"RTL geht es eigentlich eher um Pranger und nicht um Prävention"

Joachim Renzikowski im Gespräch mit Britta Bürger · 21.10.2010
Sendungen wie "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" haben nichts mit Prävention zu tun, sagt Joachim Renzikowski, Professor für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er hält verbesserte Präventionsprogramme an den Schulen für sinnvoller als TV-Formate.
Britta Bürger: "Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder". RTL2 nennt seine neue Reportagereihe ein "investigatives und gesellschaftlich relevantes Format". Patin der Sendung ist Stephanie zu Guttenberg, die Frau des deutschen Verteidigungsministers. Allerdings ist umstritten, ob die Sendung mit legitimen Mitteln zur Eindämmung der Kinderpornografie beiträgt. Bevor der Strafrechtsprofessor Joachim Renzikowski das bewerten wird, führt uns Dorothea Jung zum "Tatort Internet".

Ob es sich dabei tatsächlich um eine Aufklärungssendung zum Thema Kinderpornografie handelt oder aber um ein Format, das Straftaten selbst provoziert, das wird jetzt Joachim Renzikowski bewerten, Professor für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Guten Morgen, Herr Renzikowski!

Joachim Renzikowski: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Wir haben es gehört, die Sendung versucht, sich ein aufklärerisches Image zu geben. Ist dieser Präventionsgedanke nicht ein legitimer Ansatz?

Renzikowski: Na ja. Also wenn man diese Sendung anschaut, würde ich sagen, RTL geht es eigentlich eher um Pranger und nicht um Prävention. Und dass das tatsächlich eine Prangerwirkung darstellt, habe ich gestern im Zug erfahren, da stand nämlich in der "Bild"-Zeitung drin, RTL entlarvt die nächsten sechs Ekel, oder so was Ähnliches, also eine ganz reißerische Schlagzeile. Und das hat mit Prävention überhaupt nichts zu tun. RTL ist nett, da können sich alle aufregen und natürlich ist es ein cooles Gefühl auf Verbrecherjagd zu gehen und so weiter, vielleicht fühlen die sich alle wie "Die drei ???" oder so was, ja aber das ist alles Mumpitz.

Bürger: Ob das jetzt nur gefühlt ein Pranger ist oder auch juristisch, das sind ja möglicherweise zwei verschiedene Fragen. Also mutmaßliche Kinderschänder werden in dieser Sendung vor laufender Kamera bloßgestellt. Bewegt sich der Sender denn damit im Rahmen unserer Gesetze, oder macht er sich strafbar, wenn er sogenannte Lockspitzel einsetzt, die ja Männer ganz gezielt dazu bringen wollen, eine Tat anzustreben, ob es dann tatsächlich dazu kommt oder nicht?

Renzikowski: Na die einschlägige Vorschrift ist hier die Anstiftung zu einer Straftat. Und die Straftat, die hier begangen werden soll, ist eben pauschal gesagt die Anmache von Kindern im Internet. Das ist eine Straftat nach Paragraf 176 Absatz 4 Nummer 3. Und die Anstiftung zu einer Straftat ist grundsätzlich strafbar. Hier macht die Rechtsprechung allerdings eine kleine Einschränkung, sie betrachtet das nicht so formal, wie ich das jetzt gesagt habe, sondern materiell in dem Sinne, dass man hergeht und sagt, der Anstifter müsste durch sein Verhalten das geschützte Rechtsgut, hier also die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern, auch schon gefährdet haben.

Und das ist deswegen nicht der Fall, weil ja tatsächlich überhaupt kein Kind hier involviert ist und das Ganze vom Sender sozusagen abgeschirmt wird. Man kann das vielleicht ganz gut vergleichen: Wenn ich in einem Mittelbetrieb den Verdacht habe, dass jemand an die Kasse geht, und ich lege präparierte Geldscheine in die Kasse oder versuche den vielleicht auch sogar noch anzustiften, dass er dieses Geld nimmt, und er geht aus der Tür und draußen wartet die Polizei, dann habe ich auch nur in formaler Hinsicht eine Anstiftung zum Diebstahl, aber materiell konnte hier das Eigentum ja gar nicht verletzt werden, weil alles unter der Obhut der Polizei stattgefunden hat.

