Rudi Gaul zur Datingkömodie "Safari"

"Die Hemmschwelle sinkt sehr schnell"

Moderation: Susanne Burg · 25.08.2018
Adler trifft Siamkatze, Hausfrau wird Domina. Im neuen Film von Rudi Gaul sorgt eine Datingapp namens Safari für ein wildes Durcheinander im Großstadtdschungel. Sieht so die Zukunft der Liebe aus?
Susanne Burg: Dating ist ziemlich gestrig – zumindest in der Welt, die Rudi Gaul in seinem neuen Film entwirft. In "Safari, match me if you can" gehen Singles auf Großwildjagd. Die Komödie spielt in der Welt der Dating Apps. Dort, wo gewischt und gematcht wird. Wir begleiten im Film verschiedene Personen bei diesen Begegnungen, wie zum Beispiel Harry und Lara, gespielt von Justus von Dohnahnyi und Elisa Schlott, er angeblich Pilot, sie Social-Media-Sternchen.
Dass das zwar recht poetisch klingen mag, aber alles nicht stimmt, das mit dem Piloten, erfahren wir dann später in "Safari, match me if you can". Diese Welt entworfen hat der Drehbuchautor und Regisseur Rudi Gaul. Guten Tag!
Rudi Gaul: Hallo!
Burg: Also, diese Welt dieser Dating Apps, kann man sich vorstellen, gibt tatsächlich eine Menge Stoff her. Was hat Sie daran gereizt, eine Komödie daraus zu machen?
Gaul: Für eine Komödie am produktivsten ist eigentlich die Diskrepanz zwischen virtuellem Schein, den man auf solchen Dating Apps, aber auch in Social Networks, generell Verkauf einerseits und dem analogen, tatsächlichen Sein andererseits, also wie wir dann tatsächlich sind. Das ist natürlich eine Diskrepanz und so eine Fallhöhe. So eine Diskrepanz ist eigentlich immer ein perfekter Stoff für Komödie, und ich beobachte das ja auch an mir selbst.
Szene aus dem Film "Safari": Social-Media-Sternchen Lara (Elisa Schlott) träumt von ihrem Date mit Pilot Harry 
Social-Media-Sternchen Lara (Elisa Schlott) träumt von ihrem Date mit Pilot Harry © 2018 Concorde Filmverleih / Rat Pack / Marc Reimann
Ich bin jetzt nicht auf Dating Apps viel unterwegs, aber in den sozialen Netzwerken natürlich, Facebook und Co, und man beobachtet das ja bei sich selbst, dass man dazu neigt, da ein Bild von sich auch in irgendeiner Form zu zeichnen, auch wenn man es gar nicht so bewusst gesteuert vielleicht macht, das sich verselbstständigt und das vielleicht nicht immer was mit der tatsächlichen, auch physischen Realität zu tun hat. Und das hat mich an diesem Thema, speziell Dating Apps, gereizt, weil es da natürlich um die intimsten Vorgänge des menschlichen Daseins geht und man das an diesem Thema besonders überspitzt, auch satirisch überspitzt darstellen kann.
Burg: Genau, Sie spitzen das Ganze zu und haben sogar eine eigene App für den Film entwickelt, Safari, also Menschen können sich dabei selber mit einem Tier identifizieren, und dann treffen zum Beispiel Adler auf Siamkatze oder Hirsch auf Krokodil. Sind wir Menschen dann doch animalischer in unserem Dating-Verhalten, als wir uns selber eingestehen wollen?
Gaul: Ja, ich glaube, dass ist ein ganz seltsamer Vorgang, der sich da abspielt. Also meiner Beobachtung nach ist es so, dass im virtuellen Raum, also sei es jetzt auf Dating Apps, sei es in sozialen Netzwerken, eigentlich etwas ganz Animalisches an uns selbst zum Vorschein kommt, nämlich man könnte sagen, das Unbewusste. Also während wir uns im realen Leben oft sehr zivilisiert geben in der sozialen Interaktion und natürlich darauf bedacht sind, auch einem bestimmten sozialen Status gerecht zu werden und den zu verkörpern, ist es so, dass die Leute wirklich im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch im übertragenen Sinne, die Hose runterlassen, wenn sie auf sozialen Netzwerken oder anonym im Netz unterwegs sind.
