"Ich höre Musik dort, wo sie lebendig wird"

Der Rapper Roots Manuva gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Popmusiker Englands. Gerade ist sein neues Album "Bleeds" erschienen - mit dunklen, fast gefährlich klingenden Sounds. Ein Gespräch über Schönheit und Angst in der Musik.
Oliver Schwesig: Vor ein paare Monaten war Roots Manuva, der in Wirklichkeit Rodney Smith heißt, auf kleiner Interview-Tour durch Deutschland und hat bei uns im Studio vorbeigeschaut. Ich habe ihn zu seiner Musik und dem neuen Album "Bleeds" befragt. Wir haben dieses Interview aufgezeichnet. Und meine erste Frage zielte zunächst auf den Albumtitel: "Bleeds" ist das Verb für englisch "bluten" oder im übertragenen Sinne "herauslaufen". Was hat es damit auf sich?
Roots Manuva: Na ja, ich tu mich immer schwer damit, Alben einen Titel zu geben. Wenn es nach mir geht, würde ich einfach nur die Platte abliefern und fertig. "Bleeds" war ein Wort, das irgendwann auftauchte und für mich ominös genug klang. Aber jetzt, wo ich mich dem Titel ja verpflichtet fühle – es steht für das Lebensblut der Kunst. Es steht ganz physisch auch für all das was ich klanglich erreichen wollte. Ich höre mir oft meine Musik gar nicht im Studio an. Ich höre Musik lieber draußen, da wo sie lebendig wird. Also, es geht ganz wörtlich um herausfließende Sounds, Collagen und so was. Eine Verzerrung der Normalität. Und das ist das Bluten, Herausfließen für mich.
Schwesig: Da würde ich gern mal einsteigen. Mir scheint, dass das Album ganz allgemein einen eher dunklen, fast gefährlichen Sound hat. Man hört eher Moll-Klänge. Hat das zu tun mit den Sachen, die Sie beim Komponieren erleben, wenn Sie nach Geschichten suchen?
"Texte schreibe ich praktisch jeden Tag"
Roots Manuva: Das passiert für mich eher unbewusst. Also was die Tongeschlechter betrifft – das war kompletter Zufall. Es ging eher darum, Musik rauszusuchen, die zusammenpasst. Bei meinen früheren Alben war es eher so, ich vergleiche das immer mit diesem Bild; ich hab eine Harley Davidson geklaut und gehe damit auf eine Spritztour und alle sollen sehen: Hey, schaut mal, was ich damit alles kann! Bei diesem Album war es aber eher so: Ich hab ein bisschen Geld gespart und mir einen tollen Oldtimer gekauft. Ich fahr zwar immer noch umher, aber ich gebe nicht mehr damit an.
Schwesig: Da würde mich mal interessieren, wie Sie komponieren. Wo kommen ihre Texte her? Aus Alltagsbegebenheiten? Wie entstehen Ihre Songs?
Roots Manuva: Texte schreibe ich praktisch jeden Tag. Es ist eine Mixtur aus Realität und Fantasie. Bei der Musik ist das was anderes. Ich höre mir Grooves an und versuche dann zu reflektieren, was der Groove mir sagen will. Ich warte quasi immer auf die Stimme in der Musik. Okay, manchmal sind die Wörter zuerst da und dann quäle ich mich mit der Musik dafür ab. Aber grundsätzlich: Mir geht es auch darum, denen einen Stimme zu geben, die vielleicht anders keine Stimme haben.
Schwesig: Da können wir gleich mal über einen Song sprechen. Ein Stück, das für mich besonders herausragt, ist der Song "Cargo". Da singt der Protagonist von einem Kampf, dem er sich verpflichtet fühlt. Klingt auch nach viel Angst, die Ihnen vielleicht noch in Ihrem Umfeld begegnet, die hier reflektiert wird. Kann man das so sagen?
Roots Manuva: Es geht weniger darum, total angstgetrieben zu sein in meinen Songs. Eher um die Suche nach der Schönheit, die in dieser Emotion der Angst steckt. So unlogisch und erratisch Angstmomente auch sind. Aber für mich sind sie unglaublich rein und echt! Diesen Momenten wende ich mich gern zu: Was ging mir durch den Kopf, als mir der Verkehrspolizist ein Knöllchen gab? In der Realität kann ich im sein Buch nicht aus der Hand reißen. Aber in einem Song kann ich es, ja! Und mitten auf der Straße drauf pinkeln! Und da kann man diese Wildheit eben ausleben. Weil ich mir im echten Leben nicht leisten kann, mich so zu verhalten.
Schwesig: Roots Manuva, vielen Dank für das Gespräch!