Roth-Behrendt kritisiert EU-weites Öko-Siegel

Moderation: Frank Capellan |
Die EU-Parlamentarierin Dagmar Roth-Behrendt hat die für 2009 beschlossene Einführung eines europaweit einheitlichen Ökosiegels für Lebensmittel kritisiert. Die Neuregelung erlaube die Verwendung von gentechnisch hergestellten Lebensmittel-Zusatzstoffen, sagte das Mitglied im EU-Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Frank Capellan: Das hat es noch nicht gegeben und könnte den Verbrauchern in Europa die Orientierung erleichtern. Von 2009 an soll ein EU-weites Bio-Siegel auf Öko-Lebensmitteln prangen, das garantiert, dass diese Produkte zu mindestens 95 Prozent biologisch erzeugt worden sind. Darauf haben sich die Agrarminister der Union gestern in Luxemburg verständigt. Das hört sich zunächst ja sehr gut an, Kritiker allerdings sprechen von einer Aufweichung bisheriger Bio-Standards, die die Neufassung der europäischen Öko-Verordnung da mit sich bringe. Darüber möchte ich nun mit der SPD-Europa-Abgeordneten Dagmar Roth-Behrend sprechen, Mitglied im EU-Ausschuss für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Ich grüße Sie!

Dagmar Roth-Behrend: Guten Morgen.

Capellan: Frau Roth-Behrend, die Hauptkritik wird ja geäußert mit Blick auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Da gibt es einen Toleranzwert von 0,9 Prozent für gentechnisch modifizierte Organismen, die in einem Produkt mit Bio-Siegel enthalten sein dürfen. Können Sie damit leben?

Roth-Behrend: Ja, damit kann ich schon leben, wobei der 0,9-Prozent-Wert genauso unsinnig oder sinnvoll ist wie 0,1 Prozent. Wir wollten eigentlich 0,1 Prozent, das wollten wir aber auch schon zur Gesetzgebung zu neuartigen Lebensmitteln, also Novel Food. Und dabei bezieht es sich ja nur auf die sogenannte unfreiwillige Verunreinigung, also Pollenflug meinetwegen oder der Lastwagen, der das Öko-Getreide transportiert hat, vorher was anderes transportiert und ist nicht sauber gereinigt. Da haben wir nach einem Grenzwert gesucht. Das Parlament wollte damals schon 0,1, hat damals 0,9 bekommen, was immerhin noch ordentlich ist. Und dieser Grenzwert ist jetzt übernommen worden. Das ist nicht der Hauptpunkt meiner Kritik. Das ist etwas, da entspanne ich mich schon.

Capellan: Worin liegt Ihre Hauptkritik?

Roth-Behrend: Meine Hauptkritik liegt darin, dass man in Zukunft sehr wohl auch bestimmte gentechnologisch hergestellte Lebensmittelzusatzstoffe verwenden darf, wenn sie in gentechnisch unveränderter Form nicht mehr verfügbar sind, also irgendwelche Verarbeitungshilfen oder irgendwelche anderen Zusatzstoffe. Wenn die theoretisch nur noch gentechnisch hergestellt existieren, sollen die auch verwendet werden dürfen. Das unterstütze ich überhaupt nicht. Und ich bin auch nicht der Überzeugung, dass es bei bestimmten chemisch-synthetischen Pestiziden eine Verwendungsmöglichkeit geben soll beim ökologischen Landbau. Auch das halte ich für falsch.

Capellan: Was spricht denn dagegen, wirklich nur 100-prozentig biologisch hergestellte Produkte auszuzeichnen, also solche Ausnahmen erst gar nicht zuzulassen?

Roth-Behrend: Gegen diese Ausnahmen, die ich Ihnen eben genannt habe, also bei der Frage der Zusatzstoffe, die gentechnologisch hergestellt sind und nicht mehr anders existieren, oder bei der Frage der chemisch-synthetischen Pestizide gibt es überhaupt keinen Grund, eine Ausnahme zu machen, keinerlei Grund.

Capellan: Ja, und warum kommt es jetzt zu diesen Ausnahmen?

Roth-Behrend: Weil die Europäische Kommission und die Mitgliedsländer und anscheinend auch Herr Seehofer das für eine völlig gute Lösung hielten. Und jetzt muss ich klar noch mal sagen: Dies ist eine Landwirtschafts-Gesetzgebung in Anführungszeichen, das heißt, es ist eine Gesetzgebung, die unter dem Teil des Vertrages der Europäischen Union aus dem Bereich der Landwirtschaft kommt und deshalb das Europäische Parlament noch, ich sag mal noch kein Mitentscheidungsrecht hat. Hätten wir den Verfassungsvertrag bereits, dann gäbe es keinen Bereich an Gesetzgebung, an dem das Europäische Parlament kein Mitentscheidungsrecht hat, dann wäre das hier im Mitentscheidungsverfahren im Europäischen Parlament gewesen. Und ich garantiere Ihnen, das wäre anders rausgekommen.

