Ruhestand ist nicht gleich Stillstand
Viele, die endlich den lang ersehnten Ruhestand erreichen, fallen erstmal in ein Loch: Was anfangen mit der vielen Zeit? Wozu bin ich noch nutze? Vor allem die Partnerschaft leidet dann, denn die ungewohnte enge Zweisamkeit muss erst neu erlernt werden, berichtet die Journalistin Bettina von Kleist in ihrem Buch "Wenn der Wecker nicht mehr klingelt".
"Vor zwei Jahren wurde ich kurz vor Pfingsten pensioniert, und am Pfingstdienstag fiel ich in ein Loch: Was soll ich denn noch? Ich kam mir nutzlos vor", erzählt der Ex-Schuldirektor Michael Gregor über seine Gefühle nach der Pensionierung. Er war, so sagt er, "in einem Zustand der Betäubung". Nichts, aber auch gar nichts lies der heute 66-Jährige an sich ran kommen. Er fiel in ein tiefes, leeres Loch. Sehr zum Schrecken seiner Frau Isabella Gregor, die mit solch einer Reaktion überhaupt nicht gerechnet hat. Ganz im Gegenteil: sie hatte sich für ihn gefreut und geglaubt, nun hätte ihr Mann Zeit für seine Leidenschaft – das Lesen.
Und so mischt sich schnell auch Ärger über das Verhalten ihres Mannes in ihr Mitgefühl. "Ich hatte das Gefühl ich müsste ihn mal rütteln: Komm doch raus aus deiner Lethargie! Mach mal was, und wenn du nur Kartoffeln schälst!"
Letztendlich hilft sie ihm genau damit. Langsam kommt Michael Gregor raus aus seinem Tief und fängt an das Nichtstun zu genießen. Er sucht sich kleine Aufgaben, kocht gerne, bügelt und lernt Italienisch. Oder guckt eben einfach auch mal nur in die Luft – ohne sich dabei blöd oder nutzlos vorzukommen. Michael Gregor ist angekommen im Ruhestand. Und: seine Frau ist noch bei ihm.
Sie hat ihn unterstützt, ihm geholfen und freut sich nun selbst bald in den Ruhestand zu gehen. Sie freut sich auf die gemeinsame Zweisamkeit - auch wenn sie schon jetzt manchmal genervt ist, dass sie nie mehr zuhause allein ist. Ihr Rezept dagegen heißt: Urlaub allein!
Dreizehn Paare und sechs Einzelpersonen hat die Journalistin Bettina von Kleist ausführlich nach ihren Gefühlen, ihren Schwierigkeiten und ihren Lösungswegen befragt, wenn der Ruhestand beginnt und der Wecker nicht mehr klingelt. Dabei hat die Autorin des gleichnamigen Buches vor allem interessiert:
Wie gehen Paare damit um, wenn einer oder sogar beide in den Ruhestand gehen? Was bringt die neue enge Zweisamkeit mit sich: braucht es Distanz oder eine besondere Anpassung, um weiter glücklich zusammen zu leben? Oder birgt die neue permanente Nähe auch die Gefahr einer späten Trennung? Nichts lässt Bettina von Kleist ungefragt. Sie hat gebohrt, Langzeitstudien studiert und Fachleute konsultiert.
Herausgekommen ist so ein bewegendes, ein kluges Buch über die große Bandbreite unterschiedlicher Lebensmodelle im Umgang mit dem Ruhestand und mit dem Alter. Denn hier gibt es keinen Einheitsbrei von "so machen sie es richtig und so falsch".
Hier erwarten den Leser oder die Leserin keine Ratschläge, keine gutgemeinten Tipps, sondern lebendige, ehrliche und offene Schilderungen über eine Zeit, die mittlerweile länger ist als Kindheit und Jugend zusammen. (Schon heute sind die Deutschen im Schnitt 18 Jahre im bezahlten Ruhestand.)
Und die daher genauso ihre "ups and downs" mit sich bringt, ihre Veränderungen, ihre guten und schlechten Seiten. Von jeder lesen wir in Bettina von Kleists 237-seitigem Buch.
Da kommen Paare zu Wort, die erkennen, dass sie feste Regeln und Rituale auch im Ruhestand brauchen genauso wie die andern, die eben solche über Bord schmeißen. Es gibt die Paare, die über ihre Sexualität sprechen und solche, die darüber schweigen. Dann wieder beschreiben die Paare ihren Ruhestand, die schon immer einen festen Freundeskreis hatten und die sich mit ihren Kindern gut verstehen oder aber die, die weder das eine, noch das andere haben.
