"Rückfall in die Kleinstaaterei"

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Deutsche Kulturrat hat vor einem kultur- und bildungspolitischen Rückfall in die Kleinstaaterei durch die Föderalismusreform gewarnt. Durch eine weitgehend alleinige Zuständigkeit der Länder für die Bildungs- und Kulturpolitik würden wichtige Gestaltungsmöglichkeiten aufgegeben, sagte der Kulturratsvorsitzende Max Fuchs. Er verwies auf das Ganztagsschulprogramm, in dem auf Initiative des Bundes viele gute Konzepte entwickelt worden seien.
Marie Sagenschneider: Die Anhörungen zeigen Wirkung. Zumindest scheint es so, als würde die Föderalismusreform so, wie sie bislang geplant ist, nicht verabschiedet werden, denn immer mehr Parlamentarier drängen auf Änderungen, zum Beispiel beim Thema Bildung und Forschung. Schließlich könne man nicht die Appelle und Mahnungen sowie den gesamten Fachverstand aus der Wissenschaft ignorieren, hieß es aus den Reihen der SPD. Dieser Fachverstand wird heute wieder gefragt sein, 24 Experten werden sich zu der öffentlichen Anhörung zur Föderalismusreform dazu äußern, wie sie die Folgen für die Bildungspolitik einschätzen, die ja künftig vollständig in die Hände der Länder gelegt werden soll. Auch Professor Max Fuchs, der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats, zählt zu den Kritikern dieser Pläne. Er ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Fuchs.

Max Fuchs: Guten Morgen, Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Was steht denn für Sie im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung, wenn es um die Bildung geht? Ist es das Kooperationsverbot, wonach ja in Zukunft finanzielle Initiativen des Bundes - wir kennen das vom Ganztagsschulprogramm - dann nicht mehr möglich wären?

Fuchs: Ja das ist natürlich eine ganz wichtige Frage. Gerade dieses Ganztagsschulprogramm hat ja wichtige Impulse auch bei der Reform des deutschen Bildungswesens - und dies in allen 16 Ländern - provoziert. Mit viel Geld, das da zur Verfügung gestellt worden ist. Und da sind viele gute Konzepte entwickelt worden. Und all das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Also wir respektieren selbstverständlich die Bildungs- und Kulturhoheit der Länder; die sind auch wesentlich dafür verantwortlich, dass wir einen großen Reichtum gerade im Kulturbereich haben. Aber man braucht auch Absprachen, insbesondere wenn man im internationalen Wettbewerb bestehen will.

Sagenschneider: Das heißt, es geht um mehr als Finanzierungsmöglichkeiten? Weil ja, wie Sie jetzt schon sagen, die Bildungspolitik weitgehend in den Händen der Länder liegt.

Fuchs: Es geht zum einen um Finanzierungsmöglichkeiten. Das ist natürlich keine unwichtige Sache. Es gibt gute, funktionierende Modelle, wie etwa diese berühmte BLK - also eine Einrichtung mit einem unendlich langen Namen -, bei der aber Bund und Länder seit Jahren, Jahrzehnten schon gut zusammenarbeiten. Es geht aber auch um Gestaltungsprozesse, um Interessensvertretung, um Absprache gerade im internationalen Kontext. PISA ist ja eine internationale Untersuchung und dort muss das auch im internationalen Kontext gesehen werden. Und ein bisschen sieht das alles nach einem Rückfall in die Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts aus.

Sagenschneider: Was befürchten Sie denn konkret, wenn diese Föderalismusreform, so wie sie jetzt geplant ist, auch durchkäme?

Fuchs: Ja wir befürchten, dass das nationale Interesse geschwächt wird. Das betrifft auf der Ebene der Bundesländer - also es kann ja nichts Schlimmeres Eltern passieren, als dass sie umziehen. Die Bildungssysteme sind alle nicht kompatibel. Die Kultusministerkonferenz hat vermutlich ihren Wert, aber sie hat sich bisher nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie relativ zügig zu Absprachen kommt. Wir haben also 16 Systeme und wollen jetzt dann mit weiteren 25 im Rahmen der europäischen Familie kooperieren - das geht überhaupt nicht.

Sagenschneider: Inwieweit, Herr Fuchs, betrifft dieses Kooperationsverbot, von dem schon die Rede war, auch die kulturellen Einrichtungen? Das Feld der kulturellen Bildung, das wird ja Freitag Thema sein, dieser Anhörung, wo Sie dann als Experte auftreten, unter anderem.