Also wir kennen das ja, welche Shitstorms sich da entwickeln, wie schnell man ungehemmt ist und eben auch beim Chatten. Also man ist sehr viel schneller in einem flirtiven Anmachmodus, als wenn ich jetzt an der Bar sitze und vielleicht auch das Risiko eingehe, dass ich einen Korb bekomme oder einen direkten Konter vielleicht einfahre, und dieses Unbewusste, man könnte eben auch sagen: Animalische, was da so in den Social Networks zum Vorschein kommt, das hat uns dazu bewogen, den einzelnen Charakteren auf diesem Dating-Portal, auf diesem fiktiven Dating-Portal, das wir da für den Film entworfen haben, Tier-Icons zu wählen, die natürlich auch meistens, sagen wir mal, was Unbewusstes verkörpern, was die Figur im realen Leben vielleicht nicht so ausagiert. Also derjenige, der dann auf der Safari-App ein Löwe ist, der ist vielleicht im realen Leben eher eine Maus.
Burg: Sie haben die Idee dann noch weiterentwickelt: Wenn die Leute dann in den Club gehen, leuchten die Tiere virtuell über den Köpfen der einzelnen Menschen auf, die auf dieser App sind, also man sieht sofort, wer noch auf der Plattform ist. Ist eigentlich, wenn man sich überlegt, ganz praktisch und wäre fast eine logische Weiterentwicklung dieser ganzen Szene. So wie Sie das auch beschrieben haben, ist ja schon vieles in dieser Welt sehr überspitzt. Wenn man das dann noch überhöhen will, wie weit kann man gehen, aber wo ist eigentlich die Welt selber schon so skurril, dass man denkt, na ja, ist jetzt eigentlich nur eine logische Weiterentwicklung?
Gaul: Ja, wir haben uns da auch nicht bewusst überlegt, ach, jetzt überspitzen wir das mal und machen das jetzt besonders lustig, sondern das war unser Gedanke, genau, was Sie jetzt beschreiben, also, wir haben überlegt, wie würde so eine logische Weiterentwicklung aussehen, und das ist natürlich immer die Gefahr, die der Satiriker läuft, also dass er überholt wird von der Realität, dass die Realität absurder, skurriler ist als das, was man sich ausdenken kann. Und deswegen glaube ich tatsächlich, dass das, was wir da im Film beschreiben, diese leichte Überspitzung.
Szene aus dem Film "Safari": Szenen einer Ehe: Harry (Justus von Dohnányi) und Aurelie (Sunnyi Melles)
Szenen einer Ehe: Harry (Justus von Dohnányi) und Aurelie (Sunnyi Melles)© 2018 Concorde Filmverleih / Rat Pack / Marc Reimann
Also die Safari-App kann eben ein klein wenig mehr, man kann zum Beispiel auch sehr detailliert sexuelle Präferenzen eingeben oder abfragen von anderen Usern, die man matcht. Ich glaube, dass das nicht sonderlich weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Und kleine Anekdote am Rande: Es ist tatsächlich so, dass sich jetzt nach dem Film Entwickler mit der Produktionsfirma zusammengesetzt und kontaktiert haben und das jetzt eine App auf Basis des Films quasi entwickelt wird.
Burg: Nein!
