächtiger als das andere. Da ist zum Beispiel der Goldhelm, 23 Zentimeter hoch, fast 5000 Jahre alt. Der Besucher hat auf verschiedene Weise die Möglichkeit, das virtuelle Exponat zu studieren, erläutert die Archäologin Francesca Delmonte vom Nationalen Wissenschaftsrat:

"Zum einen gibt es einen Text, der das Objekt beschreibt, zum anderen einen 3D-Film. Per Mausklick kann der Gegenstand von allen Seiten betrachtet werden. Die Möglichkeiten der virtuellen Realität faszinieren vor allem bei Objekten wie dem Goldhelm des sumerischen Königs Meskalamdug aus der Stadt Ur, rund 2400 vor Christus. Die 3D-Technologie erlaubt einen Blick nicht nur das prächtige Äußere des Helms, sondern auch in sein Inneres, wo man deutlich die Haken erkennen kann, an denen das Lederband befestigt war, mit dem der König den Helm um sein Kind band."

Nach der Befreiung des Irak von Diktator Saddam Hussein und der Plünderung des Nationalmuseums erklärte sich die italienische Regierung sofort bereit, für die Restaurierung des gesamten Gebäudes und der beschädigten Kunstwerke aufzukommen. Gleichzeitig beschäftigen sich zwei Jahre lang rund 100 italienische Archäologen, Informatiker und Historiker mit einem virtuellen Museumsspaziergang, um auf diese Weise das ferne und mitten in einer bürgerkriegsgeschüttelten Stadt liegende Museum Interessierten zugänglich zu machen. Francesca Delmonte:

"Ein Online-Besuch dieser Art ist bisher einmalig. Die Websites des Metropolitan, des Louvre und des British Museum sind statisch. Geboten wird eine Vielzahl an Bildern und Texten. Und: Wir wollten keine Website, die sich ausschließlich an Experten richtet. Ganz bewusst wollen wir das große Publikum anlocken."

Nur mit den Mitteln der 3D-Technologie, mit ansprechender Musik und Videoanimationen, so die Archäologin, könne man möglichst viele Menschen ansprechen. Die im Saal der Eroberungen Alexander des Großen gezeigten Gräber aus Tulul en-Nufeji können neben einer 3D-Simulation auch mit einem Film besichtigt werden, der die Geschichte dieser Gräber und ihrer Wiederentdeckung vermittelt.

Francesca Delmonte und ihren Kollegen ging es bei dem Projekt vor allem darum, einen möglicht abwechslungsreichen, nicht akademisch-trockenen Besuch des Museums zu bieten. Umfragen in anderen bedeutenden Museen zeigten, dass Besucher sind häufig von der Masse und Präsentation erschlagen fühlen. Sie wünschen sich einfache, schnell zu lesende und zu erfassende erläuternde Texte, wenn möglich auch Filme und 3D-Animationen.

Das Projekt "The virtual Museum of Iraq" reduziert seine Schätze auf die wertvollsten Objekte, erklärt sie anschaulich und multimedial. Hochkultur wird auf diese zu einem, so der römische Gymnasiallehrer und Hobbyarchäologe Mariano Settembrini, visuellen Erlebnis:

"Geschichte wird auf diese Weise wie etwas Lebendiges präsentiert. Andere Websites anderer Museen bieten doch nur aseptische Ikonen der Antike, die sicherlich wunderbar sind, einen aber nicht berühren. Hier ist das ganz anders."

Schon überlegen sich andere Museen, in Italien ähnliche Projekte für sich entwickeln. Dumm ist nur, dass das italienische Kulturministerium für Museen im eigenen Land immer weniger Geld zur Verfügung hat und nicht einen einzigen Cent für virtuelle Museumsprojekte bereitstellt.

Service:

Das virtuelle Museum in Bagdad erreichen Sie über das Internet.