Rotlichtbestrahlung

09.08.2007
Adrian Geiges ist Jung-Revoluzzer in der BRD der Siebziger. China erscheint ihm zu jener Zeit nicht mehr revolutionär genug, "konsequent links" wirken lediglich die Sowjetunion – und der Osten Deutschlands. Deshalb geht er in die DDR, macht eine Schulung, "Rotlichtbestrahlung". In seinem autobiographischen Buch erzählt der Breisgauer von diesem Leben und von einer schmerzhaften Häutung. Ein bisschen zu oft, ein wenig zu heftig übt sich der einstige Rebell in Selbstkasteiung.
In seiner Jugend ist Adrian Geiges, Jahrgang 1960, eine eher unauffällige Erscheinung: schmal und schüchtern, gelegentlich stotternd. Sichtlich kein Halbstarker. Und dennoch gilt er daheim in Staufen im Breisgau als Bürgerschreck. Geiges, der aktive Jungkommunist. Mit zwölf hat er die "Mao-Bibel" gelesen. Gerade mal volljährig, will Geiges "Hauptamtlicher" werden, ein Bürokrat des weltweiten Umsturzes:

"Die Tätigkeit des Berufsrevolutionärs endet mit dem Tod, hieß es. Das gefiel mir, da hatte ich eine Perspektive für den Rest des Lebens."

China erscheint ihm zu jener Zeit nicht mehr revolutionär genug, "konsequent links" wirken lediglich die Sowjetunion – und der Osten Deutschlands. An seinem 19. Geburtstag reist der Undercover-Kämpfer in die DDR, für ein knappes Jahr Drill an der "Jugendhochschule" in Bogensee, nördlich von Berlin. Im Osten nannte man das "Rotlichtbestrahlung".

Später, nach der Rückkehr, studiert Geiges noch einmal richtig – Publizistik, Geschichte, Politik, auch Chinesisch und Russisch. Nebenher geht sein Wunsch in Erfüllung: Er wird Redakteur beim Jugendblatt Elan und damit "Berufsrevolutionär" – die "linke Bravo", auch "stalinistische Mickymaus" genannt, gehört der Deutschen Kommunistischen Partei. 1989 implodiert das verzweigte, mit DDR-Geldern gemästete Imperium der DKP aus Verlagen und Buchhandlungen in der Bundesrepublik, der Parteiapparat zerbricht und mit ihm auch Geiges’ Glaube an die gute linke Sache: Im Licht von Glasnost erweisen sich die bundesdeutschen Genossen als Betonköpfe.

Nach der Wende recherchiert Adrian Geiges fürs Fernsehen im Moskauer Rotlichtmilieu. Dann folgt der zweifach große Sprung, in das Land Utopia aus pubertärer Zeit. Für einen deutschen Medienkonzern soll der Ex-Revoluzzer als Chef von Dutzenden Angestellten den chinesischen Markt erobern. Heute ist er Peking-Korrespondent des "Stern".

In seinem autobiographischen Buch erzählt der Breisgauer von diesem Leben und von einer schmerzhaften Häutung. Die Geschichte stehe für viele aus Geiges’ Generation, die Story sei "authentisch und amüsant", lässt der Verlag wissen. Authentisch, amüsant? Bedächtig schreitet der Autor durch eine Galerie aus Momentaufnahmen. Wo der Leser gern verweilen würde geht der Verfasser zu rasch vorbei. Wir erwarten einen schrägen Blickwinkel, einen subversiven Text – und finden ihn nicht schräg, nicht subversiv genug.

Was erfahren wir über die DDR? Nichts, was wir nicht wussten. Dass die "Qualifizierung" von DKP-Kadern streng geheim gewesen sei. Dass inniger Kontakt zu östlichen Damen verboten blieb – woran sich niemand hielt. Dass alte Herren forsche Lieder sangen, "Vorwärts du junge Garde / Des Proletariats!". Dass es trotz permanenter Beschwörung des Kampfes "gegen Krieg und Profit" in der DDR Rassismus gab.

Spannender als diese flüchtigen Reise-Impressionen sind die Insider-Berichte aus der kommunistische Szene der alten BRD. Geiges zeigt den DKP-Apparat als Verein stalinistischer Sesselfurzer, die gern einmal über die Stränge schlagen. Wir lesen Ernüchterndes: Von Genossinnen, die routiniert Bilanzen fälschten und D-Mark bar in Plastiktüten von Ost nach West schmuggelten. Geiges:

"Ich hatte gelernt: Moral ist, was der Sache der AK dient."

Von Funktionären, für die nur "Macht, Machogehabe und Bierfestigkeit" zählten. Von einer Hütte im Sauerland, in der verdiente Kader "Wochenenden mit Harem" verlebten.

Doch es gibt auch eine richtige Lovestory: Adrian sucht Sandy, die "schöne Sächsin" in FDJ-Bluse und Minirock aus dem Kurs am Bogensee; er sehnt sich jahrelang, dann findet er sie in Russland, tot, ermordet. Vor allem gibt es viel Moral in Geiges’ Werk, die Moral des Konvertiten. Ein bisschen zu oft, ein wenig zu heftig übt sich der einstige Rebell in Selbstkasteiung – was war man als junger Mann doch blind, verblendet. Zum Glück würzte der Autor seine Erinnerungen mit Witz und Ironie, aber leider, er dosierte zu schwach. Nein, so amüsant war die Revolution am Ende offenbar doch nicht.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Adrian Geiges: Wie die Weltrevolution einmal aus Versehen im Schwarzwald begann
Mein Leben zwischen Mao, Che und anderen Models
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007
315 Seiten, 19,95 Euro