Ruhrtriennale 2014

Neue Wege fürs Musiktheater

Rund 100 Schafe laufen am 13.08.2014 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) in der Kraftzentrale des Landschaftsparks während der Generalprobe des Stückes "De Materie" über die Bühne. Vom 15.08 bis zum 28.09 sind im Rahmen der Ruhrtriennale rund 30 Produktionen mit mehr als 1000 Künstlern aus den Bereichen Tanz, Musik, Theater und bildender Kunst zu sehen. Foto: Caroline Seidel/dpa (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Rahmen der Berichterstattung über die Ruhrtriennale)
Schafe laufen während der Generalprobe von "De Materie" über die Bühne. Das Stück hat hinreißende Momente, aber auch langweilige Durchhänger. © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Stefan Keim · 16.08.2014
Ein Festival wie die Ruhrtriennale soll Aufführungen produzieren, wie es sie sonst nicht zu sehen gibt, sagt der Intendant Heiner Goebbels. Auch im dritten Jahr ist der Anspruch also hoch. Ein Überblick über Premieren und Eröffnungen von Installationen.
Das ist kein Wolkenbruch, auch die Niagarafälle sind weit entfernt. So klingt "Melt", eine Installation der Ruhrtriennale. Die brasilianischen Künstler Rejane Cantoni und Leonardo Crecenti haben 50 polierte Aluminiumplatten auf Sprungfedern hintereinander montiert. Die Besucher gehen, laufen, tanzen darüber. Dabei entsteht Krach – und ein neues Raumgefühl. Denn die Platten führen durch einen Teil des Landschaftsparks Duisburg, einer ehemaligen Zeche. Unter Leitung von Heiner Goebbels hat die Ruhrtriennale immer auch eine verspielte Seite. In diesem Fall bei freiem Eintritt.
Ein Essay über das Verhältnis von Geist und Materie
Mehrere Minuten lang gibt es nur Akkorde. Langsam wird der Rhythmus schneller. Louis Andriessen vereint in seiner Oper "De Materie" die verschiedensten musikalischen Stile. Mal klingt das Orchester wie eine Big Band, mal wie ein geistliches Ensemble. Ähnlich verfährt er mit dem Inhalt. Andriessens Stück hat keine Handlung. Es ist eine Art Musiktheateressay über das Verhältnis von Geist und Materie.
Dabei verwendet Andriessen Beispiele aus der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte seiner niederländischen Heimat. Um 1600 entwickelt ein Forscher die Atomtheorie, der Maler Piet Mondrian hat gern getanzt, und der achtköpfige Chor skandiert einen Text über den Schiffsbau.
Heiner Goebbels, der Intendant der Ruhrtriennale, hat für seine Inszenierung die größte Halle gewählt, die ihm zur Verfügung steht, die 170 Meter lange und 35 Meter breite Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg-Nord. Hier entwickelt er – wie schon in seinen vorigen Inszenierungen bei diesem Festival – verzaubernde Bilder voller Leichtigkeit, Poesie und Humor. Drei ferngesteuerte Zeppeline schweben durch die Halle, manchmal wird auf einen von ihnen Text projiziert. Im letzten Teil strömt eine Herde aus hundert Schafen hinein, gehütet von einem der Zeppeline.
Erst enormer szenischer Aufwand macht "De Materie" genießbar"
Evgeniya Sotnikova singt mit klarem, hellem Sopran die Vision einer Nonne aus dem 13. Jahrhundert. In ihre religiöse Verzückung mischen sich heftige erotische Fantasien. Diese Szene hat noch am ehesten mit einer traditionellen Oper zu tun. Heiner Goebbels will in seinen drei Jahren bei der Ruhrtriennale alternative Wege für das Musiktheater aufzeigen. Bisher ist ihm das überzeugend gelungen, mit den liebevoll inszenierten "Europeras" von John Cage und der schrägen Hippiefantaise "The Delusion of the Fury" von Harry Partch.
Auch "De Materie" hat hinreißende Momente. Aber auch langweilige Durchhänger. Manchmal wirkt Andriessens Stück wie enzyklopädisches Musiktheater, wie ein Blättern im Lexikon mit Musikbegleitung. Ohne einen enormen szenischen Aufwand wie in Duisburg wäre das Stück kaum genießbar. Dirigent Peter Rundel und das Ensemble Modern Orchestra leisten wie alle Beteiligten Herausragendes. Dennoch ist "De Materie" von Heiner Goebbels' Entdeckungen bei der Ruhrtriennale die schwächste.
Momentaufnahmen der Arbeit
Der Ansatz, scheinbar Unzusammenhängendes einfach nebeneinander zu stellen, hat größeren Erfolg in der Videoinstallation "Eine Einstellung zur Arbeit". Der gerade verstorbene Filmemacher Harun Farocki und die Kuratorin Antje Ehmann sind einige Jahre durch die Welt gereist und haben Menschen gebeten, Kurzfilme über die Arbeit zu drehen. Höchstens zwei Minuten lang und ohne Schnitt, in nur einer Einstellung. Die Ergebnisse sind beachtlich.
Einmal schaut die Kamera einem arbeitenden Mann ins Gesicht, und man sieht gar nicht, was er tut. Eine Museumswärterin sitzt vor ausgestopften Tieren, auf einer riesigen Baustelle bewegt sich träge ein Kran. Momentaufnahmen der Arbeit, wie sie in der Kunst selten vorkommen und perfekt zur Ruhrtriennale passen.
Das gilt auch für Romeo Castelluccis Idee, Strawinskys legendäres Ballett "Le Sacre du Printemps" als Maschinenballett zu inszenieren. Hinter einer durchsichtigen Wand drehen sie sich, fahren auf Schienen, kippen und wackeln. Aus ihnen fällt im Takt der Musik weißer Staub, Knochenmehl von Kühen.
Mehr zum Thema