Rosenblatt und Sandelholz

Von Nikolaus Scholz · 07.04.2012
Wer atmet, der riecht. Wenn auch oft unbewusst, gelangt mit jedem Atemzug eine Melange aus Tausenden von Duftmolekülen in die Nase - eine chemische Antenne für Mensch und Tier. Auch im Leben der Menschen spielt der Geruchssinn eine entscheidende Rolle.
Düfte dienen der Orientierung und der Warnung. Sie beeinflussen das Sexual- und das Sozialverhalten, beeinflussen Gefühle und rufen Erinnerungen hervor wie an Begebenheiten aus der Kindheit oder eine verflossene Liebe.

Der Schriftsteller Patrick Süskind hat Teile der Handlung seines Romans "Das Parfum" in der südfranzösischen Kleinstadt Grasse angesiedelt, die seit Jahrhunderten als eine Stadt der Wohlgerüche gilt.

In einer limitierten Auflage von 1000 Stück wurde hier 1995 sogar ein eigenes Parfum zu Patrick Süskinds Roman kreiert. Zu Weltruhm gelangte auch ein Wunderwasser aus Köln oder "aqua mirabilis", wie es damals genannt wurde.

Der Name des Wunderwassers: 4711, benannt nach jener durchlaufenden Nummerierung, die das Haus in der Glockengasse während der französischen Besatzung Ende des 17. Jahrhunderts erhalten hatte. Auch Johann Wolfgang von Goethe schätzte es und bat den Maler Hofman, ihm "ein Kästchen mit sechs Gläsern Eau de Cologne zu überschicken".

Auf ganz andere Düfte steht die norwegische Geruchsforscherin Sissel Tolaas. Seit 20 Jahren sammelt die Exzentrikerin auf ihren Reisen so ziemlich alles, was ihr vor die Nase kommt, egal ob es Kamelmist ist, Kaffeesud oder Sand. Heute besitzt die Norwegerin fast 8000 Geruchsproben aus aller Welt. In ihrem Labor in Berlin-Charlottenburg mit Hunderten fein säuberlich beschrifteter Glasflakons tüftelt die Chemikerin tagelang an ausgefeilten Geruchsbildern. "Toleranz", meint sie, "fängt mit der Nase an. Wenn man einander nicht riechen kann, hört's auf."


zotter Schokoladen Manufaktur
Stekovics Paradeiser- und Chilipflanzen
Parfümerie Gaglewski
Scents of Time - britische Parfümerie
Musées de Grasse
4711 - Kölnisch Wasser
Duftmuseum im Farina-Haus, dem "Geburtshaus des Eau de Cologne"
Altes Gewürzamt Ingo Holland
Marienschlössl Wiedendorf


Das Maiglöckchen-Phänomen
von Hatt, Hanns; Dee, Regine;
Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt.
2008 Piper
Solange wir atmen, riechen wir. Das Riechen ist der älteste der menschlichen Sinne und steuert unser Leben bis heute zentral. Frischgebackenes Brot, eine Blumenwiese, das alte Schulhaus Düfte wecken Gefühle, Erinnerungen und Stimmungen, lange bevor unser Verstand davon erfährt. Der Genuss von gutem Essen oder Wein geht genauso durch die Nase wie die Liebe. Handel und Industrie verführen uns mit künstlichen Aromen zum Kauf. Und ohne den zarten Duft von Maiglöckchen geht gar nichts die Menschheit wäre längst ausgestorben. Hanns Hatt, der bekannteste deutsche Geruchsforscher, und die Wissenschaftsjournalistin Regine Dee zeigen, wie unser Geruchssinn über Lust und Ekel, Sympathie und Antipathie entscheidet, uns zu blinder Verliebtheit manipuliert und so oft über jede Vernunft triumphiert.


Wie riecht Leben?
von Kohl, Walter;
Bericht aus einer Welt ohne Gerüche.
2009 Zsolnay
Ein Leben ohne Gerüche? Walter Kohl erfährt nach einem folgenschweren Sturz mit dem Fahrrad, dass er seinen Geruchssinn für immer verloren hat. Angesichts der anderen, lebensbedrohlichen Verletzungen, die er sich bei dem Unfall zugezogen hat, scheint ihm sein Dasein ohne Geruchssinn zunächst eine durchaus annehmbare Perspektive. Erst nach und nach wird ihm die Tragweite dieser Beeinträchtigung bewusst. Nicht nur im sprichwörtlichen Sinn können wir einander riechen oder eben nicht. Der Umgang mit Menschen aber, die man überhaupt nicht riecht, fällt am schwersten: Nähe und Distanz geraten durcheinander, jede Art der direkten Kommunikation wird zur Herausforderung, das Erleben von Sexualität ist ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie die Freude am Essen und Trinken. Walter Kohl hat in einer Art Autobiografie einen intimen und einzigartigen Bericht, darüber geschrieben, was es bedeutet, wenn die Erinnerung an den Duft von Speck, Rosen oder Feuer langsam abhandenkommt.

