Rot-grün auf verlorenem Posten

Von Martin Steinhage |
Wohl nie zuvor in den knapp sieben Jahren seiner Regierungszeit hat Bundeskanzler Schröder ein solch positives Echo ausgelöst wie mit seinem Vorschlag, die Bundestagswahl um ein Jahr vorzuziehen. Erste Umfragen zeigen, dass die Wähler angetan sind von der Aussicht, schon bald zu den Urnen gerufen zu werden. Ähnlich aufgeschlossen ist die Resonanz bei allen politischen Parteien, gleiches gilt für Arbeitgeber und Gewerkschaften.
Von wegen Wahlmüdigkeit!

Man darf aus dieser breit gefächerten Grundstimmung den Schluss ziehen, dass - salopp gesagt - alle Welt das Gewürge der jüngeren Vergangenheit satt hat. Die Handlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition ist seit längerem arg eingeschränkt durch die starke Stellung der Union im Bundesrat. Nach der NRW-Wahl wäre Schröder in dieser Konstellation buchstäblich eingemauert gewesen von der bundespolitischen Opposition. Raum für eine vorwärts gerichtete Politik mit eigener Handschrift wäre dem Kanzler praktisch nicht mehr geblieben.

Daher nun die Flucht nach vorn, die - angesichts der offenkundigen Aussichtslosigkeit eines erneuten Wahlsiegs von rot-grün - vielen Beobachtern mit Recht als eine Art von Kapitulation erscheint. Tatsächlich spricht gegenwärtig nichts dafür, dass der Schröder-Regierung noch einmal ein Coup gelingen könnte wie im Herbst 2002, als man die Wähler um eine zweite Chance bat, und diese dann auch bekam - freilich unter dem Eindruck von Flutkatastrophe und Irak-Konflikt, ohne die es schon damals nicht noch einmal für SPD und Grüne gereicht hätte.

Um es klipp und klar zu sagen: Eine dritte Chance hat diese Bundesregierung nicht verdient, denn sie hat das eine Ziel, das zu verwirklichen sie zweimal angetreten war, klar verfehlt - die Schaffung von Arbeitsplätzen. Mehr noch: In der rot-grünen Ära sind in einer dramatischen Größenordnung zusätzlich Jobs verloren gegangen. Und dass sich an dieser Misere unter der amtierenden Regierung noch signifikant etwas ändern wird, erwartet ernsthaft wohl kaum noch jemand.

Dass man sich im stillen Kämmerlein bei den zermürbt wirkenden Sozialdemokraten dieser Einschätzung anschließt, belegt die Argumentation, mit der der Ruf nach Neuwahlen begründet wird: Er brauche die klare Unterstützung der Mehrheit für seine Politik, sagt der Kanzler. Man wolle das strukturelle Patt zwischen Bundestag und Bundesrat auflösen, erklärt der SPD-Chef. - Nur, damit dieses ehrgeizige Ziel erreicht wird, bedürfte es eines großen, überzeugenden Wahlsiegs von rot-grün - um aus solch einem Erfolg dann zumindest die Legitimation zu ziehen, auch gegen den unions-dominierten Bundesrat Politik gestalten zu können. Denn grundsätzlich würde sich ja an der lähmenden Patt-Situation nichts ändern, wenn Schröder erneut ins Kanzleramt einzöge.

So betrachtet, kann die Aufforderung der SPD an den Souverän, nun für klare Verhältnisse zu sorgen, eigentlich nur verstanden werden als Appell an die Wähler, der Noch-Opposition die Macht zu übergeben. Auf dass sie dann, unterstützt von der Länderkammer, im Herbst die Arbeit aufnimmt. - So haben das Schröder und Müntefering natürlich nicht gemeint. Dass man ihr Handeln aber so interpretieren kann, zeigt, auf welch verlorenem Posten rot-grün steht.