Gaul: Das ist also kein Marketingtool, also wir haben jetzt nicht den Film zur App gemacht, sondern das ist die App zum Film, und das zeigt natürlich, dass man da eigentlich gar nicht genug überspitzen kann, um nicht irgendwann von der Realität eingeholt zu werden. Also, wir haben tatsächlich auch nur in der Recherche bereits bestehende Dating Apps, haben wir recherchiert, da haben wir mit Leuten gesprochen, die darauf unterwegs sind, und daraus haben wir unsere eigene App kreiert, aber ich würde dem vollkommen zustimmen, dass es nicht weit von der Realität weg ist. Ich wollte ja auch was über die Wirklichkeit machen, in der wir leben, wenn auch in einem etwas märchenhaften Rahmen, den der Film setzt durch eine bestimmte Art des Erzählens, die ich eben mag, aber es geht schon um die Wirklichkeit.
Burg: Die größere Frage ist ja auch, was stellen Dating Apps mit uns eigentlich an. Inwieweit verändern sie uns als soziale Wesen auch dauerhaft?
Gaul: Absolut. Also, ich glaube, dass da einerseits die Hemmschwelle sinkt, sehr schnell, sehr direkt, auch im sexuellen Sinne, sehr direkt offensiv oder sogar aggressiv vorzugehen, weil diese Dating Apps fordern natürlich so einen Aussortiermodus, Guten-ins-Töpfchen-Schlechten-ins-Kröpfchen-Mentalität, aber andererseits ist es natürlich so, dass ich glaube, dass je mehr wir uns diesem Druck aussetzen, da mitzukommen, alles ausprobieren, freizügig zu sein, tolerant zu sein, desto konservativer wird eine Gesellschaft, glaube ich, andererseits in ihrem Kern.
Also das haben wir auch versucht, im Film darzustellen, dass eigentlich das, was die Menschen dann suchen im Kern, oft eigentlich ein sehr konservatives Rolemodel eigentlich ist. Das ist eine Diskrepanz, die ich höchst verwunderlich und erstaunlich, aber auch natürlich höchst komisch eigentlich finde.
Burg: Wobei Sie auch die Option einer Emanzipationsgeschichte andeuten in einer der Figuren, nämlich Mona, gespielt von Juliane Köhler, die hier als nicht mehr ganz junge Frau eigentlich eine neue Freiheit entdeckt.
Gaul: Absolut. Also und was natürlich schon wichtig in diesem Film – deswegen ist es auch ein Episodenfilm – jetzt nicht eine eindeutig kulturpessimistische Sicht auf die Dinge da zu fahren. Das fände ich auch langweilig, weil man ja die Wirklichkeit nun mal einfach so beschreibt, wie sie auch ist, filmisch überspitzt, und da gehört natürlich auch die Wahrheit dazu, dass es Menschen gibt, für die das auch ein emanzipatorischer Akt sein kann, sich mit so einer App, so wie Mona, die sich rund um die Uhr um Beruf und Kind gekümmert hat, eigentlich keine Zeit mehr für die Sexualität hatte, auch für die Frage, was Frausein eigentlich für sie bedeutet, für sie bedeutet diese App also die Möglichkeit, das auszuleben.
Mona sagt das ja auch im Film, dass es vielleicht nun mal der Widerspruch der menschlichen Sexualität und Identität ist, dass man beides in sich trägt, ein emanzipatorisches Streben – Mona ist eine sehr emanzipierte Frau – und andererseits auch im Bett aber, so wie Mona, eine gewisse, sogar SM-Sehnsucht, die sie da für sich entdeckt, also, das muss kein Widerspruch, oder es ist vielleicht ein Widerspruch, der einfach den Reiz des menschlichen Daseins ausmacht.
Burg: Wir sollten auch die Struktur nicht außer Acht lassen. Sie erinnert stark an Arthur Schnitzlers Reigen, also diesem Stück, Uraufführung 1920, das in zehn erotischen Dialogen die unerbittliche Mechanik des Beischlafs schildert. Was war eigentlich zuerst da? Die Idee, das Stück zu aktualisieren oder dann bei der Recherche zu sagen, ah, da gab es doch aber auch schon was 1920, so viel hat sich eigentlich nicht verändert seitdem?
