Ruhrgebiet

Bei der Kohle hört die Freundschaft auf

Das EON Kraftwerk Datteln IV mit einer Versuchsanlage zur Umschaltung zwischen Wechselstrom und Gleichstrom, fotografiert am Samstag (07.07.2012) in Datteln. Foto: Caroline Seidel dpa/lnw
Kraftwerk Datteln IV mit einer Versuchsanlage zur Umschaltung zwischen Wechselstrom und Gleichstrom © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Michael Frantzen · 03.01.2014
Der Kohlemeiler "Datteln IV" im Ruhrpott scheidet die Geister. Das hochmoderne Steinkohlekraftwerk schaffe Arbeitsplätze, sagt der eine. Umweltverschmutzung, empört sich der andere. Eine Freundschaft in Gefahr.
Früher war alles einfach. Früher lebten sie in Datteln im Ruhrgebiet von und mit der Steinkohle. Früher waren Karl-Heinz Brausen und Rainer Köster Schulfreunde. Die Zeiten sind vorbei. Die Kohle und damit die Jobs sind im nördlichen Ruhrgebiet größtenteils verschwunden und auch um die Freundschaft von Brausen und Köster steht es nicht mehr zum Besten. Schuld daran ist "Datteln IV", der geplante Kohlemeiler, von dem Eon sagt, er werde einer der modernsten Europas. Und Umweltschützer, er sei ein Schwarzbau, der schleunigst abgerissen werden muss. 2009 kippte ein Gericht den Bebauungsplan. Seitdem geht nichts mehr auf der Baustelle, die Eon bislang eine Milliarde Euro gekostet hat. Karl-Heinz Brausen hat eine Bürgerinitiative gegründet für das Großprojekt. Sein alter Freund Köster ist dagegen. Eins ist klar: Kohlekraftwerk, Arbeitsplätze, Freundschaft - es gibt manches zu klären in Datteln.
Schneider: "Datteln war mir gar kein Begriff. Sage ich mal. Bis dato."
Uns auch nicht. Lautmalerischer Name. Datteln. Doch mediterranes Flair sucht man in der 35.000-Einwohnerstadt vergeblich. Hat der Dattelner es nicht so mit. Mit Industrie schon eher.
Werner: "Wir brauchen das Kraftwerk."
Darüber lässt sich streiten.
Krasnici: "Wir haben Kraftwerksbefürworter hier, wir haben Kraftwerkskritiker hier. Wir treten gemeinsam in den Dialog."
Die nächsten zwanzig Minuten.
Brausen: "Wir müssen auch mal etwas dafür sagen. Was spricht für das Kohlekraftwerk hier in Datteln?"
Bitte schön.
Brausen: "Mein Name ist Karl-Heinz Brausen. Ich bin Initiator der Initiative "Ja für Datteln"."
Der Rentner mit dem kleinen Wohlstandsbauch ist das, was sie im Ruhrgebiet einen "Püttologen" nennen. Jemand, der früher in die Gruben einfuhr und dessen Herz immer noch an der Kohle hängt.
Brausen: "Bin hier direkter Bewohner der Meister-Siedlung."
Die liegt in Sichtweite von "Datteln IV", dem Kohle-Kraftwerk, von dem Brausen sagt, es solle endlich ans Netz gehen. Und ein paar Häuser weiter seine Nachbarn, es verschandele die Siedlung.
Brausen: "Ich selbst sehe von der Optik her das Kraftwerk eigentlich weniger als an vielen Stellen hier in Datteln. Wo der große Kühlturm anscheinend die optische Angst macht. Gegen Optik kann man nichts machen. Aber alle relevanten Sachen wie Lärm, Umweltschutz wurden eingehalten."
