Roncalli-Direktor Bernhard Paul wird 70

"Wir sind ständig in einer gewissen Gefahr"

Zirkus Roncalli
Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli als Clown Zippo. © picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase
Moderation: Ute Welty |
Der Zirkus war mein Jugendtraum, sagt Bernhard Paul, Direktor des Zirkus Roncalli, Clown und Regisseur. Heute wird er 70 Jahre alt. In über 40 Jahren Zirkusarbeit lernte er auch faszinierende Künstler kennen – der Rock-Musiker Sting etwa wollte bei ihnen das Seiltanzen lernen.
"Es gibt so gut wie nichts, was ich in 40 Jahren Zirkus nicht im Zirkus gemacht habe." Bernhard Paul, Mitbegründer des Zirkus Roncalli, ist ein offenbar glücklicher und zufriedener Mensch – denn seit Jahrzenten lebt er seinen Kindheitstraum. Heute feiert der Zirkusdirektor, Clown und Regisseur seinen 70. Geburtstag.
Der Weg in den Zirkus sei erst einmal überhaupt nicht vorgezeichnet gewesen, erzählte Paul im Deutschlandfunk Kultur. Er sei jahrelang auf der Suche nach dem für ihn richtigen Beruf gewesen. Neigungen gingen in Richtung Design, Architektur und Zeichnen, sein Studium finanzierte Paul mit einer nach eigener Aussage ziemlich erfolgreichen Rock 'n' Roll-Band.
"Alle diese Dinge haben mich sehr interessiert. Da war ich hin- und hergerissen. Und als ich dann gedacht habe, ich mache mal so kurze Zeit meinen Jugendtraum, ist mir aufgefallen, dass alle diese Berufe im Beruf des Zirkusdirektors drin sind."
Besucher gehen am 10.05.2012 in das Zelt vom Circus Roncalli
Circus Roncalli besteht jetzt seit über 40 Jahren © picture alliance / dpa - Horst Ossinger

Wie Sting bei Roncalli Seiltanzen lernen wollte

Die Begegnungen mit von ihm bewunderten, faszinierenden Menschen gehörten für Paul zu den schönsten Erlebnissen der Zirkusarbeit, etwa mit Andy Warhol, Heinz Rühmann oder Joseph Beuys. Rühmann habe ihm anvertraut, dass er ein Leben lang Clown werden wollte, sagte Paul. Der Rock-Musiker Sting habe eine Woche lang im Zirkus gewohnt und dort Seiltanzen lernen wollen, "für seine innere Balance". Die Einschätzung des Profis: "Sting hat sich nicht schlecht angestellt."
Die schöpferische und kreative Seite Bernhard Pauls musste manchmal zu Gunsten des Wohlergehens von Roncalli vernachlässigt werden: "Die Bürokratie ist mein größter Feind", meinte Paul. Trotz allem sei die Vielfalt an Möglichkeiten bei der Zirkusarbeit – vom Kostüm- und Modeentwürfen bis zur Eventgestaltung - immer noch spannend. Ab und an blieb noch Zeit für Theaterarbeit – etwa mit George Tabori oder Klaus Maria Brandauer:
"Das ist eine interessante Geschichte, wenn man über den Tellerrand oder den Manegenrand rüber blickt und diese angrenzenden Bereiche noch mit nimmt."

