Rotes Hessen, schwarzes Hessen

Von Anke Petermann |
Schwerpunkte sind die rote Ära Zinn, die vielfältige Ära Börner (sozialliberal, hessische Verhältnisse, dann rot-grün), die schwarze Ära Koch. Im Schnelldurchlauf und angereichert durch die entscheidenden Themen: Hessenplan, Wirtschaftsaufschwung der Anfangsjahre, Bildungs-, Atom- und Startbahnkämpfe der 70er/80er, Kochs Doppelpass- und Kriminalitätskampagnen, und jetzt Wirtschaftskrise und Leitmotiv Stabilität.
Erster Dezember 1946: Die erste freie Landtagswahl in Hessen gewinnen die Sozialdemokraten mit knapp 43 Prozent. Die CDU folgt in weitem Abstand mit 31 Prozent der Stimmen, Liberale und Kommunisten kommen auf rund 16 und fast 11 Prozent.

In der Gründungsphase 1945 – 1950 konnten nur die von den Alliierten lizenzierten Parteien zur Wahl antreten. Die hessische SDP entschied sich in dieser Phase gegen eine Zusammenarbeit mit der KPD und für eine Große Koalition, um eine möglichst breite Zustimmung zu ihrer Politik zu organisieren,

… hält der Kasseler Politologe Wolfgang Schroeder fest*. Als erster frei gewählter Ministerpräsident steht der Sozialdemokrat Christian Stock der Großen Koalition vor. Justizminister ist seit 1945 der Sozialdemokrat, der Hessen für weitere Jahrzehnte prägen wird: Georg August Zinn. Er gehörte schon dem Kabinett des Parteilosen Karl Geiler an, das noch die US-Militärregierung ernannte. Bis zum Ende der 60er Jahre fährt der ehemalige Widerstandskämpfer der Gruppe „Roter Stoßtrupp“ für die Sozialdemokraten Siege ein.

„Baumeister des modernen Hessen“ wurde er genannt. Georg August Zinn, am 14. Dezember 1950 vom Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt, wurde schon zu Lebzeiten zur politischen Legende.

… schreibt das Darmstädter Echo. Bei älteren Hessen weckt der Politiker aus Frankfurt am Main als Inbegriff des Landesvaters positive Erinnerungen:

„Es war ein sehr sympathischer Mensch. Er hatte ziemlich helle, fast silberne Haare, n ziemlich schmales, ovales Gesicht. Das war so’n großer grauhaariger Mann, aber ich hab’ ihn noch in Erinnerung.“

Fast 20 Jahre lang führt der Sozialdemokrat fünf Regierungen.

Zinn verkörperte jene „gute Autorität“, nach der sich nach dem Krieg vor allem die protestantische Landebevölkerung sehnte, die Bauern und Handwerker, die die Orientierung verloren hatten, weil ihre alten Vorbilder doch alle mit dem Dritten Reich untergegangen waren. Und für die die katholische CDU keine echte Alternative sein konnte,

… meint die „Süddeutsche Zeitung“. Georg August Zinn, Geburtshelfer des Mythos vom „roten Hessen“?

Es war eine milde Röte, die das Land Hessen in den Regierungszeiten Zinns überzog. Ideologischen Überschwang ließen die Schwierigkeiten der Aufbaujahre nicht zu – und sie lagen nicht in Zinns Naturell.

So die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Die Herausforderung, die der Ministerpräsident von der SPD neben dem Wiederaufbau im Nachkriegs-Hessen zu bewältigen hatte, beschreibt Ulrike Holler in einem Rückblick für den Hessischen Rundfunk so:

„Ministerpräsident Georg August Zinn musste eine Million Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Krieg in Hessen integrieren. Er ging deshalb Koalitionen mit dem konservativen BHE, dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten ein,“

… und zwar dreimal. Premiere ist nach der Landtagswahl 1954, als die Sozialdemokraten die zuvor gewonnene absolute Mehrheit verlieren.
Zwei Hessenpläne legt Zinn bis Anfang der Sechzigerjahre auf.