Das Oberverwaltungsgericht Münster sah das anders. Vor vier Jahren verdonnerte es Betreiber Eon dazu, den Bau zu stoppen. Die Richter urteilten, der Energieriese habe zu nah an den Wohnhäusern gebaut. Illegaler Weise. Brausen tippt sich an die Stirn. Knapp ein halber Kilometer ist es von seinem schmucken Einfamilienhaus bis zum Kraftwerk. Ihn stört das nicht. Das Urteil schon. Deshalb gründete er seine Bürger-Initiative; stellte sich in die Fußgängerzone, die zwar keinen Preis für gelungene Stadtarchitektur gewinnen dürfte, dafür aber gut besucht ist – und legte eine Unterschriftenliste aus. 3200 Unterschriften sind bis heute zusammen gekommen. Gar nicht schlecht, meint Brausen – auch wenn ihn wurmt, dass die Gegner – allen voran Köster, der Nachbar – vier Mal so viele gesammelt haben.
Brausen: "Das ist auch unser Problem. Oder der Leute immer, die etwas für eine Sache tun. Gegner haben sich sehr schnell gefunden. Man sieht auch immer wieder: Wenn irgendwelche Veranstaltungen sind: Gleich mit mehreren Leute da."
Unterschriftenlisten gegen Datteln IV
Die "Nein-Sager".
Brausen: "Wobei wir meist nur mit vier, fünf Leuten da stehen und für eine Sache sind."
Für Datteln IV – und den Rohstoff Kohle.
Brausen: "Es ist schade, dass hier – hauptsächlich auch die Politiker – immer die Richtung ausgegeben haben: Kohle hat bei uns keine Zukunft. Weil eben hohe Subventionen eine Rolle spielten. Und da bin ich der Meinung: Subventionen sind immer dann gut, wenn es in diesem Fall, für uns in der Bundesrepublik Deutschland, um Arbeitsplätze ging."
Sinniert der "Püttologe" – und schaut an diesem trüben Wintermorgen, der halb Datteln inklusive seines Skandal-Meilers unter einer Riesen-Nebelwand verschwinden lässt, nach rechts – zu Mitstreiter Klaus Danielsick. Das CDU-Mitglied kommt aus Olfen, dem Nachbarort auf der anderen Seite der Lippe. Das hindert den Münsterländer nicht daran sich in der Bürgerinitiative zu engagieren. Hier geht es ums Prinzip. Und zwei Grafiken, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hat.
Danielsick: "Das ist die Situation gestern. Die rote Linie – das ist der Verbrauch in Deutschland. Die Last-Linie – das ist das, was die Regenerativen dazu beigetragen haben gestern. Wir hatten gestern so gut wie gar keine Sonne. Wir hatten kaum Wind. Das heißt, die graue Linie – das muss durch die konventionellen Kraftwerke erbracht werden. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Wir können so viele Windräder aufbauen wie wir wollen – das ändert sich nicht. Das heißt, wir brauchen diesen konventionellen Ansatz auch in Zukunft an Kraftwerken. Und dazu gehört auch Datteln IV. Es geht also nicht nur um Datteln IV, sondern es geht um die Bundesrepublik Deutschland; um die Energiewende."
Damit jedem klar wird, was auf dem Spiel steht, haben Danielsick und Brausen kräftig die Werbetrommel gerührt; selbst in Düsseldorf, der Landeshauptstadt. Im Sommer gelang den selbst ernannten Rettern der Energiewende ein richtiger Coup: Kein Geringerer als der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag Norbert Römer schaute bei Brausens zu Hause vorbei, um die Unterschriftenliste in Empfang zu nehmen und sich "auszutauschen", wie Brausen das nennt. Nicht alle in der Meistersiedlung hielten das für eine gute Idee.
Brausen: "Wie Herr Römer antrat, standen bei uns 15 Leute mit großen Plakaten vor meinem Haus. Und haben dagegen protestiert."
Er hier war einer von ihnen:
Köster: "Mein Name ist Rainer Köster. Ich bin Sprecher der Interessen-Gemeinschaft Meister-Siedlung. Die also gegen das Kohlekraftwerk Datteln IV sind."
Köster war mal Polizist. Jetzt ist er im Ruhestand und Gegenspieler seines alten Schulfreundes Brausen. Wo der die Energiewende in Gefahr sieht, sieht Köster nur Rot.
Köster: "Dieses große Kraftwerk is zu nah an unserer Siedlung gebaut. Hier sind Gesetze und Verordnungen missachtet worden. Deshalb sind wir so auf die Barrikaden gegangen."