Und hier, sagt dann die Rechtsprechung, handelt es sich nicht um eine strafbare Anstiftung. Und deswegen würde ich auch sagen, ich glaube nicht, dass die in RTL sich deswegen strafbar machen, das werden die Fernsehjournalisten auch schon geprüft haben. Das Problem liegt eher noch woanders: Die Frage ist, ob RTL jetzt strafprozessual verwertbare Beweise generiert hat. Weil hier habe ich die Frage, ob die Anstiftung durch einen Lockspitzel vor Gericht gegen den Tatverdächtigen verwendet werden kann, und da ist die Rechtsprechung inzwischen deutlich restriktiver.

Bürger: Das heißt?

Renzikowski: Man muss hier genau gucken, wie diese Anstiftung, diese Tatprovokation im Einzelfall stattgefunden hat. Also auch hier kann man auch wieder sehr gut eine Parallele zum Beispiel zur Rauschgiftszene ziehen: Wenn ich auftrete als jemand, der potenziell interessiert ist am Ankauf von Rauschgift, und dann einen Dealer anlocke, der mir den Stoff von sich aus andreht, dann ist das keine rechtsstaatswidrige Tatprovokation. Und so kann man Lockspitzel einsetzen, um entsprechende Leute zu finden.

Wenn allerdings hier im Internet möglicherweise von dem vermeintlichen Kind konkrete Vorschläge für ein Treffen gemacht würden, auf die der andere dann eingeht, dann ist die Grenze einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation sicherlich überschritten und dann ist es auch schwierig, ob man so was vor Gericht noch verwerten kann. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat inzwischen dazu eine umfangreiche Rechtsprechung, die das sehr skeptisch beurteilt.

Bürger: Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich ja auch schon in diese Debatte jetzt eingeschaltet. Ihrer Ansicht nach darf es keine Vorverurteilungen geben, bevor die staatlichen Justizbehörden ermittelt haben. Wie sehen Sie das?

Renzikowski: Ja das ist ja absolut richtig. Für die Strafverfolgungsbehörden gelten die rechtsstaatlichen Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens, und diese Grundsätze gelten für RTL ja nicht und die Medien handeln ja auch nicht danach.

Bürger: Wieso gelten die für RTL nicht?

Renzikowski: Die ermitteln ja nicht. Also ich meine, wenn ich mir überlege, wie man das jetzt rechtlich beurteilen soll, was RTL macht, dann habe ich hier Eingriffe in die Privatsphäre. In Würzburg soll ja ein Verdächtiger schon verschwunden sein. Wenn der sich am Ende umbringt oder so was, weil er mithilfe von RTL enttarnt worden ist, haben die ein dickes medienrechtliches Problem. Aber irgendwelche Strafverfolgungsgrundsätze von wegen Anfangsverdacht und ordentlich ermitteln, so wie die Polizei das macht, gelten für Privatpersonen doch nicht. Wir sind ja keine Polizei.

Bürger: Passiert das denn in der Realität auch häufig, dass Privatperson selbst auf Kriminellenjagd gehen, speziell im Bereich der Kinderpornografie im Internet?

Renzikowski: Na ja das weiß ich nicht. Aber ich meine denken Sie mal an den Fall Tauss, der Bundestagsabgeordnete, der ja angeblich auf eigene Faust irgendwelche Kinderschänder enttarnen wollte, der ist inzwischen rechtskräftig wegen Besitz von Kinderpornografie verurteilt worden. Und da kann man sehen, zu was so was führen kann. Also ich kann davor nur nachdrücklich warnen.

Bürger: Der Bund Deutscher Kriminalbeamter in Person des Vorsitzenden Klaus Jansen, der sieht das anders. Er fände es ohne Abstriche gut, dass sich RTL2 gemeinsam ja auch mit Stephanie zu Guttenberg des Problems der Kinderpornografie im Netz annehme. Was wirft denn das jetzt für ein Licht auf die Behörden? Man bekommt ja den Eindruck, wenn die das nicht im Griff haben, dann machen es eben andere, in diesem Fall der Fernsehsender!