Capellan: Also Sie haben Angst, dass das Vertrauen der Bürger in Bio-Produkte durch diese Richtlinie eher schwinden kann?

Roth-Behrend: Ja, es wäre ungerecht, wenn das Vertrauen wirklich schwinden würde. Produkte aus biologischem Anbau sind nach wie vor hochwertig, und ich würde mich einfach auch danach richten, wo kommen die biologischen Produkte her und gibt es einzelne Verbände, wie zum Beispiel auch wahrscheinlich der deutsche Bio-Landbauverband, der erklären wird, dass er keine gentechnisch hergestellten Zusatzstoffe zur Verarbeitung verwenden wird – nehme ich an. Mein Vertrauen in biologischen Landbau ist deshalb nicht geschmälert. Allerdings halte ich die veränderte Gesetzgebung für mehr als überflüssig. Sie ist nicht so katastrophal, wie sie mal aussah und wie sie aus der Europäischen Kommission und einigen Mitgliedsländern vorgeschlagen wurde, aber sie ist längst nicht so gut genug, wie sie hätte sein können, und längst nicht so gut, wie das, was das Europäische Parlament, meine Kollegen im Landwirtschaftsausschuss und ich im Lebensmittelausschuss machen.

Capellan: Wer wird denn eigentlich in Zukunft diese neu festgelegten Standards kontrollieren?

Roth-Behrend: Die Europäische Kommission macht Stichproben, aber ansonsten ist es natürlich wie überall: So wie eine Gesetzgebung einmal auf europäischer Ebene verabschiedet ist, ist sie sozusagen Eigentum der Mitgliedsländer, dann ist sie rein deutsches Recht. Und dann ist es Angelegenheit der Bundesländer und Deutschlands insgesamt, eins sicherzustellen und zu kontrollieren, dass die Gesetzgebung umgesetzt und eingehalten wird.

Moderator: Da gibt es ja dann möglicherweise ein Problem, denn das deutsche Bio-Zeichen soll ja parallel zum europäischen erhalten bleiben, und die Kontrollen sind meines Wissens in Deutschland da schärfer als das, was jetzt von der Europäischen Union vorgeschlagen wird, oder?

Roth-Behrend: Das Problem wird sein, dass wir dann zwei unterschiedliche Siegel nebeneinander existieren haben, und in der Tat wird es dann unterschiedliche Regeln geben. Die weitergehenden deutschen Regeln sollen ja bestehen bleiben. Ob das praktische Auswirkungen hat, bezweifle ich. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es kurz- und mittelfristig sehr viele Bio-Landbauer gibt, die außer der, sozusagen dieser unfreiwilligen Verunreinigung, in die anderen Bereiche reinfallen werden und dass es dort größere Kontrollprobleme gibt.

Capellan: Aber Sie glauben schon, dass der Verbraucher eher verwirrt wird durch zwei verschiedene Siegel?

Roth-Behrend: Na ja, wissen Sie, wir haben so viele unterschiedliche Siegel jetzt schon gehabt, wir haben auch jetzt schon zwei Siegel gehabt, ein deutsches Bio-Siegel und ein europäisches Bio-Siegel aus ökologischem Landbau. Wir haben unterschiedliche Siegel der unterschiedlichen Erzeuger in Deutschland, wir haben unterschiedliche Siegel für ökologische Produkte. Ich vertraue da auf die Aufgeklärtheit und die Neugier der Bürgerinnen und Bürger und der Verbraucher, dann einfach auf das Produkt draufzugucken. Da steht ja dann drauf, was es für ein Siegel ist.

Capellan: Ist denn das letzte Wort in Sachen europäisches Bio-Siegel nun gesprochen, oder wird es da doch noch Veränderungen geben?

Roth-Behrend: Nein, das letzte Wort ist jetzt erst einmal in dem Ministerrat der Agrarminister, der Landwirtschaftsminister leider gesprochen. Wie gesagt, hätten wir den europäischen Verfassungsvertrag bereits und wäre der nicht blockiert von einigen Ländern, dann wäre das letzte Wort nicht gesprochen, sondern dann wäre es eine Verpflichtung gewesen, sich mit dem Europäischen Parlament in einem Vermittlungsverfahren zusammenzusetzen, um einen besseren Kompromiss zu finden.

Capellan: Die SPD-Europa-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrend im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!

Roth-Behrend: Danke!