Ruhrtriennale 2015

30 Minuten im Niemandsland

Die Installation "Nomanslanding" im ehemaligen Eisenbahnhafen in Duisburg-Ruhrort. Sie umfasst zwei große, bewegliche Plattformen, die sich auf der Wasserfläche allmählich zu einem Dom in Form einer Halbkugel vereinigen.
Die Installation "Nomanslanding" im ehemaligen Eisenbahnhafen in Duisburg-Ruhrort © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Von Thomas Frank · 14.08.2015
Die multimediale Installation "Nomanslanding" schickt den Besucher auf eine spektakuläre Reise durch eine Parallelwelt aus Tod, Trauer, Verlust und Vergänglichkeit. Auf der Ruhrtriennale ist sie zu bestaunen - mit Rettungswesten.
Duisburg-Ruhrort, am ehemaligen Eisenbahnhafen. Eine postindustrielle Landschaft par excellence. Zur Zeit der industriellen Revolution wurde hier über eine Eisenbahnfähre noch die Kohle über den Rhein verschifft. Heute finden sich hier nur noch Sportbootanlagen und kleinere Reparaturwerften, umrahmt von verfallenden Häusern und Brachland. Genau hier, mitten im Hafenbassin, wurde "Nomanslanding" installiert, das neue Kunstwerk der Ruhrtriennale.
Besucher bilden Teams
Zwei geteilte weiße Halbkugeln liegen sich auf dem Wasser gegenüber, beide vom Land über einen Steg erreichbar. Fünf Künstler aus Australien, den Niederlanden und Schottland haben "Nomanslanding" kreiert. Die beiden australischen Künstler Robyn Backen und Nigel Helyer empfangen mich am Landungssteg.
Backen: "Der Landungssteg führt zu einem Zelt. Und im Zelt wird der Besucher auf das Kunstwerk vorbereitet. Er erhält eine Rettungsweste, sodass alles sicher ist. Und man betritt die Installation von einer Seite und verlässt sie auf der anderen. So unternimmt man eine Reise durch den Dom."
Ich werde nun darüber aufgeklärt, dass ich zusammen mit den anderen Besuchern ein Team bilde. Dementsprechend erhalten wir alle rote Rettungswesten. Auf der anderen Seite entsteht ein anderes Team mit blauen Schwimmwesten. Wir werden uns gleich als fremde Gruppen im Dom begegnen, der aber noch in zwei Halbkugeln zerteilt ist. Über einen schwimmenden Laufsteg schreiten wir dorthin.
Ausgangspunkt: Gedenken an den Ersten Weltkrieg
Getarnt hinter einer quadratischen Fassade aus schwarzen Holzbrettern, erhebt sich die Halbkugel fünf Meter in die Höhe. Ein Bauwerk aus weißen Sperrholzplatten. Die andere Halbkugel schwimmt auf der Plattform gegenüber. Dort befindet sich die andere Besuchergruppe. Sechs Meter Wasser trennen uns voneinander. Ein flüssiges Niemandsland, das noch überwunden werden muss.
André Dekker: "Man trifft sich im Dom, die zwei Hälften sind noch getrennt, die kommen zusammen. Man hört ständig Musikgeräusche, Stimmen. Also die Maschine, die Kuppel überwindet dieses No Man's Land. Aber wir haben daraus Nomanslanding gemacht, weil die ganze Arbeit für uns eine große Brücke ist. Eine Landungsbrücke."
Ausgangspunkt der Arbeit bildete das 100-jährige Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Doch die Künstler setzen sich mit dem Weltenbrand nicht dokumentarisch auseinander, sondern werfen universelle Fragen zu Kriegen und Konflikten auf.
Helyer: "Es ist eher ein konzeptueller, philosophischer Blick auf menschliche Konflikte, aber auch auf die Chancen, diese Konflikte zu lösen. Mit der Idee, zwei Besuchergruppen mit verschiedenfarbigen Schutzwesten aufeinandertreffen zu lassen, wollten wir, dass die Menschen sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Doch letztlich sind diese beiden Gruppen einander gleich. Und das ist die Basis für Konfliktlösungen."
Die zwei weißen Halbkugeln driften immer näher aufeinander zu. Gesteuert von einem Fährmann. Dann prallen die beiden Halbkugeln aufeinander. Ohrenbetäubend laut.
Schließlich totale Finsternis. Aus den Wänden ertönt eine Sound-Collage aus flüsternden Stimmen in verschiedenen Sprachen, Musiksequenzen und Geräuschen. Sie erinnert an die Kriegs- und Industriegeschichte von Duisburg, Sydney und Glasgow, der drei Hafenstädte, für die "Nomanslanding" kreiert wurde. Plötzlich Stille. Nach einer Weile erklingt mitten aus der Finsternis ein Gesang.
Die heilige Aura einer Kathedrale oder einer Moschee
Woher kommt er? Auch aus den Wänden? Das Licht einer Laterne scheint auf. Die Schemen einer Person zeichnen sich ab – wie bei einem Geist. Doch es ist ein Sänger. Er intoniert ein Klagelied. Ein berührender Moment. Nicht nur ein "Flüsterdom" hat sich nun formiert, der die heilige Aura einer Kathedrale oder einer Moschee verströmt. Wir sitzen nun auch im Kopf eines sterbenden Soldaten:
Backen: "Wenn sich der Dom schließt, so die Idee, befindet man sich im Kopf eines Soldaten oder eines Sterbenden. Diese aufeinanderprallenden Stimmen geben also wieder, was sich im Kopf abspielen könnte oder was der Kopf hörbar sein könnte. Und so flüstern die Frauenstimmen einem Gedanken zu, die durch das Gehirn strömen könnten, wenn man sich in den letzten Minuten seines Lebens befindet."
Als hätte man den Fluss Styx überquert
Diese Gedanken des Sterbenden, die Minuten der Trauer teilt man mit fremden Menschen im Dunkeln. Menschen, die vorhin noch auf der anderen Seite standen, getrennt durch das Wasser. Mit diesen Menschen teilt man nun einen geschlossenen, intimen Raum. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die von den Besuchern Vertrauen abverlangt.
Nach einer halben Stunde endet die Performance. Die Rettungsweste wird abgelegt, über den schwimmenden Steg schreitet man wieder ins "normale" Leben. Blickt man zurück, so kommt einem die Performance vor wie ein Traum. Als hätte man mit dem Fährmann Charon den Fluss Styx in den Hades überquert. "Nomanslanding" ist eine multimediale Installation, die dem Besucher eine spektakuläre Reise durch eine Parallelwelt aus Tod, Trauer, Verlust und Vergänglichkeit führt. Eine Parallelwelt, die letztlich in uns selbst ist.
Mehr zum Thema