Allen voran der Mann in der schwarzen Lederhose.
Köster: "Sie sehen ja jetzt den Kühlturm, der circa 180 Meter hoch is. Das alleine ist schon ne bedrängende Wirkung. Aber wenn sie sich jetzt vorstellen, dass der Kühlturm noch qualmt; dass da also Dampf raus kommt, der bis zu 2000 Meter hoch gehen kann: Dann können Sie sich also vorstellen: Dieser Dampf, dieser Qualm, diese Wolke, die dann entsteht, wird uns bestimmt beeinträchtigen."

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Schiffe liegen vor der Schleuse in Datteln in Nordrhein-Westfalen© picture alliance / dpa / Arnulf Stoffel
Wenn die Emissionen von Datteln IV bei schlechter Wetterlage auch auf Kösters Garten runter rieseln könnten. Acht Millionen Tonnen, hat Köster ausgerechnet, würde das "Kraftwerks-Monster" in die Atmosphäre pusten. Jährlich. Er schüttelt den Kopf. So und so eine technologischer Dinosaurier – dieses Kohlekraftwerk. Allein schon die Sache mit dem Wirkungsgrad. Der liegt bei IV5 Prozent. Sprich: Mehr als die Hälfte der Kohle, die verheizt wird, wird gar nicht zu Energie, sondern verpufft. Und dafür soll er jetzt bluten?! Sich damit abfinden, dass bei ihnen in der Meistersiedlung im Jahr 10 Prozent weniger die Sonne scheint, falls Datteln IV ans Netz geht?!
Köster: "Also 35 Tage. Innerhalb von zehn Jahren haben wir ein Jahr Sonnenfinsternis."
(Uhr schlägt aus:
Kornelia Köster: "Das ist meine Uhr aus Oberschlesien. Da komm ich nämlich her." (Uhr schlägt weiter:
Kornelia Köster – die Frau von Dattelns Wutbürger Nummer Eins.
K. Köster: "Jetzt haben wir gedacht: OK. Mit Datteln 1,2,3 können wir leben."
Den drei Altkraftwerken um die Ecke, die nächstes Jahr abgeschaltet werden.
K. Köster: "Aber mit diesem Ding?! Erst Mal sind unsere Häuser im Wert um vierzig Prozent gesunken. Und das möchten wir auch nicht. Warum? Wir haben gespart und die Prüddel gekauft. Und möchten hier auch weiter leben."
Da ist sie nicht alleine. Bianca, ihrer Tochter, geht es genauso.
K. Köster: "Unsere Tochter war schlau und hat hier gebaut. Neben Oma und Opa."
Die kümmern sich nicht nur darum, dass der Protest in der Meistersiedlung nicht nachlässt, sondern auch unter der Woche um die Enkelkinder, Hanni und Tim. Vorzugsweise draußen, im Garten.
K. Köster: "Ich hab noch meine rote Beete da. Mein Sellerie. Das is Knoblauch..."
Alles für den eigenen Kochtopf. Und Hanni und Tim.
Köster: "Am meisten ärgert mich, dass ich meinen Enkelkindern, wenn das Kraftwerk wirklich dampft, nicht zeigen kann, wie man Gemüse anpflanzt."
Noch aber dampft hier nichts. Auch keine 500 Meter entfernt von Kösters kleinem Garten Eden.
"Guten Tag. Michael Frantzen. Vom Deutschlandradio"
Willeke: "Andreas Willeke. Was wollen sie sehen? Die ganze Anlage?"
Jooaa?!
Willeke: "Maschinenhaus? Kesselhaus?"
Mit Werksbesichtigungen kennt sich Andreas Willeke aus. Notgedrungen. Wenn man so will, ist Datteln IV für den Projektleiter zu einer nicht enden wollenden Geschichte geworden.
Willeke: "Dieses Projekt ,reicht mir voll und ganz. Ja. Ich bin für Datteln IV zuständig. Seit Mai 2006."
Ein Jahr später, 2007, wurde der Grundstein für das 1100 Megawatt starke Kraftwerk gelegt.
