Rosa von Praunheim findet deutsches Fernsehen unausstehlich

Moderation: Katrin Heise · 16.09.2013
Regelrecht "verkommen" seien professionelle TV-Produktionen in Deutschland, klagt Regisseur Rosa von Praunheim anlässlich seiner Auszeichnung mit dem First Steps Ehrenpreis. Statt genialer Serien wie in den USA würden hierzulande Krimis gedreht. Das Publikum werde offenbar für doof gehalten.
Katrin Heise: Bekannt ist Rosa von Praunheim der Öffentlichkeit als Filmemacher, Autor, Aktivist, Künstler. Einer, der durchaus das Bunte, das Schrille liebt, auch mal provoziert. Er gilt mit seinem 1971 entstandenen Dokumentarfilm "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", vielen als Wegbereiter der modernen Schwulenbewegung. Zu seinem Lebenswerk gehört aber an ganz wichtiger Stelle auch die Förderung des Nachwuchses. Zum einen war das als Professor in Potsdam-Babelsberg an der Filmhochschule, zum anderen aber auch weit darüber hinaus als Mentor, als Ideengeber. Und heute erhält Rosa von Praunheim den First-Steps-Ehrenpreis. Rosa von Praunheim, schön, dass Sie vorher noch Zeit gefunden haben. Ich grüße Sie ganz herzlich!

Rosa von Praunheim: Ja, Sie haben vergessen, dass ich ja ein begnadeter Lyriker bin.

Heise: Das wollen wir nicht unerwähnt lassen.

von Praunheim: Ich habe gerade das Buch "Ein Penis stirbt immer zuletzt – 70 Gedichte", die zu meinem 70. Geburtstag im letzten November erschienen sind. - Ja, ich dichte jeden Tag, das ist sozusagen ein automatisches Schreiben. Das empfehle ich jedem, ohne nachzudenken, einfach –

Heise: Das wollte ich gerade fragen, empfehlen Sie das auch? Weil wir ja gerade über Nachwuchsförderung sprechen wollen.

von Praunheim: Ja, genau. Das empfehle ich auch, weil das eine sehr schöne Übung ist. Das reinigt was auch immer.

Heise: Das reinigt, oder das sammelt?

von Praunheim: Ich finde es schön, kreativ zu sein, und viele haben Angst, kreativ zu sein, weil das so anstrengend anscheinend ist. Die setzen sich an die Schreibmaschine – ich kenne so viele Regisseure, die an ihrem Drehbuch basteln und sich die Finger abkauen und sich betrinken und weiß nicht, was alles. Und dabei ist es so einfach. Man setzt sich einfach hin und schreibt. Auch, wenn es Blödsinn ist.

Heise: Also nicht diese Angst vor dem weißen Blatt Papier so hoch stecken.
von Praunheim: Ja, einfach anfangen und nicht nachdenken. Die Deutschen denken zu viel nach, die haben zu wenig Emotionen, sondern so wird das auch meistens beurteilt. Es muss alles immer so tiefgründig sein. Das Leben ist nicht immer tiefgründig, das hat alle Facetten. Und ich glaube, wenn man einfach spielerisch anfängt, und vor allen Dingen, wenn es einem Spaß macht, und das kommt, wenn man einfach sich rein wirft.

Heise: Da sind wir ja quasi mittendrin in dem Thema. Was geben Sie eigentlich dem Nachwuchs mit. Ich hab ja die filmische Danksagung "Rosakinder" an Sie schon erwähnt. Wenn Jüngere das, was ihnen mitgeteilt wird, was Sie ihnen mitteilen möchten, dann tatsächlich auch zu schätzen wissen, das ist doch sicherlich ein sehr zufriedenstellendes Gefühl, oder?

von Praunheim: Na ja, also, ich wurde gestern auch – da war so eine, wurde "Rosakinder", der Film von fünf Regisseuren über mich, wurde gestern noch mal vorgestellt, vor den Nominierten des First Step Awards, und da bin ich sehr zweigeteilt. Einmal tun die mir alle unheimlich leid, weil sie es sehr schwer haben werden im Beruf. Das ist in allen Künsten so, und das ist beim Regisseur auch nicht anders. Also die, die das Glück haben, auf Hochschulen, also auf den etablierten Filmschulen aufgenommen zu werden, werden trotzdem – nur einer von zehn wird davon leben können. Ich meine, das muss aus einer ungeheuren Leidenschaft heraus kommen, und das darf man nicht als Beruf planen. Das habe ich auch nie gesehen.

Das heißt, man braucht, glaube ich daneben - in den besten Jahren des Lebens, wo diese jungen Leute eben diese Ausbildung machen, denke ich -, braucht es immer einen praktischen Zweig. Dass sie einfach nicht zurückfallen in Frustration oder Alkoholismus oder Drogen, weil es so schwer ist, daraus einen Beruf zu machen, sondern das muss von vornherein aus Lust und Liebe angelegt werden. Mit Geld verdienen – da mach ich was anderes. Und am liebsten, selbst, wenn ich Friseur bin, kann ich immer irgendwie – hab ich einen Job, bin ich emotional abgesichert. Auch, dass ich nicht nur warte auf Aufträge und da sitze, ob ich als Schauspieler nun jetzt einen Call kriege oder ein Regieangebot oder ich weiß nicht, was. Das ist wirklich für die meisten fast unmöglich.