(Holler) „…ein System von Beihilfen, Krediten und Bürgschaften für öffentliche und private Investitionen, und er begründete 1961 den ersten Hessentag in Alsfeld:“ (Zinn) „Toleranz, Geistesfreiheit und Bürgerstolz sollen immer Merkmale dieses Landes sein,“

… ein Land, das als Kunstgebilde der Alliierten entstand und unter Georg August Zinn eine Identität und ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt. „Hessen vorn“, der Slogan, mit dem die Sozialdemokraten hinter ihrem Idol 1962 in den Wahlkampf ziehen, ist mehr als eine Parole, er trifft ein Lebensgefühl. Die Zinnschen Programme sind der Humus für hessischen Aufschwung und hessische Stärke, da sind sich rückblickend die Autoren der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und des „Darmstädter Echos“ einig.

Es entstanden Arbeitsplätze, Sozialwohnungen, Mittelpunktschulen, Dorfgemeinschaftshäuser,

… ausgestattet übrigens mit Dusche, Waschmaschine und Fernseher. Sozialdemokratische Fürsorge geht in Hessen einher mit ökonomischem Leistungswillen.

Bald wird, begünstigt durch die zentrale Lage, aus dem einst armen Hessenland einer der wichtigsten Zahler in den Bundesfinanzausgleich. Die Bürger Hessens honorieren die entscheidend gestaltende Politik, den überall greifbaren Aufschwung 1962 und 1966 mit absoluten Mehrheiten, die eigentlich Zinn-Mehrheiten waren. Ein Hanauer Unternehmer, den die hessische CDU damals um eine Parteispende anging, wird mit dem Satz zitiert: „Das Geld können Sie haben, doch meine Stimme gebe ich Zinn.“

Ende der Sechzigerjahre: Noch ist Hessen rot, doch die Schwarzen sind dabei, ihre Selbstfindung abzuschließen und sich unter Alfred Dregger zum Kampfverband zu formieren. 1969 tritt Georg August Zinn nach einem Schlaganfall ab. Sein Nachfolger wird der sozialdemokratische Finanzminister Albert Osswald. Im Jahr darauf büßt die Hessen-SPD bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit ein und nimmt die FDP mit ins Boot. Die CDU legt explosionsartig zu – von 26 auf 39 Prozent.

Der Aufstieg der CDU begann, als sie sich unter Führung Alfred Dreggers Ende der Sechziger vom katholischen Honoratiorenklub zur Volkspartei wandelte. Ihre Neu-Ausrichtung griff zu einem Zeitpunkt, da schon das Ausscheiden Zinns für die SPD eine Zäsur markierte.

… hält die „Süddeutsche Zeitung“ fest. „Bildung für alle“ ist Ende der Sechzigerjahre das sozialdemokratische Schlagwort. 1969 beruft Ministerpräsident Albert Osswald den bis dahin parteilosen Soziologie-Professor Ludwig von Friedeburg zum Kultusminister. Der Admiralssohn schreibt sich auf die Fahnen, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Als Etappe auf dem Weg zur flächendeckenden Gesamtschule führt er anstelle der Klassen fünf und sechs die schulübergreifende Förderstufe ein. Die scheitert Anfang der Siebzigerjahre an Unterfinanzierung und schlechter Vorbereitung der Lehrer. Von Friedeburg aber bleibt fixiert auf das große Ziel.
„Wenn die wichtigste Erwartung an die Förderstufe doch die ist, dass die Entscheidung über den Schulweg der Kinder nicht bereits im Alter von zehn Jahren getroffen werden soll, sondern dass – wie der Name sagt – in einer Förderstufe der Einzelne bestmöglich gefördert werden soll, eine möglichst große Orientierung über die weiteren Bildungswege erhalten soll, um dann seinen Neigungen, Begabungen und Fähigkeiten entsprechend, den für ihn richtigen Schulweg zu finden. In dieser Hinsicht hat sich die Förderstufe bewährt.“

Die Bildungspolitik mit der ideologischen Brechstange verschreckt die bis dahin „mild roten“ Hessen, bei der Landtagswahl 1974 stellen sie der SPD die Quittung für ihre Reformwut aus: Die CDU steigt erstmals zur stärksten Partei in Hessen auf. Doch die sozialliberale Koalition bleibt bestehen, zunächst unter Ministerpräsident Osswald, ab 1976 unter Holger Börner. Vergeblich wirbt der CDU-Vorsitzende Alfred Dregger um die FDP als Bündnispartner, vergeblich beschimpft der konservative Hardliner die Liberalen im Wahlkampf 1978. „Keine koalitionspolitischen Experimente“ hatte die hessische FDP-Führung damals mit Blick auf das bestehende sozialliberale Bündnis in Bonn als Devise ausgegeben. Auf dem Darmstädter Luisenplatz wettert Alfred Dregger:

„Das heißt auf Deutsch: Die Freien Demokraten sind nicht mehr frei, sie können sich von den Rockschößen der Sozialdemokraten nicht mehr lösen, sie sind nicht mehr handlungsfähig. Ja, mein Gott, mit einer solchen Partei kann man Mitleid haben, aber man kann sie doch nicht wählen als Liberaler, ist doch völlig ausgeschlossen.“

Im Juni 1982 aber ringt sich die hessische FDP zu einer Koalitionsaussage zugunsten der CDU durch – ein neues schwarzgelbes Modell für die Republik soll entstehen, das gibt die FDP-Führung unter Hans-Dietrich Genscher offen zu. Die Bonner Christdemokraten jubeln, doch der hessische CDU-Chef Alfred Dregger ahnt die Gefahren, die in der liberalen Wende liegen könnten.

„Es ist das erste Mal, dass ein Landesverband der FDP sich für eine CDU-Opposition entscheidet, und es ist das erste Mal, dass ein Landesverband der FDP versucht, einen fliegenden Wechsel von einem Regierungspartner zum anderen durch Wahlen zu erreichen. Niemand weiß, ob dieser Wechsel gelingt. Schon diese Ungewissheit zwingt uns, um die absolute Mehrheit für die CDU zu kämpfen, und das werden wir selbstverständlich mit allem Nachdruck tun. Beifall“

Drei Wochen vor der Wahl im September 1982 prognostizieren Meinungsforscher der CDU die ersehnte absolute Mehrheit – sie irren sich, was im Hessen der knappen Mehrheitsverhältnisse durchaus üblich ist.

Obwohl alle Zeichen auf einen klaren Wahlsieg der CDU hin deuteten, konnte die SPD in letzter Minute mit einer emotionalen Kampagne das Ruder herumreißen, indem sie den Wahlkampf auf den sozialliberalen Koalitionsbruch in Bonn fokussierte. Dregger war mit dieser Niederlage endgültig zum tragischen Helden der hessischen CDU geworden, weil er die Partei organisatorisch und inhaltlich aufgebaut und die SPD an Stimmen weit überholt hatte, aber nie die Früchte seiner Arbeit als Ministerpräsident ernten konnte. Den Vorsitz gab Dregger nach der verlorenen Wahl an Walter Wallmann ab.

So nachzulesen im Sammelband über das Hessische Parteiensystem*. Die CDU fährt knapp 46 Prozent der Stimmen ein, die SPD fast 43. Abgestraft wird die FDP für ihren Seitenwechsel hin zu den Konservativen, mit drei Prozent der Stimmen muss sie draußen bleiben. Eine neue Partei kommt aus dem Stand auf acht Prozent: die Grünen, groß geworden mit der Friedensbewegung, dem Nein zu den Atommeilern im südhessischen Biblis und den Massenprotesten gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens, die Ministerpräsident Holger Börner mit Polizeigewalt niederschlagen lässt. Die damalige grüne Stadträtin Jutta Ditfurth erinnert sich, wie die Polizei das Hüttendorf am Frankfurter Flughafen räumt und abreißt:

„Am Montag, dem 2. November 1981 wurde das Dorf dem Erdboden gleich gemacht. Fotos gingen um die Welt. Auf einem der berühmtesten springen Polizisten mit langen Knüppeln dem Fotografen Rolf Böhm ins Gesicht, er knipste, bevor er blutend zusammenbrach, Jagdszenen so grausam, so blutig, dass selbst die Bildzeitung wie die reinste Revoluzzer-Postille protestiert … – Demonstrantenchor: Wehrt euch, leistet Widerstand.“

Ende 1982 zieht der Widerstand ins Landesparlament ein. Die Frankfurter Neue Presse skizziert die bundesweite grüne Premiere so:

Der Aufmarsch der neun Neuen im Hessischen Landtag entsprach den Erwartungen: Viele Bärte, keine Schlipse, und handgestrickte Wollpullover prägten am 1. Dezember 1982 den ersten Auftritt der Grünen im Plenarsaal in Wiesbaden. Alles wollten die neuen anders machen als die etablierten Volksvertreter: Die Abgeordneten mussten einen Teil ihrer Diäten abliefern, nach zwei Jahren Nachrückern weichen, stets dem Willen der Basis folgen, und demonstrative Aktionen gehörten zum Stil politischer Auseinandersetzung. Von Joschka Fischer war noch nichts zu sehen. Der künftige Obergrüne war der jungen Partei erst 1982 beigetreten und ging ein Jahr später in den Bundestag.