Das Parfum
von Süskind, Patrick;
Leinen
Die Geschichte eines Mörders. Sonderausg.
2006 Diogenes
Die spannende Geschichte - märchenhaft, witzig und zugleich fürchterlich Angst einflößend - vom finsteren Helden Grenouille. Ein rares Meisterwerk zeitgenössischer Prosa, eine dicht gesponnene, psychologisch raffiniert umgesetzte Erzählung, die an die frühen Stücke von Patricia Highsmith erinnert, in ihrer Kunstfertigkeit aber an die Novellistik großer europäischer Erzähltradition anknüpft.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, 7 Bde.
von Proust, Marcel;
Unterwegs zu Swann, Im Schatten junger Mädchenblüte, Germantes, Sodom und Gomorrha, Die Gefangene, Die Flüchtige, Die wiedergefundene Zeit.. Übersetzung: Eva Rechel-Mertens . Hrsg. v. Luzius Keller .
2011 Suhrkamp
Es ist das monumentalste Romanwerk des 20. Jahrhunderts und längst ein Mythos der Moderne: Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Ein literarisches Universum, Spiegel der Welt und der Literatur. Luzius Kellers Revision der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens und sein Kommentar öffnen zum ersten Mal den Weg zu Proust so, wie sein Rang es verlangt.


Pesthauch und Blütenduft
von Corbin, Alain;
Eine Geschichte des Geruchs.
2005 Wagenbach
Für die Leser von Süskinds Parfüm: hier ist die historische Grundlage. Eine lebendig erzählte Kulturgeschichte des Geruchs, von den Anfängen der Körperpflege und öffentlichen Hygiene, der Parfümmanufakturen und der Ökologie im 19. Jahrhundert.
Die Vorgeschichte unserer Geruchsempfindlichkeit beginnt Ende des 18. Jahrhunderts, als ein heute unvorstellbarer Gestank den Alltag in Stadt und Land beherrschte. Von da an ging es aufwärts: Während Robespierre das Laster ausrotten will, wird in Paris der erste Lehrstuhl für Hygiene eingerichtet, und in der Folge verschwistert sich der Geruchssinn mit der Polizeiwissenschaft, er wird zum Desinfektionswahn.
Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft wird aber auch immer deutlicher unterschieden zwischen Gestank und Wohlgeruch: der Pöbel stinkt, der Bourgeois parfümiert sich, und so entstehen immer wieder neue Vorstellungen von Eleganz und Individualität, bis heute.
Mit dieser gebundenen Ausgabe wird ein Klassiker wieder zugänglich gemacht.

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein
3 Audio-CDs
von Heller, André;
Gelesen vom Autor. 196 Min.
2008 Universal Music
André Heller greift Szenen und Begebenheiten seiner Kindheit auf und verwandelt sie in die Geschichte eines Jungen mit funkelnder Fantasie. In einem Asbest Anzug als erster Mensch in das Innere des Vesuvs hinabzusteigen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu suchen - das ist einer von Pauls Plänen. Ein anderer: Weltmeister im Unsichtbarsein.
André Heller schreibt eine poetische Erinnerung an die schillernde Gesellschaft des Wiener Großbürgertums, eine Zuckerbäckerdynastie und einen Jungen. Paul nimmt sich vor, einmal ein eleganter Hundling zu werden, ein solch freier Mensch wie sein skurriler Onkel aus New York. Als Pauls Vater, der Süßwarenfabrikant und Kommerzialrat Roman Silberstein, zu Tode kommt, reisen die jüdischen Onkel aus Übersee an und übertreffen einander im Schildern von Anekdoten aus dem merkwürdigen Leben der Silbersteins. Aus dieser mondänen und sonderbaren Familie, in der die versunkene k.u.k.-Welt weiterlebt, siedelt Paul über in das selbst geschaffene Reich des Unsichtbaren, der vorüberhuschenden Träume und fernen Zukunftsvisionen: "Geboren wird man als Entwurf zu einem Menschen, und dann muss man zeit seines Lebens aus sich einen wirklichen Menschen machen."


"Auf der Suche nach den verlorenen Düften" von Paolo Rovesti und Susanne Fischer-Rizzi (vergriffen)
Blütenkörbe (Grasse, Südfrankreich)
Blütenkörbe (Grasse, Südfrankreich)© Nikolaus Scholz
Rosenfest (Bulgarien, Kasanlak)
Rosenfest (Bulgarien, Kasanlak)© Nikolaus Scholz
Ausstellungsvitrine im Museum der Firma Fragonard (Grasse), alte Parfümrezepte
Ausstellungsvitrine im Museum der Firma Fragonard (Grasse), alte Parfümrezepte© Nikolaus Scholz
Blütenkörbe (Grasse, Südfrankreich)
Blütenkörbe (Grasse, Südfrankreich)© Nikolaus Scholz