Heise: Also dann sind Sie auch da der Meinung – anfangen! Also sich etwas, wo man dann nicht aufs Geld guckt, wo man wirklich anfängt, den Film zu drehen, das Buch zu schreiben, ohne das es gewünscht ist.

von Praunheim: Genau. Heute ist es ja, heute kannst du ja Filme ohne Geld machen, ich meine, mein begabter Student, Axel Ranisch, hat den Film "Dicke Mädchen" gemacht, für 550 Euro –

Heise: Hat aber auch gesagt, dass er sich und seine Verwandtschaft und Bekanntschaft ausnutzen musste.

von Praunheim: Ja, aber das ist doch gut so. Ich meine, Freunde, die Spaß haben, und die Familie, die Spaß haben, jemandem zu helfen bei seinen ersten Schritten, das macht ja Spaß. Das ist doch wunderbar. Oft sind die Leute, die ehrenamtlich und aus Spaß mitmachen, sind begeisterter und idealistischer als die, die man bezahlt, die vielleicht zynisch irgendwie – ach, es ist immer noch nicht genug, warum kriege ich nicht 5000 Euro am Tag oder so, wenn sie nur 500 kriegen oder so, weil es eine Low-Budget-Produktion ist.

Das heißt also, ich glaube, wir brauchen diese Begeisterung im Kreativen. Und das Professionelle ist ja inzwischen so verkommen, dass einfach, wenn man sich das Fernsehprogramm anguckt: Es gibt ja nur Komödien und Krimis, was anderes wird ja gar nicht mehr hergestellt. Das, was die Amerikaner machen mit ihren genialen Serien, das ist hier gar nicht möglich. Das ist wirklich nicht möglich.

Heise: Warum ist das hier nicht möglich? Weil wir das so verschult haben, weil wir alles in Ausbildungen pressen?

von Praunheim: Ich glaube einmal, auch das Publikum – das ist ja in der Werbung genauso. Die Werbung muss sehr blöde sein, sehr einfach gestrickt sein, darf auch keinen Humor haben. Das ist in anderen Ländern anders. Da ist viel mehr Kreativität auch in der Werbung, die ja direkt vom Publikum abhängig ist. Also man hält das Publikum für doof, teilweise ist es es vielleicht auch. Und es ist auch eine Macht der Gewohnheit. Ich meine, wenn du am Tag zehn Krimis siehst, vielleicht sind drei davon Filme über Hitler, ja, was das Publikum – die Leute wachsen auf mit diesen – ich glaube, an Filmhochschulen sagte mir jemand gerade, die ganzen Bewerber, wenn man sie fragte, was wollen sie für einen ersten Langfilm machen – eine Komödie. Das heißt, sie sind dann sofort beeinflusst von dem – also es ist ja nicht mehr ihre Persönlichkeit, sondern das, was in sie reingebracht wird.

Heise: Filmemacher und Autor Rosa von Praunheim wird heute für seine Art, mit dem Nachwuchs umzugehen, ihm Mut zu machen, ausgezeichnet. Sie haben gerade die ausländischen Filmproduktionen und Serien erwähnt. Ist es vielleicht auch das, dass wir in Deutschland ganz große Angst haben zu scheitern und deswegen immer alles so hoch gehängt wird. Auch der Anspruch ein so hoher ist, der dann gleich – ja, vielleicht überhaupt nicht zu erfüllen ist und man deswegen gar nicht erst beginnt.

von Praunheim: Ach, das interessiert mich auch alles gar nicht. Ich meine, was da – das ist ja eine Sache für sich, was da entschieden wird mit Quoten und Zuschauern und weiß nicht was. Ich glaube, als kreativer Mensch, als Künstler oder so muss man anders denken. Ich meine, da denkt man das, was kann meine Fantasie leisten, meine Ideen? Wie kann ich weiterdenken, auch radikal denken? Und das sind eben nur sehr wenige. Die meisten sind angepasst, sowieso im Leben, sind die meisten angepasst. Das scheint vielleicht genetisch auch so zu sein. Es gibt immer nur ein paar Wenige, die Außenseiter sind, die für Qualität kämpfen, die, ja, auch Nachteile in Kauf nehmen.