Willeke: "Sie sehen quasi hier schon auf den ersten Blick: Relativ ungewöhnlich für so ne große Baustelle: Sehr wenige Leute. Was eben zeigt, dass wir zurzeit einen relativ weit ausgedehnten Baustopp haben."
1700 Arbeiter waren zu Spitzenzeiten auf der Baustelle beschäftigt. Lange her. Heute verlieren sich keine 200 auf dem mehrere Fußballfelder großem Gelände.
Willeke: "Sie hören hier im Hintergrund diese surrenden Geräusche. Das is leider nicht das laufende Kraftwerk, das sind die Entfeuchtungsanlagen, die dafür sorgen, dass wir hier in diesen Behältern dort keine Korrosions-Schäden bekommen."
Das Gerichtsurteil aus Münster hat Willekes Leben durcheinander gewirbelt. Der 3. September 2009. Das Datum wird er so schnell nicht vergessen. Dabei war er an diesem Tag selbst gar nicht im Gericht, weil ihm seine Haus-Justiziare gesagt hatten, das sei nicht nötig. Man erwarte keine unangenehmen Überraschungen. Dass die Richter den Bebauungsplan der Stadt und damit das Kraftwerksprojekt kippen könnten, hatte keiner auf dem Schirm.
Willeke: "Wenn ich pünktlich fertig geworden wäre, dann würde ich jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit ein anderes Projekt machen. Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wäre dieses Projekt dann nicht in Deutschland, sondern zum Beispiel in der Türkei oder in Brasilien."
Die Niederlande wären auch eine Option gewesen. Im Rotterdamer Hafen steht ein baugleiches EON-Kohlekraftwerk kurz vor der Inbetriebnahme. Heute Abend will Willeke dorthin fahren, um zu schauen, wie die Niederländer vorankommen.
Willeke: "Das ist schon ein seltsames Gefühl zu erleben, wie quasi das gleiche Kraftwerk auch wirklich schon in Betrieb geht. Obwohl die Kollegen mit dem Projekt gut zwei Jahre nach uns gestartet sind."
Sinniert Willeke, der gebürtige Gelsenkirchener und Schalke-Fan.
Willeke: "Es wird sogar Projekt-intern kolportiert, ich würd mich deshalb so lange hier festhalten, bis Schalke endlich deutscher Meister wird. Aber so viel Zeit haben wa dann doch nich."
Die Stadt Datteln anscheinend schon. Die brütet seit mehr als vier Jahren über einem neuen Bebauungsplan.
Willeke: "Es wird in wahnsinniger Feinarbeit mit akribischer Intensität wirklich jedes kleines Detail der Erstellung dieses Bebauungsplans betrieben. Dort sind – ich kann ruhig sagen – Heerscharen von Gutachtern im Auftrage der Stadt beschäftigt. Auch mehrere Kanzleien, also Rechtskanzleien, die das ganze begleiten, um dafür zu sorgen, dass weder materielle noch formale Fehler unterlaufen."
Werner: "Natürlich sind wir sehr, sehr, sehr vorsichtig geworden."
Ergänzt Wolfgang Werner, Dattelns Bürgermeister.
Werner: "Wir haben ja abgewogen noch mal: Jedes Anlagenteil. Wir haben: Kühlturm, Kesselhaus, Entstickung, Entschwefelung, Entstaubung: Immer verschiedene Varianten gegenüber gestellt. Und haben festgestellt, dass eigentlich (verschwörerisch gesprochen: das, was da steht, schon modernster Stand der Technik is."
Totengräber der Steinkohle
Modern ist nicht unbedingt die erste Assoziation, die einem beim Dattelner Bürgermeister in den Sinn kommt. Ein bisschen wirkt Wolfgang Werner wie ein Fossil. Der Mann mit dem Schnauzbart ist in Datteln groß geworden – mit Kohle und Kohle-Kraftwerken. Anfangs war er selbst im Bergbau tätig. Bevor er 1999 hauptberuflicher Bürgermeister wurde. Das hat Spuren hinterlassen – auch geschmackliche. Datteln IV etwa: Für Werner ist das:
"Ne Landmarke. Nä?! Das is ne Landmarke. Also ich sach auch: Das sieht wesentlich schöner aus als das alte Kraftwerk."