Das sozialdemokratische Schwergewicht Holger Börner hält wenig von der bunten Truppe. Die Gegner der Startbahn West hätte sich der gelernte Betonfacharbeiter am liebsten „mit der Dachlatte“ vom Hals gehalten. Mit den Ökos zu koalieren, kommt nicht in Frage. Börner hatte das zuvor ausgeschlossen. Zunächst regiert er geschäftsführend – wie sein CDU-Gegenpart Roland Koch heute – ohne parlamentarische Mehrheit im Rücken. Elf Monate, in denen die Sozialdemokraten wenig bewegen.

„Zur Großen Koalition die wir ihnen angeboten haben, waren sie nicht bereit, und so konnte es keinen Haushalt geben, keine gewählte Regierung,“

… kommentiert der damalige CDU-Fraktionschef Gottfried Milde vorwurfsvoll. Der Ausweg aus der politischen Sackgasse lautet im Sommer 1983 wie im Winter 2008 so:

„Der Hessische Landtag der 10. Wahlperiode ist hiermit aufgelöst, die Sitzung ist geschlossen.“

Vorgezogene Neuwahlen also – doch der Urnengang im September 1983 bringt wieder keine klaren Mehrheitsverhältnisse, Holger Börner bleibt mit seinem Minderheitskabinett erneut als „Geschäftsführer“ im Amt, erst ein Dreiviertel Jahr später ringen sich Rote und Grüne zu einer Tolerierung durch,. Im Herbst 1985 bietet Börner den Grünen trotz anhaltenden Streits um die Hanauer Nuklearbetriebe den Posten des Umwelt- und Energieministers in einer rot-grünen Koalition an – allerdings ohne die Atomaufsicht.

„Es war keine Liebesheirat wie jede Koalition, sondern eine Zweckehe mit einem sehr komplizierten Partner.“

Mit Joschka Fischer tritt Ende 1985 der erste grüne Minister in Deutschland an – sozusagen gemäß Sponti-Kleidungsvorschrift in weißen Turnschuhen. Ministerpräsident Börner nimmt es gelassen:

„Ich hab’ wirklich überlegt, ob ich ihn in diesem Aufzug vereidige, dann habe ich aber gedacht, der braucht das wie die Indianer die Kriegsbemalung, sozusagen fürs eigene Image.“


Nur 14 Monate später zerbricht die labile Zweckehe. Der Grünen-Parteitag Anfang 1987 verlangt von der SPD ultimativ, der Hanauer Plutoniumfabrik Alkem die Genehmigung zu verweigern. Umweltminister Fischer peitscht die Basis mit auf.

„Wenn wir uns nicht durchsetzten dort, dann bin ich im Wort, dann wird diese Woche, am Ende dieser Woche die Koalition beendet sein.“

Der Regierungschef von der SPD entlässt seinen grünen Turnschuhminister,

… und ein ernüchterter Börner bilanziert: „Die Grünen haben gelernt, Froschschenkel zu essen, doch sie sind nicht in der Lage, Kröten zu schlucken.“

So zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung den „Vater der ersten rot-grünen Koalition“. Abermals beschließt der Hessische Landtag im Februar 1987, sich selbst aufzulösen.

Bei den Neuwahlen im April 1987 trat Börner nicht mehr an, die SPD schickte Hans Krollmann ins Rennen. Es wurde eine bittere Niederlage für die Sozialdemokraten. Mit Walter Wallmann zog erstmals ein Unionspolitiker in die Staatskanzlei ein.