Da gibt es Paare wie die Gregors, die es schaffen, sich neu zu organisieren. Es gibt aber auch welche, die scheitern: So wie die Quandts. Nach 22 Jahren Ehe und nach nur wenigen Monaten des Ruhestandes ihres Mannes verlässt Karen Quandt ihren Mann. Anstatt sie wie gehofft zu entlasten, sich mehr um Haushalt und die fast erwachsenen Kinder zu kümmern, erträgt Christian Quandt den Trubel und die Hektik nicht. Es ist ihm unmöglich seine noch berufstätige Frau zu unterstützen. Vielmehr will auch er umsorgt werden, will seine Ruhe haben. Weil sie sich einigen können, ihre Bedürfnisse nicht unter einen Hut bringen, ziehen beide ein getrenntes Leben vor.
Doch egal wie es ausgeht, welchen Weg die Paare begehen, Bettina von Kleist zeigt: Der Ruhestand beginnt keineswegs mit Ruhe oder gar mit Stillstand. Vielmehr muss vieles neu ausgehandelt werden, im Haushalt wie auch in den anderen Alltagsabläufen. Dabei zeigt sich: Männer tun sich schwerer mit dem Abschied, sie fühlen sich schneller nutzlos, wenn die Arbeit der Vergangenheit angehört und sie haben weniger Freunde. Frauen hingegen fällt es leichter sich neu zu orientieren, sie haben mehr Sozialkontakte und sie genießen die neue Freiheit.
Für Frau wie Mann aber gilt: Jeder muss die Andersartigkeit seines Partners neu entdecken; man muss lernen, sich Freiräume einzuräumen. Und oft muss man erst einmal sich selbst entdecken, seine Sehnsüchte und Ängste, bevor man sich neue Aufgaben sucht. Und die suchen sich die meisten Ruheständler: immerhin jeder sechste übernahm in den 90er Jahren ein offizielles Ehrenamt. Die anderen kümmern sich um Enkelkinder, bestellen Gärten, treffen Freunde, malen, basteln, helfen den Nachbarn oder aber lassen einfach nur die Seele baumeln, schauen Fernsehen, lesen und genießen das Altwerden.
Denn ja, auch das wird in diesem sehr lesenswerten und unterhaltsamen Buch vermittelt: Ruhestand und Alter sind keine lästige Krankheit. Beide gehören zum Leben dazu. Und je eher man das versteht und akzeptiert, auch schon als junger Mensch, um so eher ist man auch in der Lage, sich auch noch jenseits der sechzig wohl zu fühlen und das Leben humorvoll zu nehmen. Etwa so wie Maurice Chevalier. Auf die Frage, wie er mit dem Alter fertig werde, antwortete er:
"Very well, considering the alternative" - "Sehr gut, wenn man die Alternative bedenkt".
Bettina von Kleist: Wenn der Wecker nicht mehr klingelt
Ch. Links Verlag,
237 Seiten. 14,90 Euro.
Und so mischt sich schnell auch Ärger über das Verhalten ihres Mannes in ihr Mitgefühl. "Ich hatte das Gefühl ich müsste ihn mal rütteln: Komm doch raus aus deiner Lethargie! Mach mal was, und wenn du nur Kartoffeln schälst!"
Letztendlich hilft sie ihm genau damit. Langsam kommt Michael Gregor raus aus seinem Tief und fängt an das Nichtstun zu genießen. Er sucht sich kleine Aufgaben, kocht gerne, bügelt und lernt Italienisch. Oder guckt eben einfach auch mal nur in die Luft – ohne sich dabei blöd oder nutzlos vorzukommen. Michael Gregor ist angekommen im Ruhestand. Und: seine Frau ist noch bei ihm.
Sie hat ihn unterstützt, ihm geholfen und freut sich nun selbst bald in den Ruhestand zu gehen. Sie freut sich auf die gemeinsame Zweisamkeit - auch wenn sie schon jetzt manchmal genervt ist, dass sie nie mehr zuhause allein ist. Ihr Rezept dagegen heißt: Urlaub allein!
Dreizehn Paare und sechs Einzelpersonen hat die Journalistin Bettina von Kleist ausführlich nach ihren Gefühlen, ihren Schwierigkeiten und ihren Lösungswegen befragt, wenn der Ruhestand beginnt und der Wecker nicht mehr klingelt. Dabei hat die Autorin des gleichnamigen Buches vor allem interessiert:
Wie gehen Paare damit um, wenn einer oder sogar beide in den Ruhestand gehen? Was bringt die neue enge Zweisamkeit mit sich: braucht es Distanz oder eine besondere Anpassung, um weiter glücklich zusammen zu leben? Oder birgt die neue permanente Nähe auch die Gefahr einer späten Trennung? Nichts lässt Bettina von Kleist ungefragt. Sie hat gebohrt, Langzeitstudien studiert und Fachleute konsultiert.
