Rückschau auf einen Außenseiter

29.10.2009
Seit einigen Jahren stellt das jüdische Museum Rendsburg in Sonderausstellungen ungewöhnliche oder zu Unrecht vergessene Künstler vor. Auf die jüdischen Maler Felix Nussbaum und Ludwig Meidner folgt nun eine Retrospektive des österreichischen Malers Georg Eisler, der seit fast 20 Jahren nicht mehr in der Bundesrepublik ausgestellt wurde.
Auf großem Format zeigt Georg Eisler das alltägliche Gedrängel in den Straßen unserer Großstädte: Zeigt, wie Menschen müde auf die Straßenbahn warten, zusammengequetscht in der U-Bahn stehen, oder allein in riesigen Caféhäusern hocken. Immer wieder malt er auch Demonstrationsbilder, auf denen martialisch ausstaffierte Polizisten gegen Demonstranten vorgehen. Oder Bilder von Huren, die ihre Körper zu Markte tragen.

Georg Eisler, 1928 in Wien geboren und 1998 dort gestorben, zeigt den Menschen nicht als Individuum, sondern als Teil der Masse. Eine Masse, die keine Gemeinschaft stiftet - außer auf den Demonstrationsbildern.

Mit diesem nüchternen Blick auf Wirklichkeit, den Eisler bereits Ende der 40er-Jahre entwickelte, machte sich der Künstler in Österreich viele Feinde. Denn, so Christian Walda, Leiter des Jüdischen Museums Rendsburg:

"Die Zeit wollte in Deutschland und in Österreich keine gegenständliche Kunst, vor allem keine realistische Kunst. ... Die realistische Kunst hat immer die Gefahr aus dieser Sicht, dass sie auch die jüngste Vergangenheit thematisiert. Nämlich den Faschismus, den Krieg und den Genozid. Und das war den Leuten ganz obskur. Da waren Farbsaucen, oder zusammengestellte Farbornamente, oder Stahlkugeln - das war ja in den 60ern noch stärker - das war denen lieber."

Georg Eisler, Sohn des berühmten Komponisten Hanns Eisler und der Sängerin Charlotte Eisler, hatte als Kind von Kommunisten die Bedrohung durch die österreichischen Faschisten erlebt, die blutige Niederschlagung von Arbeiteraufständen, die Verhaftung von Kommunisten, die Verfolgung von Juden. 1936 floh er - nachdem seine Eltern sich getrennt hatten - mit seiner Mutter nach Moskau ins Exil. 1938 gelangte er über Prag nach London. Dort besuchte er eine Malschule, wurde von Oskar Kokoschka gefördert, und hatte seine erste Ausstellung. Als er 1946 - gerade 18 Jahre alt - nach Wien zurückkehrte, schlug ihm offener Hass entgegen.

"In Österreich herrschte, wie in Deutschland auch, aber noch stärker, von der Atmosphäre her das Feindbild der Exilanten: Die den Krieg nicht mitgemacht haben, die das 'von der Loge', wie das mal jemand gesagt hat aus betrachtet haben. Das betraf natürlich eigentlich erwachsene Leute, und nicht Leute, die mit acht Jahren gehen mussten. ... Also die Atmosphäre war sehr, sehr feindlich. Und das blieb auch viele viele Jahre so."

In dieser Situation entwickelte Eisler eine ganz eigene Vorstellung von realistischer Malerei, die die engagierte Ausstellung nun anhand von über 80 Arbeiten aus allen Schaffensphasen vorstellt. Darunter sind zahlreiche Stadt- und Menschenbilder, einige Landschaften sowie Akte. Keine idealisierenden, schönen Frauenbildnisse, sondern - wie auf den Massenbildern - isolierte Menschen. Modelle, die ihre Arbeit machen, weil sie das Geld brauchen.

Eisler malt all dies nicht abbildhaft genau, sondern fügt Gegenstände und Figuren aus Farbflächen zusammen. Er war - das hatte er bei Kokoschka gelernt - ein strenger Kolorist. Ihn interessierte nicht die klare Linie, sondern das Grobe, Skizzenhafte, das dem Betrachter ermöglicht, das Bild mit seinen Erfahrungen aufzufüllen. Mit diesen Vorstellungen von Kunst stand er im feindlichen Wien nicht ganz allein.

"Realismus war ja nicht angesagt in der Nachkriegszeit. Allerdings gab es nach wie vor den großen Aktmaler Herbert Böckel. Und bei Herbert Böckel gab es einen ganz berühmten Abendakt. Und da waren auch Künstler wie Alfred Hrdlicka, Rudolf Schönwald, Fritz Martins. Das war eine Gruppe, die sich wirklich auch bestätigt hat. Die haben sich auch als Außenseiter gesehen, ganz klar."

Besonders wichtig war Eisler die Zeichnung. Mit ihr erfasste er die Welt. Und - das veranschaulichen die zahlreichen ausgestellten Skizzen und Skizzenbücher - aus dem schnellen, flüchtigen Festhalten von Alltagsszenen entwickelte er die Themen für seine Gemälde.
Christian Walda:

"Er zeichnet täglich in seine kleinen Skizzenbücher, die er überall mit hinnimmt. Er ist im Caféhaus, in der Landschaft oder im Urlaub. Er ist im Jazzclub oder er ist gerade in der Straßenbahn. Immer hat er das Skizzenbuch dabei und skizziert auch wirklich."

Durch seine wirklichkeitsbezogene Malerei blieb Eisler bis in die 60er-Jahre hinein ein kaum beachteter Außenseiter. Erst Mitte der 60er erhielt er regelmäßig Ausstellungsmöglichkeiten, Professuren, und sogar den Österreichischen Staatspreis für Malerei - ganz so, als wollten die Offiziellen damit seine Arbeit entschärfen - wie sie es auch bei Thomas Bernhard und Alfred Hrdlicka versuchten. Doch Georg Eisler blieb mit seiner Malerei Einzelgänger: einer Malerei, die auf den ersten Blick still, fast unscheinbar daherkommt - bis einem plötzlich klar wird, dass es nirgendwo auf seinen Menschenbildern ein Miteinander gibt, geschweige denn ein Füreinander, sondern nur ein Nebeneinander. Dass alle diese Menschen - also wir - wirklich verurteilt scheinen zum mechanischen Funktionieren. Zum Reflex, nicht zur Reflexion, wie einst der österreichische Kunsthistoriker Wieland Schmied formulierte. Was doch wohl nicht richtig sein kann. Womit sich Eisler als zutiefst humanistischer Künstler erweist.