Renzikowski: Also wenn der Bund Deutscher Kriminalbeamter das sagt, dann finde ich das ausgesprochen schlimm. Aus dieser Äußerung spricht ein bedauernswerter Mangel auch von Rechtsstaatsbewusstsein, denn die Ermittlung und Aufklärung von Verbrechen ist nicht die Aufgabe von Privatleuten, sondern eben von der Kriminalpolizei. Natürlich bemüht sich natürlich auch die Kriminalpolizei um Aufklärung in dem Bereich, aber hier muss man halt sehen, dass das Internet ein sehr schwieriges, weites Feld ist, und die Polizei hat vor allem viel zu wenig personelle und sachliche Ressourcen.

Wenn Sie zum Beispiel mit Spezialisten, die sich um die Verfolgung von Kinderpornografie im Netz kümmern, wenn Sie mit solchen Leuten sprechen, dann klagen die alle. Und das kann man hier in Halle auch sehr gut sehen, wir hatten einen exzellenten und höchst erfolgreichen Oberstaatsanwalt, Herr Peter Vogt, der vor Kurzem das Handtuch geschmissen hat, entnervt, weil er zu wenig Leute hatte, um die Fülle von Material, die sie aus dem Internet gefischt hatten, in angemessener Zeit zu sichten. Und dann sind ihm einige Fische durch die Lappen gegangen und das frustriert natürlich.

Bürger: Das heißt, die Behörden arbeiten nicht effizient genug, weil ihnen Personal fehlt?

Renzikowski: Die Behörden können nicht effizient genug arbeiten, weil ihnen Personal fehlt, weil alle im Augenblick immer noch auf der Suche nach dem islamistischen Superterroristen sind. Das betrifft auch andere Kriminalitätsbereiche. Wer hier wirklich was machen will, muss die Polizei besser ausstatten.

Bürger: Welche Präventionsprogramme halten Sie denn insgesamt für sinnvoller als diese Fernsehsendung?

Renzikowski: Also ich bin ja auch der Auffassung, dass RTL mit Prävention nichts zu tun hat. Wenn man sich um Prävention hier bemühen möchte, dann müsste man meiner Meinung nach mit Aufklärungsprogrammen in den Schulen anfangen. Ich habe Kinder in diesem Alter, ich kenne das deswegen, weil die zum Beispiel im Kindergarten, auch in der Grundschule Programme hatten, so: Stärke das Selbstbewusstsein von Kindern, sag Nein, wenn es dir unangenehm wird, und solche Sachen. Und man müsste jetzt ebenfalls Aufklärungsprogramme zum Beispiel haben, wie gehe ich mit Computern um, wie gehe ich mit Facebook und dergleichen, solchen Internetprofilen um, mit Chatrooms, welche Gefahren lauern im Netz, wie kann ich mich davor wappnen und all das. Das müsste man also machen. Jetzt ist es so, dass ich Missbrauchsprävention im Kindergarten und in den Grundschulen habe, in fast allen Bundesländern für die Altersgruppe über zehn, zwölf Jahren gibt es gar nichts. Und wenn einige Bundesländer aus Kostengründen entsprechende Präventionsprogramme an Schulen streichen, dann ist völlig klar, was da noch stattfindet, dann ist der Opferschutz ein schönes, wohlfeiles Wort für politische Sonntagsreden, aber es wird nichts gemacht, weil es am Geld scheitert. Und das ist das, was mich eigentlich wirklich ärgert. Das, was effektiv und sinnvoll wäre, wird aus finanziellen Gründen nicht gemacht.

Bürger: Sagt der Strafrechtsprofessor Joachim Renzikowski von der Universität Halle-Wittenberg über die Debatte um die RTL2-Reihe "Tatort Internet". Herr Renzikowski, Danke Ihnen für das Gespräch!

Renzikowski: Ja, schönen Tag, Frau Bürger!
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