Heise: Wenn wir auf Ihre eigene Laufbahn zurückblicken – Sie haben die Schule vor der mittleren Reife abgebrochen, ein Jahr Werkkunstschule, dann Hochschule für bildende Künste, das ist ja ein doch krummer Karriereweg. Sie haben dann gemacht. Wie gibt man – Sie waren auch Professor an der Filmhochschule in Babelsberg – wie haben Sie diesen Mut, diese Angstfreiheit, dieses Plädoyer für Leidenschaft weitergegeben? Wie machen Sie das?

von Praunheim: Ja, ich glaube, immer am eigenen Beispiel. Ich meine, wenn man – also, einmal ist es ganz wichtig, dass man Spaß hat an der Arbeit, Spaß, zu vermitteln. Dass die Dinge leichtfallen, dass die witzig sind, dass die locker sind, also sehr viel mit Improvisationen zu arbeiten, nicht sich stundenlang hinzusetzen und zu quälen bei so einem Drehbuch. Sondern, jemand kommt mit einer Idee zum Beispiel für einen Film, und du hast eine Klasse von vielleicht zehn Leuten, und neun Leute bitte ich dann, diese Idee, fünf Minuten gebe ich Ihnen Zeit, in fünf Minuten umzuschreiben. Dann kriegt der ein Geschenk von neun Leuten, die ganz spontan, ohne, dass ihnen die Idee jetzt so wertvoll ist, aber die mit ihrer Fantasie diesen Menschen bereichern, der vielleicht denkt, das ist jetzt eine ganz geniale Idee, und das ist wie ein Baby, das kackt. Da guckt man den Dampf an und sagt, also das ist genial. Und dann merkt man, es kann noch reicher werden, es kann noch besser werden.

Und solche Spiele, ich hab sehr viel auch in Trancen gearbeitet, dass man sozusagen nicht immer nur mit dem Intellekt – Film ist nicht Denken in Bildern, sondern Gefühle in Bilder. Und Gefühle ist etwas, was den Deutschen oft, gerade wenn die Abitur gemacht haben, dann wird ihnen ja schon sehr viel Gefühl ausgetrieben. Dieses ganze Akademische so. Und wir müssen wieder lernen, zu fühlen, denn im Film beurteilen wir Szenen, was wir dabei empfinden.

Heise: Wenn wir noch mal auf diesen Film zurückkommen, der Ihnen geschenkt wurde zu Ihrem 70. Geburtstag. Kinder nennen die sich selber, also Sie den Vater. Mit dem Vater streitet man sich, reibt sich, aber er hält eigentlich zu einem. Sehen Sie sich so?

von Praunheim: Ja … also ich versuche – ich bin sicher auch ein strenger Vater. Ich finde es unmöglich, wenn Leute faul sind. Also das fand ich an der Hochschule auch einfach – aufgenommen zu werden auf so einer etablierten Filmschule, das Studium kostet ja so viel wie ein Pilotenstudium, also eine Ausbildung zum Piloten, und wenn dann die Leute nicht kommen oder kein Interesse zeigen, dann finde ich das unmöglich. Also, weil das so ein begehrter Studienplatz ist. Und am Anfang sind sie alle voller Idealismus dabei, dann passen sie sich meistens an, sagen, ja, ich studiere fünf, sechs, sieben, manchmal können die da auch neun Jahre rumhängen, und dann denken die irgendwie, ihre Genialität wird ihnen helfen.

Ich denke, es ist wichtig, dass man mit Begeisterung wirklich fleißig arbeitet. Das muss man in jedem Beruf. Also, wenn Sie Bäcker sind, müssen Sie morgens um drei anfangen oder um vier und müssen hart arbeiten. Ich meine, warum muss jetzt jemand, der auf eine Kunstschule geht oder so, das nicht tun? Auf der anderen Seite gibt es Leute, die schon mit zehn, elf anfangen, mit einer eigenen Kamera zu schneiden, Parodien auf irgendwelche kommerziellen Filme zu machen und da schon mit 20 ein ungeheures Wissen sich angeeignet haben.

Ich hab gerade einen Mitarbeiter, der 23 ist, ist jetzt frisch auf der Filmschule Ludwigsburg aufgenommen worden. Der schneidet den Film meines Freundes mit so einer Riesenbegabung, das ist wunderbar zu sehen. Aber der kommt aus irgendeinem Dorf oder so und hat sich das alles selber beigebracht. Großartig, das bewundert man. Aber trotzdem wird es keine Garantie geben, dass er daraus einen Beruf machen kann. Aber er hat die Leidenschaft, und wem – wenn du Dichter bist oder Maler oder so, kann dir auch keiner garantieren, dass du davon leben kannst. Dann musst du Jobs machen und das nebenbei machen. Und vielleicht hast du irgendwann Glück, etwas zu verkaufen. Aber das soll nicht das erste sein.

Heise: Sagt Rosa von Praunheim, Filmemacher und Lyriker. Ich danke Ihnen ganz herzlich.

von Praunheim: Begnadeter Lyriker!

Heise: Begnadeter Lyriker, mit Leidenschaft auf jeden Fall. Herzlichen Glückwunsch also noch mal von dieser Stelle für Ihre Auszeichnung. Heute Abend bekommen Sie den First-Steps-Ehrenpreis. Danke schön für das Gespräch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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