Die Zirkusarbeit ähnelt der christlichen Seefahrt

Zur Arbeit des Zirkusdirektors gehörte es auch, Roncalli durch wirtschaftliche Schwierigkeiten hindurch zu bringen. Er habe das Zirkussterben verfolgt und sich die Gründe für das Scheitern anderer Zirkusse klar gemacht, so Paul:
"Ich vergleiche den Zirkus oft mit der christlichen Seefahrt. Wir sind abhängig von Wind und Wetter, wir haben wenig Platz, wir sind ständig in einer gewissen Gefahr. Wir müssen immer Kurskorrekturen machen, sonst würde das Schiff ganz woanders ankommen. Und diese Kurskorrekturen darf man nicht versäumen. Es gibt auch so Dinge wie den Seiltanz zwischen Sich-erneuern und trotzdem das Alte zu bleiben."
(ue)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Köln, Wien, Mallorca und Zirkuswagen – Bernhard Paul verfügt über eine stattliche Anzahl von Adressen. Und die des Zirkuswagens ist vielleicht seine liebste. Denn Bernhard Paul ist Zirkus durch und durch. Zurzeit ist er mit seinem Circus Roncalli auf Jubiläumstournee und auch er selbst kann ein Jubiläum feiern, denn heute wird Bernhard Paul 70! Wie eine solche Geburtstagsparty im Zirkus aussieht, konnte ich Bernhard Paul selber fragen. Und das, was er beschrieben hat, klang nach einem Fest, wo man selber auch gerne dabei wäre!
Bernhard Paul: Wir haben ein eigenes Zirkuscafé im Circus Roncalli. Familie und Großfamilie, sprich der ganze Zirkus, wir werden so ein bisschen reinfeiern.
Welty: Also in der Nacht?
Paul: Ja.
Welty: Und wie viele Leute kommen dann zusammen?
Paul: Ja, wir sind im Zirkus 150 Menschen und ich schaue mal, wie viele kommen.
Welty: Gibt es tatsächlich welche, die sich entziehen?
Paul: Es geht nicht um entziehen, es gibt auch welche, die haben Dienst bei diversen Dingen, vom Nachtwächter angefangen bis zum Techniker. Also, jeder, der kommen will, kommt, und normalerweise kommen dann immer noch ein paar mehr.
Welty: Wenn Sie jetzt den 70. Geburtstag im Zirkus feiern, gibt es Dinge, die Sie noch nie im Zirkus gemacht haben, die ein privater Bernhard Paul lieber woanders tut?

Andy Warhol, Heinz Rühmann und Joseph Beuys

Paul: Es gibt so gut wie nichts, was ich in 40 Jahren Zirkus nicht im Zirkus gemacht habe.
Welty: Das dachte ich mir! Was war denn Ihr schönstes Zirkuserlebnis?
Paul: Also, eigentlich war es immer schön, wenn Menschen kamen, die ich schon lange vorher bewundert habe und die dann kennenlernen durfte, sage ich jetzt einmal so, wie Andy Warhol oder Heinz Rühmann oder solche Menschen. Das war immer sehr interessant. Oder Joseph Beuys oder diverse wie Danny Kaye. Man lernt in 40 Jahren viele Menschen kennen, da sind auch viele drunter, die mir immer schon ein Begriff waren und die ich sehr geschätzt habe.
Welty: Das sind große Namen, die Sie gerade aufgezählt haben. Werden auch diese großen Namen im Zirkus wieder zu Kindern?
Paul: Das ist verschieden. Heinz Rühmann hat mir gesagt, er wollte ein Leben lang Clown werden und hat immer große Sympathie für Clowns gehabt. Und es gibt aber auch Leute wie Sting zum Beispiel, der dann bei uns eine Woche gewohnt hat und Seiltanzen lernen wollte für seine innere Balance, der dann mit dem Zirkusorchester Verschiedenes gemacht hat.

Sting und die "innere Balance" beim Seiltanzen

Welty: Hat Sting das Seiltanzen denn dann erlernt?
Paul: Er hat sich nicht schlecht angestellt.
Welty: Muss man die innere Balance denn nicht mitbringen oder ist es tatsächlich so, dass das Seiltanzen die innere Balance stärkt?
Paul: Es ist ein bisschen so was wie Meditation, das ist hilfreich. Und wie bei Yoga, es gibt bestimmte Übungen, die einen bis in die Seele treffen. Und da gehört Seiltanzen auch dazu.