… resümiert der Wiesbadener Kurier. Den Christdemokraten gelingt der Machtwechsel mit Hilfe der Liberalen hinter Wolfgang Gerhardt, die sich vom Koalitionsbruch in Bonn erholt haben. Doch die unionsgeführte Regierung bleibt vorerst ein Intermezzo. Zweimal noch, Anfang und Mitte der neunziger Jahre, wählt Hessen danach rot-grün. An die Spitze rückt der Kasseler Sozialdemokrat Hans Eichel. Nach der SPD-Wahlschlappe 1999 in Hessen und dem Rücktritt Oskar Lafontaines in Berlin wird Eichel Bundesfinanzminister im Kabinett Schröder. 1990 trat Roland Koch erstmals als jungdynamischer CDU-Fraktionschef an. Als Spitzenkandidat bringt er im Wahlkampf zum Ausklang des Jahrtausends die Unions-Kampagne gegen das geplante Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft in Gang. Koch ist stolz darauf, dass die hessischen Christdemokraten schon in den ersten Tagen, noch vor dem bundesweiten Start der CDU-Aktion, weit über Zehntausend Unterschriften gegen das Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung sammeln.

„Weil ich verhindern möchte, dass durch Mohammedaner eine Unterwanderung der christlich-abendländischen humanistische Kultur erfolgt – deswegen.“

Der junge CDU-Spitzenkandidat Roland Koch ist den Wählern bis dahin kaum bekannt. Er polarisiert. 1999 zum ersten, aber nicht zum letzten Mal. Manche sagen, er spaltet Hessen.

(Mann) „Anfang dieser Woche sind bei uns durchs Viertel …“ (Frau) „Diese Aktion ist eine Schande.“ (Mann) „Diese Aktion finden wir eine Schande … sind bei uns durchs Viertel Jugendliche marschiert, um 2.30 Uhr morgens, und rufen Deutschland den Deutschen, Ausländer raus – das sind die Trittbrettfahrer, die wir net wollen – wie tief muss denn die CDU sinken, dass sie so was braucht, um ihre Politik im Bundestag, die net mehrheitsfähig ist, durchzusetzen?!“

Trotz kritischer Stimmen: Roland Koch gewinnt die Landtagswahl im Februar 1999: seine CDU wird mit 43 Prozent stärkste Fraktion. Gemeinsam mit der FDP lösen die Konservativen Rot-Grün in Hessen ab. Doch die Freude am Wahlsieg währt nicht lange, Anfang 2000 wird die Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU bekannt. Mit dem Geld unbekannter Herkunft, das auf illegalen Auslandkonten geparkt worden war, hatten die Christdemokraten unter anderem ihren umstrittenen Landtagswahlkampf finanziert. Deutschlands jüngster Ministerpräsident fordert „brutalst mögliche Aufklärung“ und gibt an, selbst von den Transaktionen nichts gewusst zu haben. Später muss Koch eingestehen, dass er über die Schwarzgeldkonten informiert war – das kratzt seine Glaubwürdigkeit an. Doch bis zur Wahl 2003 vergisst der Wähler. Die CDU mit dem Macher Koch an der Spitze erringt sogar eine hauchdünne absolute Mehrheit, nämlich 56 von 110 Sitzen im Parlament. Die SPD mit dem sympathischen, aber farblosen Spitzenkandidaten Gerhard Bökel versinkt im Allzeit-Tief.

„Wir haben für eine andere politische Kultur in diesem Land gekämpft, und wir haben gewonnen, Genossinnen und Genossen – Beifall.“

… jubelt SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti am Wahlabend des 27. Januar 2008, sie hat die Genossen links profiliert und damit auf neue Höhen geführt. Im Lauf des Abends jedoch kommt die CDU auf 36,8 Prozent der Stimmen und überrundet die SPD ganz knapp – die vermeintliche Siegerin wird mit 36,7 Prozent nur Zweite. Die frisch fusionierte Linke nimmt die Fünf-Prozent-Hürde knapp und zieht in den Hessischen Landtag ein. Roland Koch kann nur geschäftsführend gegen die parlamentarische Mehrheit von SPD, Grünen und Linken anregieren. Daraus erstmals im Westen eine rot-grün-rote Regierungsmehrheit zu schmieden, gelingt SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti aber nicht – Abweichler in der eigenen Partei vereiteln zweimal ihr Ziel, erste hessische Ministerpräsidentin zu werden. Und so heißt es am 18. Januar 2009 wieder mal: Hessen bitte antreten zu vorgezogenen Neuwahlen.

*Alle Buch-Zitate aus:

Schroeder, Wolfgang: „Parteien und Parteiensystem in Hessen. Vom Vier- zum Fünfparteiensystem.“ Wiesbaden 2008