Ruhe für das reisehungrige Leben

Rezensiert von Frank Meyer · 25.08.2006
Der Journalist Helge Timmerberg war viel unterwegs. 60 Prozent der Erde hat er inzwischen bereist, wie er nicht ohne Stolz in "Eine Reise nach Indien" vermerkt. Auf dem Subkontinent will er ans Ende seiner Reisen kommen. Seine plakativen Schilderungen führen einem manche indische Eigenheit vor Augen, vor allem aber zeigen sie alle zurück auf sein eigenes Ego.
"Ich sehe auf meine Füße herunter, die von heiligen Wellen umspült werden, und wünsche mir vom Gangesmeer, dass sie endlich still stehen, dass sie nicht mehr weiterlaufen, weiter und weiter. Wie nun schon seit 30 Jahren."

Der Journalist Helge Timmerberg ist Anfang 50, als er sich vom Gangesmeer Ruhe wünscht für sein reisehungriges Leben. Mit 17 Jahren war er zum ersten Mal in Indien unterwegs, inzwischen hat er 60 Prozent der Erde bereist, was er nicht ohne Stolz vermerkt.

Begegnungen mit Jaguaren, Giftschlangen und der Syphilis haben zu seinen Touren gehört, und jetzt will der Journalist Timmerberg ans Ende seiner Reisen kommen, wenn ihn denn der Ganges erhört. Seine Fahrt an diesen Fluss soll eine Reise zu ihm selbst werden, zu dem jungen Mann, der er einmal war, und zum Abschluss eines langen Kapitels in seinem Leben.

Deshalb ist es nur logisch, wenn Timmerberg in seiner "Reise durch Indien" zumeist von Helge Timmerberg spricht. Und da geht er manchmal richtig ins Detail. An seinem Ausgangspunkt, in der früheren Hauptstadt Delhi, präsentiert er am eigenen Körper den Delhi-Belly, die spezielle Diarrhöe, die fast jeden Ausländer beim Kontakt mit der wahren indischen Küche befällt.

Bei seiner ersten Berührung mit dem Ganges, an der Quelle in fast 4000 Meter Höhe, bittet er den dort zuständigen Gott Shiva um mehr Klarheit in seinem Leben, einen Moment später denkt er über den richtigen Moment für den nächsten Joint nach. Die Versenkung in ein Thema oder einen Moment ist nicht Timmerbergs Sache, dafür hält er zu sehr nach der nächsten sich bietenden Pointe Ausschau.

Immerhin ist er gut unterwegs. Der Journalist reist nicht den ganzen 2500 Kilometer langen Riesenstrom herunter, dafür ist ihm manche Passage zu gefährlich oder zu beschwerlich.

Aber er macht an markanten Stationen halt, in Rishikesh zum Beispiel, der Yoga-Hauptstadt der Welt, wo er über den Unterschied zwischen Bettlern und Bettelmönchen nachsinnt. Er fährt nach Haridwar, in die Stadt, in der alle zwölf Jahre Kumbh Mela stattfindet, das größte Fest der Welt mit zehn Millionen Teilnehmern. Timmerberg fliegt nach Varanasi, in die Stadt, in der die Hindus die Asche ihrer Verstorbenen an den Ganges übergeben. Nicht nur die Asche, wie man bei ihm erfährt, auch Knochen, Schädel und verkohlte Fleischreste geraten bei diesen Flussbestattungen massenhaft mit ins Wasser und tragen zu der sagenhaften Verschmutzung des Ganges bei. Und schließlich tritt Helge Timmerberg südlich von Kalkutta ins Gangesmeer, an der Mündung des Flusses, um den Kreis seiner Reisen zu schließen.

"Bisher kannte ich nur zwei Typen von Indern, die alten und die neuen. Die alten glaubten an Mantras, die neuen an Millionen."

So großzügig wie bei dieser Inder-Typisierung geht Timmerberg gerne vor. die Bettler, die Mönche, die Bengalen. Seine plakativen Schilderungen führen einem manche indische Eigenheit vor Augen, vor allem aber zeigen sie alle zurück auf sein eigenes Ego.

Helge Timmerberg schreibt heute als gefragter Journalist für "Stern", "Zeit", "Merian" und "Playboy". Timmerberg hat auch für "Tempo" gearbeitet, die Zeitschrift, die in den 80er Jahren den amerikanischen New Journalism nach Deutschland gebracht hat, einen subjektiven und literarisierenden Reportagestil, der den großen Vorbildern Truman Capote oder Hunter S. Thompson nacheiferte.

Helge Timmerbergs Indien-Buch liest sich wie ein später Versuch in dieser Methode, dem allerdings die Radikalität im Blick auf die eigene Person und die Neugier auf das Fremde fehlt.

Helge Timmerberg: Shiva Moon. Eine Reise durch Indien
Rowohlt Verlag, Berlin 2006
207 Seiten, 17,90 Euro