Rücktritte in der Politik

"Erkennen, wann es wirklich vorbei ist"

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Anne Spiegel musste als erste Ministerin des Kabinetts Scholz zurücktreten.
Verstolperter Rückzug vom Amt: Anne Spiegel, nun ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
Moritz Küpper im Gespräch mit Julius Stucke · 12.04.2022
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Anne Spiegel ist das jüngste Beispiel für einen mehr oder weniger missglückten Rückzug von einem hohen politischen Amt. Mit Würde klappe ein Rücktritt nur, wenn dieser eine eigene Entscheidung sei, sagt der Journalist Moritz Küpper.
Der Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel war augenscheinlich kein freiwilliges Ausscheiden aus dem Amt, sondern erzwungen - unter anderem von ihrer eigenen Partei, den Grünen. Wie macht man das richtig, sich zurückziehen?
"Das Wichtigste ist, dass man sich vor Augen führt: Irgendwann fängt etwas an und irgendwann hört immer auch etwas auf", sagt Moritz Küpper, Autor des Buches "Rücktritte. Über die Kunst, ein Amt zu verlassen" und Moderator beim Deutschlandfunk.

Am besten ist es, wenn man es würdevoll macht und damit eben selbst eine Entscheidung trifft, wenn es also selbstgewählt ist.

Moritz Küpper

Als positive Beispiele, die Respekt erzeugt hätten, nennt der Journalist Margot Käßmanns Rücktritt als EKD-Vorsitzende und den Rückzug von Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der damit die politische Verantwortung für einen RAF-Mord übernahm.
Für Anne Spiegel, deren bundespolitische Karriere gerade erst begonnen hatte, sei es wohl schwieriger gewesen, die Notwendigkeit eines Rücktritts einzusehen, zumal das ihr zur Last gelegte Verhalten vor dem Berliner Ministeramt lag, sagt Küpper: "Dann ist es ganz schwer zu sagen: Das sind jetzt triftige Gründe, ich kann nicht weitermachen."

Wer hat das dickste Fell?

Es gebe verschiedene Faktoren wie zum Beispiel Wahltermine, die den Druck in Richtung eines Rücktritts erhöhen könnten, sagt Küpper. Er sieht ein gewisses Dilemma: Politiker, die ein dickes Fell hätten und am Amt klebten, träten nur unter maximalem Druck ab, etwa wenn sie den Rückhalt im Kabinett oder in der Partei verlören. So hätte der ehemalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen des "Maut-Desasters" eigentlich zurücktreten müssen, meint Küpper.
Als Politiker dürfe man natürlich nicht sofort die Brocken hinschmeißen, man müsse auch in gewisser Weise widerstandsfähig sein, doch "das Fell scheint bei manchen immer dicker geworden zu sein", was auch mit den öffentlichen Anfeindungen in den Sozialen Netzwerken zu tun habe.
Das bringt nach Küppers Beobachtung allerdings das Problem mit sich, "dass man vielleicht gar nicht mehr erkennt, wann es dann wirklich vorbei ist".
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