Fuchs: Ja das betrifft zum Beispiel diese berühmte Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Über Jahrzehnte hinweg hat zwar dort nicht - wie man das ursprünglich in den 70er Jahre wollte - Bildungsplanung stattgefunden im nationalen Maßstab, aber es war sehr wertvoll, dass dort Projektförderung hat stattfinden können, Modellversuche, die in den letzten Jahren auch konzeptionell gestützt waren, gebündelt zu bestimmten Themenbereichen -gerade etwa aktuell ist abgeschlossen worden ein großer Modellversuch "Kulturelle Bildung im Medienzeitalter", wo es um die Eroberung der digitalen Medien für pädagogische Zwecke geht. Alles hervorragende Konzepte, die auch gut in die Praxis umgesetzt werden könnten. Und all das wird jetzt einfach geopfert. Also wir sehen schon, dass Kultur- und Bildungspolitik ein Bauernopfer sind, das der Bund den Ländern sozusagen zubilligt, damit die Länder einverstanden sind, das, was ja der Zweck dieser Reform ist, nämlich den Bundesrat ein Stück weit als Bremse zu entmachten, dass das auch gelingen kann. Das ist ein richtiges Ziel, dass der Bundesrat noch mal auf seine richtige Aufgabe zurechtgestutzt wird, die ursprünglich im Grundgesetz vorgesehen ist. Aber das Opfer, das Kultur- und Bildungspolitik da bringen müssen, das sehen wir nicht ein.

Sagenschneider: Habe ich das richtig verstanden, dass es da um Modellvorhaben ging, die zum Beispiel der Bund mit angestoßen hat, wo dann eine Hochschule gesagt hat: "Machen wir jetzt mal", und die dann langfristig aber auch in die gesamte Fläche hinein sich ausgewirkt haben?

Fuchs: Ja es ist ja sogar noch besser: Es wurde sogar gemeinsam von Bund und Ländern entwickelt, es wurden Wissenschaftler beauftragt, die für fünf Jahre lang ein Konzept entwickelt haben. Das hat jetzt funktioniert in diesem kulturellen Projekt. Das hat auch vorher funktioniert zu dem Thema "Nachhaltige Entwicklung". Das heißt, es wurde seriös entwickelt, es wurde diskutiert zwischen Bund und Ländern, es wurde einvernehmlich auch finanziert anteilig von Bund und Ländern, es wurde gemeinsam ausgewertet und es wurde auch implementiert, also in die Praxis eingeführt. Und all dies soll sozusagen von heute auf morgen nicht mehr möglich sein, weil an der Stelle irgendwas auseinander genommen wird, was eigentlich gut zusammengepasst hat.

Sagenschneider: Wie erklären Sie sich eigentlich, Herr Fuchs, dass da einige Länder auf diese Änderungen drängen? Denn man fragt sich ja: Was ist die Alternative? Entweder die Länder finanzieren es selbst oder es wird abgeschafft. Und beides ist ja wenig attraktiv.

Fuchs: Ich glaube, man kann das nicht nur verstehen, wenn man das immanent immer im Bereich der Bildungs- oder in der Kulturpolitik betrachtet. Das hat alles was mit der Machtverschiebung zu tun, die in den letzten Jahren stattgefunden hat von der nationalen Ebene auf die EU. Und es bleibt im nationalen Bereich immer weniger zu regeln. Und insbesondere haben die Landesparlamente Angst, dass ihre Gesetzgebungsfunktion immer weiter dezimiert wird. Und vor dem Hintergrund kämpfen die jetzt darum, auch weiterhin sozusagen in bestimmten Bereichen auch ihre Aufgabe als Parlament erfüllen zu können. Und in diesem Spiel um Machtverschiebung, einmal zwischen Deutschland und der Europäischen Union - ich glaube 80 Prozent aller Gesetze in verschiedenen Bereichen sind nur noch Umsetzungsgesetze von EU-Regularien -, vor dem Hintergrund gibt es einfach einen Verteilungskampf um die noch verbliebene Macht und dieser Verteilungskampf findet zwischen Bund und Ländern statt.

Sagenschneider: Angesichts der zunehmenden Kritik aus den Reihen der Parlamentarier, haben Sie den Eindruck, dass diese Reform noch mal revidiert wird?

Fuchs: Ja ich befürchte, dass eher so - es waren ja wichtige Menschen, die die Föderalismuskommission angeführt haben, Herr Müntefering und Herr Stoiber -, die Regierung hat sich das auf die Fahnen geschrieben. Diese Anhörung wurde vom Parlament gegen den Willen der Regierung durchgesetzt. Ich hoffe, dass die Angst vor einem Gesichtsverlust der Regierung nicht so groß ist, als dass man das, was fast alle Experten sagen, nämlich im Bereich Bildung und Kultur zurückzuschrauben, dass doch diese Veränderung noch stattfinden kann. Also wir werden uns dafür einsetzen. Ich werde ja am Freitag auch zu dem Thema "Kulturpolitik" sprechen können. Ich hoffe, die Argumente zählen.

Sagenschneider: Professor Max Fuchs, der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.

Fuchs: Gern.