2018 endet die Kohleförderung in Deutschland. Müssen sie in Datteln also Kohle aus Kolumbien und anderswo importieren. Doch wenn das mal so einfach wäre: Laut Landesentwicklungsplan darf in Datteln IV nämlich nur einheimische Kohle verarbeitet werden. Es sei denn, es wird ein sogenanntes "Zielabweichungsverfahren" angestrengt. Der zuständige Regionalverband Ruhr hat dafür grünes Licht gegeben, genau wie die rot-grüne Landesregierung, die sich nach Jahrelangem Hin und Her Anfang Dezember dazu durchgerungen hat. "Wurde auch mal Zeit", zischt Werner, der aus seiner Abneigung den Grünen gegenüber noch nie ein Geheimnis gemacht hat – den "Totengräbern der heimischen Steinkohle". Ohne die Ökos wäre vieles einfacher; so wie damals, als die Welt noch in Ordnung war.
Werner: "Natürlich auch dreckiger. Klar. Die Frauen haben geschimpft: Die Wäsche musste drei Mal gewaschen werden. Aber man hat damit gelebt. Der Aufschwung ist gekommen durch die Kohle. Und ich sach mal: Andere Bundesländer...Bundesländer meine ich jetzt insbesondere Bayern...haben da ganz stark von profifiert. Die stehen jetzt relativ gut da. Vergessen aber, wer eigentlich den Grundstein für deren Wohlstand gelegt hat."
Da Undank bekanntlich der Welten Lohn ist, kann Werner aus dem fernen Bayern keine Unterstützung erwarten – bei der Lösung seines aktuellen Hauptproblems: Datteln IV. Im April wird der Stadtrat höchstwahrscheinlich einen Satzungsbeschluss für den überarbeiteten Bebauungsplans verabschieden. 2015/16 könnte das Kraftwerk den Betrieb aufnehmen. Wird langsam auch Zeit. Schließlich liegen Werner seine Dattelner damit schon seit längerem in den Ohren.
Werner: "Mensch! Mach fertich! Mach fertich, damit ett endlich ans Netz geht."
Kahle: "Mach mal fertich, Eon!"
Auch Andreas Kahle - seines Zeichens "Standort-Kommunikator" von Datteln IV – schätzt eine klare Sprache. Seit 29 Jahren ist er bei Eon, davon die meiste Zeit als Kraftwerkmeister.
Kahle: "Ich war einer von vielen Mitarbeitern ohne Perspektive. Als ett so hieß: Wir schließen die Altkraftwerke, nehmen Datteln IV ans Netz. Im Rahmen dieser Geschichte hat man mir nen paar Stellenangebote quasi vorrem Tisch gelegt. Oder auffen Tisch. Ich hab mich dann beworben, unter anderem auf die Stelle in der Kommunikation. Die hab ich dann auch bekommen."
Seitdem kümmert sich Kahle darum, Datteln IV ins rechte Licht zu rücken. Zwei Mal die Woche tut er das im Besucherzentrum, einem strahlend weißen Bau gegenüber vom Kraftwerk, zu dem hauptsächlich die Einheimischen pilgern. Nicht die schlechtesten hier. Findet der Mann, dem Datteln IV wieder eine Perspektive gegeben hat.
Kahle: "Trägt sein Herz auffe Zunge."
Der Dattelner an und für sich.
Kahle: "Ruhrpott. Sacht, watta denkt. Und denkt, watta sacht. (lacht: Die hauen eigentlich alles so raus, nä?! Ohne große Umschweife. Einfach auffen Punkt kommen. Datt passt mir auch ganz gut innen Kram."
Franziska Krasnici auch, die Chefin von Andreas Kahle. Als gebürtige Ost-Westfälin musste sie sich daran allerdings erst einmal gewöhnen. Damals, als sie wegen des Studiums ins nicht weit entfernte Gelsenkirchen kam. War eine gute Schule. Meint die PR-Frau lachend. Krasnici lebt inzwischen in Datteln. Aus Prinzip.
