Rumsfeld-Porträt

"Er war ein Salamitaktiker"

Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld © dpa / picture alliance / Jacob Silberberg
Moderation: Korbinian Frenzel |
Eine Doku über Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zeigt den Mann, der Amerika in den Irak-Krieg führte. SPD-Politiker Walter Kolbow beschreibt ihn als "cool bis unter die Haarspitzen" - und erklärt das Geheimnis der "Rumsfeld-Performance".
Korbinian Frenzel: Wie tickt dieser Mann, Donald Rumsfeld? Ich spreche jetzt mit jemandem, der ihn regelmäßig erlebt hat: der SPD-Politiker Walter Kolbow, in diesen entscheidenden Jahren, als es um den Irakkrieg ging, Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Kolbow!
Walter Kolbow: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Warum lächelt dieser Mann? Das ist die Frage, die man sich immer wieder stellt, die auch der Filmverleih groß aufs Poster gesetzt hat. Gilt diese Frage noch einmal mehr, wenn wir uns anschauen, was gerade jetzt im Irak passiert?
Kolbow: Ja, er war ein Salamitaktiker, der alle seine Möglichkeiten optisch – und dazu gehört eben das Lächeln – auch ausgenutzt hat, denn er meinte damit zusätzlich zu überzeugen zu dem, was er gesagt hat. Und wenn die Worte nicht so griffig waren, wie "Known Unknowns" ja zum Ausdruck bringt, dann hat er dieses Grinsen aufgesetzt, und das sollte Selbstsicherheit vermitteln und hat uns natürlich auch im Zusammenhang mit diesen schrecklichen Ereignissen, die ja zum Tode von vielen, vielen Menschen geführt haben und die heute noch eine Rolle spielen, wie die Situation im Irak zeigt, irritiert.
Frenzel: Ich bin gleich am Anfang über diese Aussage von Donald Rumsfeld gestolpert in dem Film. Da sagt er, wenn Saddam weg wäre, dann hätten wir, also die USA, eine sehr viel bessere Ausgangssituation, Einfluss auf den Mittleren Osten zu nehmen. Das hat sich ja nun als grundfalsch herausgestellt, aber davon war er offenbar wirklich überzeugt, oder meinen Sie, das war gespielt?
Kolbow: Nein, ich glaube, er war überzeugt. Das Faszinierende an der Rumsfeld-Performance war ja, wie er Unklarheiten zu seinem Argument gemacht hat: Weil wir nicht wissen, müssen wir handeln. Er nannte das - und das hat uns und den damaligen Verteidigungsminister Peter Struck immer wieder in den Begegnungen irritiert - "absence of evidence is not evidence of absence", also Widersprüchlichkeit auch in der englischen Sprache, das wurde dann auch kompliziert übersetzt.
Und das ist in Richtung Ihrer Frage dann natürlich zu der Schlussfolgerung zu führen: Dass es keinen Beweis für die Existenz einer Sache gibt, ist kein Beweis dafür, dass die Sache nicht existiert. Und mit diesen Allgemeinheiten hat Rumsfeld Politikmängel überbrückt, und das waren Antworten auf Fragen, die keine Antworten waren, sondern das waren eben salamitaktische Verhaltensweisen.
Frenzel: Aber da klingt ja schon eine gewisse, wenn auch eigene Rationalität heraus. Wir haben das gerade in dem Ausschnitt auch gehört, diese Frage nach der Besessenheit, ob Rumsfeld besessen war beim Thema Irak, Saddam Hussein wegzukriegen aus diesem Präsidentenamt. Hatten Sie den Eindruck jemals, dass er und auch die anderen in der Administration von George W. Bush, dass sie besessen waren?
Kolbow: Nein, die waren cool, die waren maßvoll, so wie sie selber gesagt haben, und waren möglicherweise natürlich in das Ergebnis hinein dann – das klingt jetzt in diesem Zusammenhang recht abstrus – in das Ergebnis verliebt. Sie hatten sich entschieden und mussten irgendwie diese Entscheidung begründen. Wir waren ja nicht dabei, und der Zusammenprall auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2005, als Außenminister Fischer für uns alle, die von der deutschen Politik da waren, ihm entgegenschleudert, "I'm not convinced", wo die Auseinandersetzungen dann eskalierten.
