Ruhepunkt im lärmenden Kunstbetrieb

Von Volkhard App |
Während der diesjährige Kunstsommer allerhand große Events zu bieten hat, setzt das <papaya:link href="http://www.martaherford.de/pages/de/museum/aktuelle_ausstellungen/martaschweigt.html" text="Museum MARTa Herford" title="Museum MARTa Herford" target="_blank" /> einen gegenteiligen Akzent: Mit der Ausstellung "MARTa schweigt - Die Kunst der Stille von Duchamp bis heute" wird der Schwerpunkt auf Schweigen, Stille und Leere gesetzt. Dabei schlägt die Schau einen historischen Bogen von den Etruskern bis zur Moderne.
"MARTa schweigt" - aber dieses Schweigen ist denn doch beredt, wird gespeist aus der reichhaltigen Formensprache der Moderne. Die magischen Kreise Richard Longs aus Zweigen und Kalksteinbrocken fehlen dabei ebenso wenig wie der "TV-Buddha" Nam June Paiks, ein von Gerhard Richter gemalter leerer Korridor ist genauso vertreten wie die von Joseph Beuys gestapelten Filmrollen des Klassikers "Das Schweigen" oder leere Kinoleinwände, fotografiert von Hiroshi Sugimoto. Die rund 100 Gemälde, Zeichnungen, Fotos, Objekte und Installationen sollen mit ihren Spielarten von Stille ein Gegengewicht bilden zum lärmenden Kunstbetrieb dieses Sommers mit einander jagenden Events. Marta-Direktor Jan Hoet:

"In der Tat. Man spricht ungeheuer laut über die Kunst – auch gegen sie. Und da habe ich es für wichtig gehalten, mal in aller Stille eine Ausstellung zu machen: über das Schweigen. Mit ruhiger Kunst, auch monochromen Arbeiten, solchen, die ätherisch sind. Von Künstlern, die wie Mönche sind – in einer Gesellschaft, die immer lauter wird."

Mit dieser Absicht geht der öffentlichkeitswirksame Documenta-Entertainer von 1992 wohl auch auf Distanz zu einem Teil seiner eigenen Biographie.
Immerhin hat die neue Schau den Hoet-spezifischen Charakter einer phantasievollen Gemengelage - locker, mit vielen Facetten und Nebenpfaden wird das Themenfeld "Schweigen, Stille und Leere" umspielt.

So einzigartig ist es allerdings nicht, diesen Horizont abzuschreiten – das verwandte Spektrum reicht da von Harald Szeemanns unvergessener Schau "Zeitlos" im Hamburger Bahnhof der achtziger Jahre bis zur Ausstellung "Nichts" vor Monaten in der Frankfurter Schirn. In Herford setzt man diese Expeditionen nun ideenreich fort – mit einer Bandbreite, die sich von Marcel Duchamp bis zu Candida Höfer erstreckt und von Yves Klein bis zu Anselm Kiefer.

Auch der Tod hat sich in dieser komplexen Schau eingefunden, wobei mit den zehn Siebdrucken Andy Warhols allerdings ein morbider Zug eingezogen ist, variieren sie doch in grellen Farben das Motiv des Elektrischen Stuhls. Hoet:

"Das Schweigen ist hier absolut im Sinne des Todes. Da habe ich an Andy Warhol gedacht, aber ich hatte auch das Problem, dass diese Arbeiten zu bunt waren. Deshalb habe ich sie so hoch gehängt. Jetzt können sie aus einem gewissen Abstand interpretiert werden."

Besonders schön sind jene Arbeiten, die die Stille als Fehlen musikalischer Töne definieren. John Cage setzte sich einst, umbraust vom Großstadttrubel, vor Publikum an ein Klavier und beendete seine Performance, ohne die Tasten berührt zu haben, nach 4 Minuten und 33 Sekunden – so auch der Titel des verblüffenden Opus.
Von Edward Lipski wiederum hängt ein großer Vogel im Raum, mit prächtigem schwarzen Gefieder – aber beim Nähertreten stellen sich doch Irritationen ein. Marta-Sprecher Nils Vandré:

"Man sieht, dass dieser Vogel sehr naturalistisch gearbeitet ist und versucht herauszufinden, welcher Singvogel das ist. Bei der Betrachtung merken wir dann, dass er gar keinen Schnabel hat, auch der ist von Federn eingefasst. Und auch Augen gibt es nicht. Es sind keine Töne möglich, dieser Vogel wird nicht singen. Wir sind in die Irre geführt worden."

Kein Gesang nirgends, über allen Wipfeln ist Ruh’.
Einer der eindrucksvollsten Beiträge stammt von Juan Munoz: fünf weiße Trommeln hinter Gitter in einem Kasten an der Wand:

"Wir sehen keine Schlägel, keinen Trommler – und fragen uns, was es im Einzelnen damit auf sich hat. Und wenn wir näher kommen, merken wir, dass das Kunstwerk vor unseren Augen buchstäblich verschwindet, das liegt an dem Metallgitter mit seiner Lochstanzung."

Komisch ist das Werk aus der respektlosen Fabrikation Martin Kippenbergers – hat er doch ein monochromes Gemälde von Gerhard Richter als Tischplatte zweckentfremdet: eingearbeitet in ein schnödes Beistellmöbel – "Modell Continental". Das Kunstwerk eines anderen wurde so zum Verschwinden gebracht – ein Affront gegen die spekulative Kunstszene und ihre Stars.

Bei soviel Moderne nimmt es in Herford Wunder, dass Jan Hoet mit Sarkophagen, Vasen und anderen Objekten auch seltene Zeugnisse der Etrusker einbezogen hat und so einen Bogen über weit mehr als 2000 Jahre schlägt – hin zu einer Kultur, die einst eine Mittlerstellung zwischen Griechen und Römern innehatte und dann ausgelöscht wurde. Mit dieser Kunst hat sich Hoet intensiv auseinandergesetzt:

"Die Etrusker habe ich unter das Dach von ‚Marta schweigt’ gestellt, weil die Etrusker zum Schweigen gezwungen wurden – durch die Römer. Alles wurde ‚romanisiert’. Übrigens, die Schrift von Etruskern ist noch immer nicht entziffert."

Mit dem Hinweis auf die Etrusker, das Verschwinden ihrer Kultur, erreicht das komplexe Themenfeld seine denkbar weiteste Ausdehnung. Aber es teilt sich in Herford eben nicht als wildes Durcheinander, sondern als geistig anregendes Arrangement mit - und nicht zuletzt als Lob auf die Kraft der Stille. Der Untertitel dieser Ausstellung, eine Kapitell-Inschrift aus dem 11. Jahrhundert, könnte uns sogar als Mahnung durch diesen Kunstsommer begleiten: "Bewahre die Stille, die Stille wird dich behüten."