Rückbesinnung auf den eigenen Bestand

Von Anette Schneider |
Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg hat aus der Not eine Tugend gemacht - und zeigt statt einer teuren Sonderausstellung mit Stücken anderer Museen Kunstwerke aus seinem Depot unter dem Titel "Body and Soul". Das wäre im Hamburger Museum der Arbeit, dessen Depots weit verstreut sind, kaum möglich.
Ein 4000 Jahre altes Fruchtbarkeitsidol von den Kykladen steht neben einem aus Mesopotamien, eine ägyptische Göttin neben einer geschnitzten Maria, ein winziger, altrömischer Totenschädel neben einem neuen, mit Totenköpfen bedruckten Schal.

"Body and Soul. Menschenbilder aus vier Jahrtausenden" heißt die Ausstellung, die das Museum für Kunst und Gewerbe in seinen neuen, nach Umbauarbeiten entstandenen Räumen zeigt, und die untersucht, wie sich der Mensch über Jahrtausende und Kulturen hinweg sein Dasein erklärte. Museumsleiterin Sabine Schulze:

"Wir treten da schon sehr selbstbewusst auf, weil wir mit dieser Ausstellung unsere eigene Sammlung feiern. Heute ist es im Museumsbetrieb doch so, dass jede Ausstellung sofort allerhöchste Aufmerksamkeit erweckt - und wenn man mit der eigenen Sammlung arbeitet, dann heißt es 'hmmmm'. Wir machen jetzt einmal das Gegenteil und sagen: In diesen neuen Räumen zu diesem Anlass zeigen wir mal die tollsten Sachen aus allen Abteilungen. Für ein paar Monate verlassen die Exponate ihren angestammten Platz in der Chronologie, in der Kunstgeschichte, und finden sich unter thematischen Gesichtspunkten zusammen."

Aus dem riesigen Bestand des Hauses wurden zum Teil selten gezeigte Stücke ausgewählt, die über die Vorstellungen von Geburt und Tod erzählen, von Leidenschaft und Schönheit, Individualität und Verehrung.

Klein und fein ist diese Ausstellung. Und durchaus erhellend. Dabei setzen Kunstmuseen seit über 20 Jahren vor allem auf teure, publikumsträchtige Sonderausstellungen. Ihre ureigensten Aufgaben - das Bewahren, Erforschen und Präsentieren der eigenen Sammlung - verkommen dabei oft zur Nebensache. In Hamburg liegen sie wegen zu geringer Etats fast völlig brach. Selbst die Arbeit mit dem eigenen Bestand bedeutet hier eine Kraftanstrengung. Es fehlen, so Sabine Schulze, Geld, Personal und neue Ideen.

"Und deshalb seh' ich es sehr kritisch, wenn wir freiwerdende Stellen nicht mehr besetzen können. Ich hatte mich eigentlich sehr gefreut auch auf junge Kollegen, auf Kollegen, die von der Universität kommen und wissen, was dort geforscht wird und gefragt wird. Es ist einfach eine große Gefahr, dass Häuser den Anschluss verlieren an die Zeit, an die internationale Forschungsdiskussion."

Längst kann von kontinuierlicher, finanziell abgesicherter Museumsarbeit keine Rede mehr sein. Während das Museum für Kunst und Gewerbe seine Schätze immerhin unter einem Dach vereinigt, hat es das Museum der Arbeit weit schwerer: Das jüngste und finanziell am schlechtesten ausgestattete Hamburger Museum zeigt die Entwicklung der Arbeit in den letzten 150 Jahren: 450.000 Stücke umfasst der Bestand, von der kleinen Schraube über Druckmaschinen bis hin zu riesigen Kränen und Elbschleppern. Das bedeutet: Die Sammlungsdepots liegen weitab vom Museum. Kirsten Baumann, die das Haus seit gut einem Jahr leitet:

"Unser Hauptdepot befindet sich in Neuengamme. Wir haben noch ein Depot auf der Veddel. Und das Hafenmuseum Hamburg, was ja ein Schaudepot ist, das trägt den Namen schon in sich, das stellt seine Objekte selber in Hochregalen aus."

Mal eben aus dem Bestand eine kleine Sonderausstellung zaubern, oder auch nur ein paar Objekte austauschen, um der Dauerausstellung einen neuen Blickwinkel hinzuzufügen, sei in einem Technikmuseum unmöglich, erklärt die ehemalige Bauhaus-Leiterin.

"Denn bei uns sprechen die Objekte nicht wie im Kunstmuseum für sich, sondern es muss eine Geschichte dazu erzählt werden. Es muss inszeniert werden. Es muss ein roter Faden gestrickt werden. Das ist sehr viel Aufwand, auch Forschungsaufwand."

Doch Forschung - die Voraussetzung für Ausstellungen - ist nur noch durch Drittmittel möglich. Weil Unternehmer und Mäzene jedoch lieber Kunstmuseen unterstützen anstatt ein Projekt über "Rationalisierung und Arbeitslosigkeit", sind im Museum der Arbeit Sammlungsausstellungen kaum möglich. Auch die Dauerausstellung ist seit ihrer Eröffnung 1997 unverändert. Grundsätzliche Darstellungen von Begriffen wie "Arbeit", "Arbeitsdisziplin" oder "soziale Versorgungssysteme" fehlen. Kirsten Baumann würde das gern ändern. Doch dafür fehlt das Geld: Die wenigen Mittel benötigt das Museum, um all die Maschinen zu warten und in Betrieb zu halten, die vor allem in der Außenstelle am Hafen vorgeführt werden - Publikumsmagneten, die allein ehrenamtliche Mitarbeiter aufrecht erhalten.

"Das sollte also nun wirklich noch im Kernbestand des Budgets sein. Ist es aber nicht mehr. Schon längst nicht mehr. ... Ich weiß heute noch nicht, wie und ob wir das Hafenmuseum im nächsten Jahr öffnen können, weil ich schlichtweg die Miete da nicht bezahlen kann. Nicht aus diesem Etat."

Die kontinuierliche, fantasievolle, erkenntnisförderne Arbeit mit der eigenen Sammlung braucht gewisse Mindestvoraussetzungen. In Hamburg sind sie längst nicht mehr gegeben. Dass das Hafenmuseum dennoch weitermacht und dem Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung wie "Body and Soul" gelingt, liegt allein an dem Engagement ehrenamtlicher Mitarbeiter und verbliebener Wissenschaftlerinnen. Sabine Schulze vom Museum für Kunst und Gewerbe fordert deshalb von den Medien, nicht nur auf spektakuläre Sonderausstellungen zu blicken.

"Wenn wir so etwas aus eigenen Beständen machen, möchte ich einfach auch, dass dann die Presse das genauso ernst nimmt, als wenn das aus Chicago käme. Denn wir haben einfach eine Sammlung, die auf diesem internationalen Niveau mitspielen kann. Wir sind halt einfach gefragt, sie so zu aktivieren, dass es auch heutigen Fragestellungen entspricht. Das ist der Auftrag an uns. Und mein Auftrag an Sie ist dann, solche Dinge ... genauso ernst zu nehmen, wie alles andere."

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