Krasnici: "Weil ich schon gerne wissen wollte, was denn hier vor Ort los is. Das einfach miterleben wollte anstatt woanders zu wohnen und dann über das Kraftwerk Datteln zu sprechen. Also bin ich direkt hierhergezogen. Is ne kleine Wohnung. Es sind so von hier zwei Kilometer. Mit direktem Blick auf die beiden Kraftwerke."
Letzteren hat man auch vom Besucherzentrum aus.
Krasnici: "So! Jetzt befinden wir uns oben auf dem Dach des Besucherzentrums. Dieses Dach ist für uns besonders wichtig, weil sehr viele Anwohner das Geschehen um den Kraftwerksneubau einfach beobachten wollen. Das heißt, wenn wir Anlieferungen von Großkomponenten haben, stehen hier wirklich 150 Leute."
Heute steht hier nur Herr Schneider.
Krasnici: "Hallo!"
Schneider: "Hallo!"
Krasnici: "Grüße Sie! Sind Sie wieder mit dem Fahrrad hier?"
Schneider: "Ja. Datt is unser Abschluss hier eigentlich. Bevor wir wieder nach Hause gesund und munter bei den Frauen ankommen."
Herr Schneider ist Rentner. Dementsprechend kürzer tritt er.
Schneider: "Jetzt machen wa mal so etwas kürzere Touren hier. Mal so 50 Kilometer, 60 Kilometer, mal auch 100 Kilometer in Oberhausen. Oder Dortmund: Currywurst essen."
Plötzlich in verfeindeten Lagern
Herr Schneider ist Kraftwerks-Fan.
Schneider: "Wir sind mit diesem ganzen Kraftwerk eigentlich verbunden. Wenn ich auf meiner Terrasse stehe, sehe ich den neuen Block drüben. Der stört mich auch nich."
Andere schon.
Schneider: "Bei mir inne Nachbarschaft? Nä! Nä, nä, nä, nä!"
Kein einziger?
Schneider: "Die wissen ja alle, dass ich da bei EON gearbeitet habe. Man lässt mich damit auch zufrieden. Auch wenn ich meine Eon-Mütze aufhabe. Datt geht schon in Ordnung."
Nicht in Ordnung geht, dass sich bei Datteln IV nichts tut.
Schneider: "Bescheuert. Muss ich ehrlich sagen. Bescheuert. Das es nicht ans Netz gehen kann."
Aber vielleicht ändert sich das ja bald. Karl-Heinz Brausen jedenfalls, der Mann von der Bürgerinitiative FÜR das Kraftwerk, übt sich in Zuversicht.
Brausen: "Ich glaube auf jeden Fall: Es geht ans Netz."
Ein paar Häuser weiter in der Siedlung, durch die ein Riss geht, wünscht sich Rainer Köster alles, nur nicht das.
Köster: "Aus dem Grunde versuchen wir eben so lange gegen Eon vorzugehen, bis die von selbst sagen: OK! Das war der falsche Platz, wo wir hier gebaut haben."
In Datteln. Der Stadt, die zwischen Steinkohle-Nostalgie und Moderne schwankt. Ähnlich wie Nordrhein-Westfalen spaltet das Kohlekraftwerk die Bevölkerung – und zuweilen alte Schulfreunde. Die Brausens und Kösters kennen sich schon eine halbe Ewigkeit. Man hat zusammen Feste gefeiert, die Kinder haben zusammen gespielt. Man duzt sich – auch wenn sich beide Familien plötzlich in verfeindeten Lagern wiederfinden. Ändern sich schon mal die Perspektiven.
Brausen: "Ne Freundschaft?! Wir waren gute Bekannte. Die Eltern waren zusammen auf der Zeche. Die da stand. Darum haben wir ja auch hier gewohnt. Ortsnah. Daher kannten wir uns sehr gut."
Köster: "Wissen se: Ich bin mit dem Karl-Heinz Brausen zusammen groß geworden. In dieser Siedlung. So ein Kraftwerk wird also nicht bringen, dass wir uns gegenseitig nicht mehr grüßen und nicht miteinander sprechen."
K. Köster: "Wir halten Schwätzken wie früher auch immer. Deswegen schlag ich mich mit Keinem. Nachbarschaft is Nachbarschaft."