Wir waren ja nicht in der Koalition, wir haben uns herausgehalten, richtigerweise rausgehalten, weil das Massenvernichtungswaffenkonzept beziehungsweise -argument ja auch nicht stach, weil es falsch war, aber trotzdem hat er sich so verhalten, wie er sich verhalten hat, und das war cool bis unter die Haarspitzen. Und das ist eben, was ich empfunden habe und wo ich auch im Zusammenhang mit dem Film mir natürlich immer wieder überlegt habe, dass das emotionslos, bürokratisch und in dieses Lächeln verpackt präsentiert wurde, um auch eigene Unzulänglichkeiten beziehungsweise mangelnde Fähigkeiten, Fragen zu beantworten, zu kaschieren.
Frenzel: Sie haben die Sicherheitskonferenz erwähnt, die Begegnung, die es dann ja auch später noch mal im Sicherheitsrat gab, der Vereinten Nationen. Wie hat denn Rumsfeld auf uns geschaut? Es gab im Umfeld des Irakkriegs diesen Vergleich, Venus/Mars, letztendlich der Vorwurf an die Europäer, wir seien Weicheier. War das auch Rumsfelds Blick auf uns?
Kolbow: Ja, diese Old-Europe-Formulierung war ja eine Formulierung der, wie soll ich sagen, Benachteiligung in der Auffassung der Amerikaner. Wir hatten ein schlechtes Image, wir waren nicht beliebt, weil man den Krieg im Irak ja dann auch mit den Fehlentwicklungen, Folterpraktiken von Abu Ghraib verbannt und das auch benannt hatte. Und Rumsfeld hat dann vorgemacht, dass man wie ein Philosoph klingen kann – habe ich in einer Zeitung gelesen, wenn ich es richtig im Kopf hab –, dass man wie ein Philosoph klingen kann, der das Licht der Vernunft noch in den hintersten Winkel strahlen lässt, der in Wahrheit aber nur einen mächtigen Rauchschleier erzeugt, das heißt, da ist alles verpackt worden, um gut auszuschauen. Und deswegen ist das ein wichtiger Film mit zeitgeschichtlicher Bedeutung, der Rumsfeld entlarvt als jemanden, der sich versteckt hat hinter seinen Verhaltensweisen, um politische Fehler auch kaschieren zu können – ich sag's noch mal so.
Frenzel: Ich muss gestehen, an einer Stelle im Film hat er mich bekommen, oder eine Darstellung, nämlich wie er beschreibt, wie er im Ministerbüro sitzt am 11. September 2001 und die Erschütterung spürt, als nämlich das Flugzeug reinschlägt in das Pentagon bei den Anschlägen des 11. September. Das war für mich so ein Moment, wo ich dachte, ja, wenn man so etwas erlebt hat, vielleicht kommt man dann einfach auch zu anderen Ergebnissen, zu anderen Politikanalysen. Haben Sie dieses Verständnis auch manchmal aufbringen können, aufbringen müssen?
Kolbow: Ja, natürlich. Ich bin ihm ja ein paarmal bei Konferenzen, wenn ich Vertretungen in NATO-Gremien hatte, begegnet. Wenn man sich die Hand schüttelt, wenn man sich auch über Nebensächlichkeiten, bevor man zu den Hauptpunkten der Tagesordnung kommt, unterhält, dann merkt man auch, dass das natürlich kein Roboter ist, sondern dass das auch ein Partner ist, mit dem man kommunizieren muss, aber der halt auch die Großmacht repräsentierte, die sich entschieden hat, einen Krieg zu führen und die unter – und das muss ich anfügen – einem nachhaltigen Schock vom 11. September 2001 stand.
Und dann ist ja in diesem Jahr Rumsfeld ins Amt gekommen, ein zweites Mal als Verteidigungsminister, und die waren alle gezeichnet – und das gilt ja auch bis heute – von diesem Schock des Terroranschlags auf das World Trade Center. Und das hat ihn auch ausgemacht, und das hat er dann natürlich auch, weil er es im Pentagon erlebt hat, das zeigt ja auch der Film, wie nicht nur das World Trade Center angegriffen worden ist, sondern dass auch im Pentagon in Washington ein Flugzeug reinflog, das bewegt schon. Und das habe ich ihm auch abgenommen, denn wer kann denn so einen Schock auch ohne Wirkung verdauen.
Frenzel: Walter Kolbow sagt das, der Verteidigungsstaatssekretär, zu rot-grünen Zeiten über Donald Rumsfeld. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Kolbow: Gerne!
Frenzel: Und der Film über diesen Mann, der Dokumentarfilm "Die Unknown Known". läuft heute an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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