Rossinis "Turco" als hintersinnige Gesellschaftskomödie
"Il Turco in Italia" im Münchner Prinzregententheater: Regisseur Christof Loy hat im rund 200 Jahre alten Werk Rossinis das Hier und Heute gefunden und eindringlich sichtbar gemacht: Eine nicht mehr genutzte Lagerhalle im verkommenen Neapel von heute ist Haltestation für einen Sinti- und Roma-Clan, dessen über 40 Mitglieder alle aus einem miesen kleinen Wohnwagen gekrochen kommen.
Natürlich schnurren im Werk diese hinreißenden Rossini-Walzen-Effekte, bei denen man denkt: Noch einen Tick schneller und öfter - und der Wahnsinn bricht aus. Doch Dirigent Maurizio Barbacini kennt seinen Rossini, behält die musikalischen Zügel in Händen und lässt dann seinen Sängern auch den Atem zum anderen Ende der Komödie. Dort, wo aller Witz und alle Lust umschlägt in Leid, Einsamkeit und Verlorenheit - so, als die lebens- und liebesgierige Italienerin Fiorilla reisefertig dasitzt und nun doch nicht mit dem Pascha Selim durchbrennen kann - da konnte Alexandrina Pendatchanska die ganze Bandbreite ihres dramatischen Koloratur-Mezzosoprans ausspielen: Furor und auch Klage.
Doch sehr guter Rossini-Gesang von Simone Alaimo als türkischem Pascha und brillante mediterrane Buffo-Laune von Carlos Chausson als betrogenem Ehemann Geronio als Beispiele für ein herrlich rollendeckendes Ensemble waren nicht der Hauptgewinn des Abends. Regisseur Christof Loy hat im rund 200 Jahre alten Werk das Hier und Heute gefunden und mit seinem Ausstatter Herbert Murauer eindringlich sichtbar gemacht: Eine nicht mehr genutzte Lagerhalle im verkommenen Neapel von heute ist Haltestation für einen Sinti- und Roma-Clan, dessen über 40 Mitglieder alle aus einem miesen kleinen Wohnwagen gekrochen kommen.
Die Halle nutzt die ehemüde Fiorilla für ihre eindeutig sexuellen Eskapaden. Roter Teppich, Kristalllüster samt goldenem Licht und eine Festsaaltreppe im Hintergrundtor verwandeln die öde Halle ins Maskenballambiente, wo alle sich verwechseln: (Italiener und Türken, Bodyguards und Beschützer, Ehemänner und Liebhaber, schließlich sogar Männer und Frauen.)
Doch das ist nur die ironische Auflösung aller Rollenkonflikte, die Loys Assistent Benedikt von Peter noch schärfer als 2005 in der Hamburger Premiere herausgearbeitet hat: Da prallen damals und erst recht heute unterschiedliche Ehe-, Liebes- und Besitzvorstellungen aufeinander, die nicht vereinbar sind - und plötzlich scheint im komödiantischen Wirbel auf, dass viele heutige Politikeräußerungen nur Harmoniegeschwafel und keine Lösungen für die grundlegenden Differenzen sind, die schon Rossini und nun auch Loys Inszenierung ironisch-bitter offen legen.
Eine zweite Ebene legt die Inszenierung ähnlich glänzend offen: die hypermoderne Dramaturgie des Werkes über 100 Jahre vor Brecht. Alle vermeintliche Echtheit, also alle Illusion der Spielhandlung wird ja durchbrochen, weil ja der Dichter Prosdocimo, der glänzende Sänger-Schauspieler Roberto de Candia seine Arbeitslampe hereinzieht, Holztisch und Stuhl aufbaut - und wir das ganze Werk als seine verzweifelte Suche, als seine geradezu experimentelle Versuchsanordnung mit Menschen, als sein Mit-Hinein-Gezogen-Werden in die Handlung bis hin zu mehrfachen Prügeln miterleben: Schon 1814 also der Abschied vom olympischen Erzähler. Alles ist arrangiertes, aufgebautes, mal gezielt zur emotionalen Explosion, mal aus dem Ruder laufendes Spiel.
Und Rossini wie Loy verschweigen nicht, dass grundlegende Unterschiede nicht überbrückbar sind - auch wenn das vermeintlich glückliche Ende in einem italienischen und einem türkischen Wohnzimmer ganz banal endet: zur Enttäuschung der Frauen vor dem Fernseher. - Komödie, die nachdenklich macht. Bravo!
Doch sehr guter Rossini-Gesang von Simone Alaimo als türkischem Pascha und brillante mediterrane Buffo-Laune von Carlos Chausson als betrogenem Ehemann Geronio als Beispiele für ein herrlich rollendeckendes Ensemble waren nicht der Hauptgewinn des Abends. Regisseur Christof Loy hat im rund 200 Jahre alten Werk das Hier und Heute gefunden und mit seinem Ausstatter Herbert Murauer eindringlich sichtbar gemacht: Eine nicht mehr genutzte Lagerhalle im verkommenen Neapel von heute ist Haltestation für einen Sinti- und Roma-Clan, dessen über 40 Mitglieder alle aus einem miesen kleinen Wohnwagen gekrochen kommen.
Die Halle nutzt die ehemüde Fiorilla für ihre eindeutig sexuellen Eskapaden. Roter Teppich, Kristalllüster samt goldenem Licht und eine Festsaaltreppe im Hintergrundtor verwandeln die öde Halle ins Maskenballambiente, wo alle sich verwechseln: (Italiener und Türken, Bodyguards und Beschützer, Ehemänner und Liebhaber, schließlich sogar Männer und Frauen.)
Doch das ist nur die ironische Auflösung aller Rollenkonflikte, die Loys Assistent Benedikt von Peter noch schärfer als 2005 in der Hamburger Premiere herausgearbeitet hat: Da prallen damals und erst recht heute unterschiedliche Ehe-, Liebes- und Besitzvorstellungen aufeinander, die nicht vereinbar sind - und plötzlich scheint im komödiantischen Wirbel auf, dass viele heutige Politikeräußerungen nur Harmoniegeschwafel und keine Lösungen für die grundlegenden Differenzen sind, die schon Rossini und nun auch Loys Inszenierung ironisch-bitter offen legen.
Eine zweite Ebene legt die Inszenierung ähnlich glänzend offen: die hypermoderne Dramaturgie des Werkes über 100 Jahre vor Brecht. Alle vermeintliche Echtheit, also alle Illusion der Spielhandlung wird ja durchbrochen, weil ja der Dichter Prosdocimo, der glänzende Sänger-Schauspieler Roberto de Candia seine Arbeitslampe hereinzieht, Holztisch und Stuhl aufbaut - und wir das ganze Werk als seine verzweifelte Suche, als seine geradezu experimentelle Versuchsanordnung mit Menschen, als sein Mit-Hinein-Gezogen-Werden in die Handlung bis hin zu mehrfachen Prügeln miterleben: Schon 1814 also der Abschied vom olympischen Erzähler. Alles ist arrangiertes, aufgebautes, mal gezielt zur emotionalen Explosion, mal aus dem Ruder laufendes Spiel.
Und Rossini wie Loy verschweigen nicht, dass grundlegende Unterschiede nicht überbrückbar sind - auch wenn das vermeintlich glückliche Ende in einem italienischen und einem türkischen Wohnzimmer ganz banal endet: zur Enttäuschung der Frauen vor dem Fernseher. - Komödie, die nachdenklich macht. Bravo!