Rubrik: Störenfried

Was ist eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent?

Von Ulrike Köppchen |
Man muss nicht lügen, um Menschen in die Irre zu leiten. Es reicht schon, wenn Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen werden, um Sachverhalte zu entstellen. Dagegen kämpft der Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer.
Herr Gigerenzer, sind Sie ein Störenfried?
"Das würde ich nicht sagen. Sondern ich versuche, Transparenz in die Welt zu bekommen."
Der Störenfried dieser Woche kommt auf Samtpfoten daher: Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Ein freundlicher älterer Herr, dessen Forschungsarbeiten es in sich haben: Sie zeigen Journalisten, Richtern, Ärzten, Bürgern, wie mit Zahlen und Statistiken getrickst wird oder wie sie diese falsch interpretieren. Denn wenn es um Statistik geht, sind viele Menschen Analphabeten.
Was bedeutet zum Beispiel eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent?
"Wir haben eine Studie in vielen Großstädten durchgeführt: Die meisten Berliner denken, das bedeutet, dass es morgen in 30 Prozent der Zeit regnen wird, also sieben bis acht Stunden. Andere sind der Meinung, dass es morgen in 30 Prozent der Gegend regnen wird, also nicht, wo ich wohne. Die meisten New Yorker sind der Meinung, dass die Deutschen überhaupt keine Ahnung haben und es bedeutet was völlig anderes, nämlich dass es an 30 Prozent der Tage regnet, für die diese Vorhersage getroffen wird."
1:0 für New York. Ansonsten seien die Statistik-Kenntnisse der Amerikaner aber genauso bescheiden wie die der Deutschen, meinte Gigerenzer. Um das zu ändern, betreibt er gemeinsam mit dem Statistiker Walter Krämer und dem Wirtschaftswissenschaftler Thomas Bauer die Webseite "Unstatistik des Monats".
"Eigentlich kann es nicht sein, dass in einer Demokratie, wo man denkt, man hätte so etwas wie Aufklärung erreicht, die Menschen immer noch Zahlen falsch verstehen und insbesondere, wenn die Zahlen über Ungewissheit gehen. Und so haben wir uns die Aufgabe gestellt, einmal im Monat eine Meldung in der Presse herauszunehmen, wo Zahlen verdreht oder einfach nur falsch interpretiert worden sind. Es gab Nachrichten, dass zur Urlaubszeit die Anzahl der tödlichen Unfälle verursacht durch Haifische sich verdoppelt hat. Was machen Sie jetzt, wenn Sie ans Mittelmeer fahren? Schwimmen Sie noch? Lassen Sie Ihre Kinder noch rein? Verdoppelt! Nun, das war eine Verdoppelung von 6 in der ganzen Welt im Vorjahr auf 12. In der ganzen Welt.
Ein typisches Beispiel, wie man mit Zahlen Angst fernsteuern könne, meint Gigerenzer. Einfach indem man einen Anstieg in relativen Größen wie "verdoppelt" ausdrückt statt in absoluten Zahlen – oder auch umgekehrt, sollten die absoluten Zahlen dramatischer erscheinen. Besonders im Medizinbereich ist daraus längst ein Geschäft mit der Angst geworden, und dagegen geht Gerd Gigerenzer an.
Viele Frauen kommen zu mir und sagen, ich werde gedrängt von meinem Gynäkologen, am Mammographie-Screening teilzunehmen und Information bekomme ich keine.
Nirgendwo seien die Frauen so uninformiert wie in Deutschland, was Schaden und Nutzen der Mammografie angeht, sagt Gigerenzer. Das habe eine Untersuchung in neun europäischen Ländern gezeigt. Selbst in Russland wüssten die Frauen besser Bescheid.
"Die wissenschaftlichen Studien zeigen, dass von je 1000 Frauen, Alter 50 und mehr, die zum Screening gehen, etwa 4 nach 10 Jahren an Brustkrebs sterben und bei denen, die nicht gehen, sind es fünf. Also der Effekt ist eines in 1000. 999 haben nichts davon. Das wird aber der Öffentlichkeit kaum gesagt, sondern man hat bis vor wenigen Jahren fast immer von einer zwanzigprozentigen Risikoreduktion gesprochen, oft aufgerundet auf 30 Prozent."
Das Risiko, an Brustkrebs zu sterben um 20 Prozent zu senken, dürfte weitaus mehr Frauen zu einer Mammografie motivieren als die Information, dass dadurch die Sterblichkeit statistisch von 5 auf 4 aus 1000 Personen gesenkt wird. Doch dass man den Frauen diese Zahlen vorenthält, sei paternalistisch.
"Ich möchte, dass wir eine Gesellschaft haben, wo dieser Paternalismus aufhört. Aus diesem Grund sollten wir Frauen weder sagen, dass sie gehen sollen oder nicht gehen sollen, sondern man sollte ihnen die Information geben, so dass sie eine informierte Entscheidung treffen können. Wir brauchen auch eine Gesundheitsregierung, die mehr Interesse daran zeigt, informierte Patienten zu haben und den Konflikt eingeht mit Lobbygruppen, die daran wenig Interesse haben. Und vor allen Dingen, wir brauchen Bürger, die den Mut haben, selbst mitzudenken und nicht nur sagen: Herr Doktor, Frau Doktor, was soll ich tun?"