Gaul: Gar nicht einfach zu beantworten die Frage, weil ich habe tatsächlich schon vor zehn Jahren ungefähr mit der Idee gespielt, diesen Reigen von Schnitzler ins Jetzt zu holen, weil mich das interessiert hat, was kann man sozusagen, wenn man unter der Lupe sich nur diese Beischlaf- oder Schlafzimmerszenen anschaut, was kann man da über eine Gesellschaft erzählen, und ich habe aber damals nicht die richtige Lupe gefunden.
Ich fand das dann alles zu konstruiert und habe es beiseitegeschoben, und dann habe ich eigentlich das vergessen und habe jetzt eben vor zwei Jahren begonnen, mich mit dieser Frage, wie verändern soziale Netzwerke unsere Kommunikationsform, zu beschäftigen, und da bin ich auf diese Dating Apps gestoßen. Wir haben uns dann auch, die Autorin Friederike Klingholz und ich, eine runtergeladen und versucht … waren dann da unterwegs, haben auch Recherche und so weiter gemacht, mit Leuten gesprochen.
David (Max Mauff) sucht bei "Safari" irgendwas zwischen Sex und Liebe
David (Max Mauff) sucht bei "Safari" irgendwas zwischen Sex und Liebe© 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Marc Reimann
In dem Zusammenhang ist mir das wieder eingefallen, dass es doch da diese Idee gab, Schnitzlers Reigen ins Jetzt zu holen, und dann habe ich sozusagen beide Ideen miteinander kombiniert, weil ich das Gefühl hatte, das ist die perfekte Struktur für dieses Thema, weil es eine bestimmte Zufälligkeit der Paarkonstellationen suggeriert, und in dieser Zufälligkeit sich aber trotzdem, bei genauerem Hinsehen, eine Regelmäßigkeit, ein Algorithmus eigentlich offenbart, ein Algorithmus, wie ihn ja auch diese Dating Apps vorgeben.
Burg: Sie haben bislang auch eher Independent-Filme gemacht, zum Beispiel "Das Hotelzimmer", das spielt ausschließlich in einem Hotelzimmer. Jetzt ein Film, der großflächig in Deutschland anläuft. Wie fühlt sich da der Druck an?
Gaul: Der Druck … Also ich hatte so eine kritische Phase vor dem Dreh, also ich dachte, mein Gott, du hast da jetzt plötzlich viel mehr Geld zur Verfügung, als du bisher hattest, und du hast auch so ein großes Schauspielensemble, und da wollte ich vorm ersten Drehtag irgendwie weglaufen. Ich bin da angekommen und habe gesehen, da stehen 50 Leute rum, die jetzt alle auf mich, auch ein bisschen auf meine Führung sozusagen warten, und 15 Lastwagen, und da dachte ich so, ich bin hier wirklich fehl am Platz.
Dann in der Arbeit habe ich den Druck gar nicht mehr so gespürt. Am Set funktioniert man dann einfach, und das hat auch großen Spaß gemacht, und jetzt spüre ich den Druck wieder eigentlich im Nachhinein, dass man natürlich weiß, dass ein Film, der eigentlich jetzt mit einer anderen Erwartungshaltung natürlich auch an der Kinokasse verbunden ist als meine bisherigen Projekte, die doch eher in sehr kleiner Kopienanzahl dann anliefen und auch Liebhaberfilme vielleicht irgendwo waren, im Low Budget, im Arthouse-Bereich, im Independent-Bereich, und jetzt spürt man das natürlich schon, und das finde ich auch gar nicht so einfach, damit so umzugehen, ist eine neue Erfahrung für mich, aber andererseits bin ich natürlich dankbar, dass ich diese Möglichkeit überhaupt bekommen habe.
Burg: Am Donnerstag kommt der Film dann ins Kino, breitflächig. "Safari - match me if you can" heißt er, der neue Film von Rudi Gaul. Vielen Dank fürs Gespräch!
Gaul: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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