André Heller und die Gründung des Zirkus Roncalli

Welty: Ihr Werdegang sah ja lange gar nicht danach aus, dass Sie eines Tages Zirkusdirektor und Zirkusclown werden würden. Sie sind in Österreich auf dem Land aufgewachsen, haben Grafikdesign studiert und dann als Art Director gearbeitet. Wieso dann 1976 zusammen mit André Heller das Projekt Roncalli?
Paul: Ja, ich habe, nachdem ich zuerst Art Director bei einem politischen Magazin war und danach Art Director in einer internationalen Werbeagentur, mir gedacht: Mit 28 muss da noch was passieren. Und das hat angefangen sich zu wiederholen. Ich habe gedacht, jetzt ist gerade der richtige Zeitpunkt, um meinen Kindheitstraum zu verwirklichen. Und das habe ich gemacht. Und das hat er dann in irgendeiner Zeitung gelesen, André Heller, und kam zu mir und hat gesagt: Das finde ich toll, da mache ich mit.
Welty: Also, das war schon immer ein Traum von Ihnen.
Paul: Ja.
Welty: Warum? Was wiederholt sich im Zirkus nicht, was sich in Ihrem anderen Leben, also in dem Leben davor wiederholte?
Paul: Ich habe jahrelang innere Zweifel gehabt, welchen Beruf ich ergreifen soll. Ich habe zuerst Hoch- und Tiefbau studiert, also auch Architektur, speziell Innenarchitektur hat mich sehr interessiert. Und dann habe ich mein Studium mit Musik verdient, also, war in Österreich in einer Rock-'n'-Roll-Band und wir waren so in denselben Proberäumen wie Falco und solche Leute, und wir waren sehr gute Band. Und da habe ich mir gedacht, das wäre eine Möglichkeit.
Und Zeichnen, Design, Architekt, alle diese Dinge haben mich sehr interessiert, natürlich auch Grafik, Malerei und alles das. Und da war ich hin- und hergerissen. Und als ich mir dann gedacht, ich mache mal so kurze Zeit meinen Jugendtraum, ist mir aufgefallen, dass alle diese Berufe in dem Beruf des Zirkusdirektors drin sind.

Lieber Clown oder lieber Zirkusdirektor?

Welty: Was sind Sie denn dann eigentlich lieber? Zirkusdirektor oder Zirkusclown?
Paul: Ja, eigentlich würde ich mir so einen Zirkus wie Roncalli wünschen, der mich engagiert und wo ich dort als Clown arbeiten könnte. Aber …
Welty: Dann hat man den ganzen Ärger nicht, ne?
Paul: Ja, genau. Die Bürokratie ist mein größter Feind und noch ein paar andere Dinge. Aber diese Vielfalt an Möglichkeiten, vom Kostümentwurf über Modegeschichten über Eventgestaltung, ich habe auch mit George Tabori, der ja einer der besten Regisseure seiner Zeit war, "Die Zauberflöte" inszeniert, und ich habe mit Klaus Maria Brandauer Theater gespielt und ich habe in Filmen mitgespielt und solche Dinge. Das ergibt sich dann alles und das ist eine interessante Geschichte, wenn man über den Tellerrand oder den Manegenrand herüberblickt und diese angrenzenden Bereiche noch mitnimmt.
Welty: Interessante Geschichte, das ist für mich der Euphemismus des Tages!

Überlebensstrategien in Zeiten des Zirkussterbens

Paul: Ah ja?
Welty: Bei all dem, was Sie an Wunderbarem beschreiben: Roncalli hat auch schwere Zeiten hinter sich, auch wirtschaftlich schwere Zeiten. Wie erhält man das Interesse der Menschen?
Paul: Ich habe natürlich die Szene auch beobachtet und gemerkt, dass ein berühmter Zirkus nach dem anderen wegstirbt. Gerade jetzt macht Ringling Brothers, Barnum and Bailey in Amerika seine Abschiedsvorstellung nach 150 Jahren, in Deutschland ist von Circus Barnum über Zirkus Althoff über Circus Hagenbeck, Sarrasani et cetera ein Zirkus nach dem anderen über die Wupper gegangen.
Und ich habe natürlich beobachtet, wo die Fehler liegen. Ich vergleiche oft den Zirkus mit der christlichen Seefahrt: Also, wir sind abhängig von Wind und Wetter, wir haben wenig Platz, wir sind ständig in einer gewissen Gefahr, wir müssen immer Kurskorrekturen machen, sonst würde das Schiff ganz woanders ankommen. Und diese Kurskorrekturen darf man nicht versäumen, darf man nicht zu spät kommen. Und es gibt auch so Dinge wie den Seiltanz zwischen sich erneuern und trotzdem das Alte zu bleiben.
Welty: Was wünschen Sie sich zum 70.?
Paul: Ach, man wird so bescheiden. Gesundheit für die Familie und Frieden auf der Welt. Ganz banale, aber sehr wichtige Dinge!
Welty: Dann wünschen wir Ihnen das auch und außerdem sagen wir danke schön!
Paul: Ich danke schön!
Welty: Bernhard Paul, der Mitbegründer von Circus Roncalli wird heute 70. Das Interview haben wir aufgezeichnet – ohne Gratulation, aber die folgt natürlich jetzt und umfasst alle, die heute was zu feiern haben!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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