Ruanda

20 Jahre nach dem Völkermord

Von Beate Ziegs · 16.04.2014
Vor 20 Jahren wurden bei einem Massaker in der ruandischen Stadt Nyarubuye etwa 2.000 Menschen mit Speeren, Macheten und Keulen abgeschlachtet. Die Opfer waren überwiegend Tutsi. Das Massaker war Teil des Völkermords in Ruanda, bei dem Milizen extremistischer Hutu innerhalb von 100 Tagen mindestens 800.000 Tutsi und deren Sympathisanten ermordeten.
"Wir hatten uns totgestellt. Sie nahmen Steine und schlugen damit die Köpfe der Menschen ein; sie nahmen kleine Kinder und schlugen ihre Köpfe gegeneinander. Wenn sie jemanden fanden, der noch atmete, zogen sie ihn heraus und machten ihn kalt."
Valentina Iribagiza, die ihre Geschichte der BBC erzählte, ist eine der wenigen Überlebenden des Massakers vom 16. und 17. April 1994 in der ruandischen Stadt Nyarubuye.
Einige Tage zuvor, am 6. April war das Flugzeug des Präsidenten Juvénal Habyarimana - ein Hutu - kurz vor der Hauptstadt Kigáli abgeschossen worden. Er war auf dem Rückweg von Friedensverhandlungen mit der von Tutsi geführten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) gewesen. Unmittelbar danach begann das systematische Abschlachten: Innerhalb von 100 Tagen wurden mindestens 800.000 (nach einigen Schätzungen weit über eine Million) Tutsi und gemäßigte Hutu ermordet.
"Sie haben meine Familie umgebracht. Ich habe gesehen, wie sie meinen Vater und meinen Bruder umgebracht haben. Aber ich habe nicht gesehen, was sie mit meiner Mutter gemacht haben."
Auseinandersetzungen nach der Unabhängigkeit Ruandas
Dem Völkermord an den Tutsi und ihren Sympathisanten waren zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen vorausgegangen. So waren die Tutsi seit der Unabhängigkeit Ruandas im Jahr 1962 immer wieder unterdrückt und gewaltsam aus dem Land vertrieben worden. 1990 marschierte die aus Tutsi-Flüchtlingen bestehende Ruandische Patriotische Front von Uganda aus in Ruanda ein, um die Macht zurückzuerobern und verübte ihrerseits landesweit Massaker an den Hutu. Die Hutu-Regierung rüstete daraufhin die eigenen Streitkräfte mit französischer Unterstützung massiv auf, sodass die Rebellen im Februar 1993 einen einseitigen Waffenstillstand erklärten. Das hinderte die Regierung nicht daran, öffentlich zu propagieren, den "Abschaum der Menschheit", wie sie die Tutsi nannte, "auszulöschen".
Der mit Hilfe der Hutu-Regierung gegründete Privatsender Radio Télévision Libre des Milles Collines forderte regelmäßig zur Ermordung der Tutsi auf und machte konkrete Angaben, wo sie sich versteckt hielten.
In Nyarubuye hatten über 500 Menschen in der römisch-katholischen Kirche Zuflucht gesucht. Sie wurden zuerst getötet. Danach nahmen sich die Milizionäre die Schule vor und schließlich die Arbeitsstätten in der Nähe des Fußballfeldes. Insgesamt fielen ihnen etwa 2.000 Menschen zum Opfer.
"Spätestens Ende April wusste der Weltsicherheitsrat, dass es sich um einen Völkermord handelt. Aber man weigerte sich, es so zu nennen, um nicht eingreifen müssen."
Michael Barnett war 1994 UN-Beobachter der Vereinigten Staaten.
Ein Freibrief für die Täter
Anstatt einzugreifen, beschloss der Sicherheitsrat, die seit Oktober 1993 zur Überwachung des Waffenstillstands stationierte UN-Friedenstruppe von 2.500 Mann auf 270 zu reduzieren - ein Freibrief für die Täter, das Morden ungestört fortzusetzen. Captain Luc Lemaire, damals Kommandant der belgischen Blauhelme: "Als die Menschen erfuhren, dass wir abrücken würden, sagten sie: 'Wenn ihr schon gehen müsst, dann tut uns wenigstens den Gefallen und erschießt uns vorher.' Sie wollten lieber von unseren Maschinengewehren erschossen als mit Macheten umgebracht werden."
Nicht die UNO, sondern die Tutsi-Rebellen der RPF stoppten am 4. Juli 1994 mit ihrem Einmarsch in Kigáli den Genozid. In Massen flohen nun Hutu aus dem Land. Tausende wurden von den vorrückenden Tutsi, aber auch von Extremisten aus den eigenen Reihen umgebracht. Zu den Folgen des Genozids gehört eine bis heute anhaltende Destabilisierung der gesamten Region. Die Versöhnungspolitik im Land selbst sieht vor, dass öffentlich nur von "Banyarwanda" - also von Ruandern - nicht mehr von Tutsi oder Hutu gesprochen werden darf.
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