Herausgekommen ist so ein bewegendes, ein kluges Buch über die große Bandbreite unterschiedlicher Lebensmodelle im Umgang mit dem Ruhestand und mit dem Alter. Denn hier gibt es keinen Einheitsbrei von "so machen sie es richtig und so falsch".
Hier erwarten den Leser oder die Leserin keine Ratschläge, keine gutgemeinten Tipps, sondern lebendige, ehrliche und offene Schilderungen über eine Zeit, die mittlerweile länger ist als Kindheit und Jugend zusammen. (Schon heute sind die Deutschen im Schnitt 18 Jahre im bezahlten Ruhestand.)
Und die daher genauso ihre "ups and downs" mit sich bringt, ihre Veränderungen, ihre guten und schlechten Seiten. Von jeder lesen wir in Bettina von Kleists 237-seitigem Buch.
Da kommen Paare zu Wort, die erkennen, dass sie feste Regeln und Rituale auch im Ruhestand brauchen genauso wie die andern, die eben solche über Bord schmeißen. Es gibt die Paare, die über ihre Sexualität sprechen und solche, die darüber schweigen. Dann wieder beschreiben die Paare ihren Ruhestand, die schon immer einen festen Freundeskreis hatten und die sich mit ihren Kindern gut verstehen oder aber die, die weder das eine, noch das andere haben.
Da gibt es Paare wie die Gregors, die es schaffen, sich neu zu organisieren. Es gibt aber auch welche, die scheitern: So wie die Quandts. Nach 22 Jahren Ehe und nach nur wenigen Monaten des Ruhestandes ihres Mannes verlässt Karen Quandt ihren Mann. Anstatt sie wie gehofft zu entlasten, sich mehr um Haushalt und die fast erwachsenen Kinder zu kümmern, erträgt Christian Quandt den Trubel und die Hektik nicht. Es ist ihm unmöglich seine noch berufstätige Frau zu unterstützen. Vielmehr will auch er umsorgt werden, will seine Ruhe haben. Weil sie sich einigen können, ihre Bedürfnisse nicht unter einen Hut bringen, ziehen beide ein getrenntes Leben vor.
Doch egal wie es ausgeht, welchen Weg die Paare begehen, Bettina von Kleist zeigt: Der Ruhestand beginnt keineswegs mit Ruhe oder gar mit Stillstand. Vielmehr muss vieles neu ausgehandelt werden, im Haushalt wie auch in den anderen Alltagsabläufen. Dabei zeigt sich: Männer tun sich schwerer mit dem Abschied, sie fühlen sich schneller nutzlos, wenn die Arbeit der Vergangenheit angehört und sie haben weniger Freunde. Frauen hingegen fällt es leichter sich neu zu orientieren, sie haben mehr Sozialkontakte und sie genießen die neue Freiheit.
Für Frau wie Mann aber gilt: Jeder muss die Andersartigkeit seines Partners neu entdecken; man muss lernen, sich Freiräume einzuräumen. Und oft muss man erst einmal sich selbst entdecken, seine Sehnsüchte und Ängste, bevor man sich neue Aufgaben sucht. Und die suchen sich die meisten Ruheständler: immerhin jeder sechste übernahm in den 90er Jahren ein offizielles Ehrenamt. Die anderen kümmern sich um Enkelkinder, bestellen Gärten, treffen Freunde, malen, basteln, helfen den Nachbarn oder aber lassen einfach nur die Seele baumeln, schauen Fernsehen, lesen und genießen das Altwerden.
Denn ja, auch das wird in diesem sehr lesenswerten und unterhaltsamen Buch vermittelt: Ruhestand und Alter sind keine lästige Krankheit. Beide gehören zum Leben dazu. Und je eher man das versteht und akzeptiert, auch schon als junger Mensch, um so eher ist man auch in der Lage, sich auch noch jenseits der sechzig wohl zu fühlen und das Leben humorvoll zu nehmen. Etwa so wie Maurice Chevalier. Auf die Frage, wie er mit dem Alter fertig werde, antwortete er:
"Very well, considering the alternative" - "Sehr gut, wenn man die Alternative bedenkt".
Bettina von Kleist: Wenn der Wecker nicht mehr klingelt
Ch. Links Verlag,
237 Seiten. 14,90 Euro.