Ronaldo-Verehrung auf Madeira

An der Wiege eines Galaktischen

23:07 Minuten
Eine Statue von Christiano Ronaldo steht in Funchal auf Madeira.
Auf Madeira ist der Mythos von Cristiano Ronaldo allgegenwärtig. © imago images / Schöning
Von Regina Kusch · 02.02.2020
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Der Fußballer Cristiano Ronaldo ist der berühmteste Madeirer und für die meisten Insulaner eine Identifikationsfigur. Auf der portugiesischen Urlaubsinsel ist er bis heute überall präsent und Kritik eher tabu.
Den Flughafen Cristiano Ronaldo auf der portugiesischen Insel Madeira dürfen nur Kapitäne mit Spezialausbildung anfliegen, denn sie müssen punktgenau auf einer schmalen Brücke aufsetzen, die auf Betonpfeilern im Atlantik vor einer Steilküste eingepasst ist. Das kann bei Fallwinden sehr sportlich werden und oft genug ist eine Landung gar nicht möglich. Dann müssen alle Maschinen in die Hauptstadt Lissabon oder nach Teneriffa ausweichen. Und wenn gerade eine Fußballmannschaft an Bord ist, fallen auch schon mal wichtige Spiele aus, erzählt Pedro Talhinhas des Fußballvereins "Nacional de Madeira".
"Wir haben 18 Jugendmannschaften, die fast an jedem Wochenende spielen, und etwa zwei bis drei Spiele im Jahr müssen gecancelt werden", sagt Talhinhas. "Unser unter 19-Team spielt in der ersten Liga, da wurden in elf Jahren vier Spiele abgesagt. Ärger gab es aber nur bei den Großen, Porto und Benfica Lissabon. Die machten ein Riesengeschrei, als wäre das ein Weltuntergang."
Talhinhas ist Koordinator des Jugendfußballs bei "Nacional", einem der beiden großen Fußballvereine Madeiras. Vor 25 Jahren war er dort Nachwuchstrainer, als der achtjährige Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro dort aufschlug. Der ehrgeizige, dünne Junge aus ärmlichen Verhältnissen, den alle "Abelinha" nannten, weil er emsig wie eine kleine Biene über den Platz flitzte, galt als vielversprechendes Nachwuchstalent.
Ronaldos einstiger Trainer von Nacional Madeira, Pedro Talhinhas
Ronaldos einstiger Trainer von "Nacional Madeira", Pedro Talhinhas zwischen den Trophäen des Fußballers. © Regina Kusch
Dazu Talhinhas: "Als wir begannen zusammen zu arbeiten, ging es vor allem darum, Ronaldos Talent und seine fußballerischen Fähigkeiten auszubauen und seine Technik zu perfektionieren. Jeder wusste, dass er vermutlich der beste Spieler Madeiras in seiner Altersgruppe war. Jeder auf der Insel kannte ihn und er war schon damals eine Art Idol für Kinder seines Alters, die ihn bewunderten. Aber zu dem Zeitpunkt hat natürlich niemand gedacht, dass er einmal ein Weltklassespieler werden würde."
Cristiano Ronaldo ist der berühmteste Madeirer und für die meisten Insulaner eine Identifikationsfigur. Ronaldo ist übrigens sein zweiter Vorname, nach dem Schauspieler und US-Präsidenten Ronald Reagan, für den seine Eltern Dolores und Dinis Aveiro vor 35 Jahren schwärmten.
Dass ihr jüngster Sohn bereits als Dreijähriger seine ersten Tore schoss, war auf der fußballverrückten Insel nichts Besonderes. Schließlich wurde in Portugal der erste Fußball auf Madeira gespielt. Bereits 1875 hatten englische Kaufleute das runde Leder dort eingeführt. Aus Mangel an Spielern traten die Inselbewohner damals noch gegen die Besatzungen von Handelsschiffen an. Heute gibt es hier mehr als zehn Profivereine, erzählt der Sportreporter Pedro Oliveira.

Fußballverrückte Insel

Diese Fußballverrücktheit war schon immer da. Nicht nur wegen Cristiano. Schon 1926 hat Marítimo die Portugiesische Meisterschaft gewonnen. Alle Medien haben damals ausführlich darüber berichtet. Madeira hatte drei Vereine in der ersten Liga 1989/90,90/91 und 2015/16 das ist großartig für so eine kleine Insel. Marítimo, Nacional und Uniao, damals alle in der ersten Liga.
Pedro Oliveira ist Sportredakteur bei der madeirischen Tageszeitung "Diario da Noticias". Seit zwölf Jahren berichtet der 33-Jährige über die Karriere von Ronaldo und sagt: "Das ist eine kleine Insel hier, mit etwa 250.000 Einwohnern, und von hier kommt der beste Fußballspieler der Welt, das ist großartig. Er ist ein Idol für junge Leute, mit zwölf Jahren hat er die Insel verlassen und bei Sporting angefangen. Dann Manchester, Madrid, Juventus, die Nationalmannschaft. Damit hat er für Jugendliche neue Maßstäbe gesetzt: Es gibt keine Grenzen für Träume, alles ist möglich. Deshalb hat unsere Zeitung jeden Tag eine Seite für Cristiano Ronaldo reserviert, z.B. wenn er mit der Nationalmannschaft gespielt hat, bei Juve, oder früher bei Real Madrid. Die Leute hier wollen jeden Tag etwas über ihren Helden lesen."
Jeder kennt hier irgendeine Ronaldo-Geschichte, zum Beispiel, dass er Arme unterstütze, regelmäßig Blut spende und deshalb nicht tätowiert sei. Taxifahrer zeigen Touristen gerne den Weg zu der stillgelegten Disco am Hafen, die der millionenschwere Sohn Madeiras für seine Familie zu Wohnungen mit Meerblick umgebaut hat, oder zum Laden "CR7-Store" nahe der historischen Markthalle, in dem seine Schwester signierte Trikots mit der Nummer 7 verkauft. CR7, seine Initialen und die Spielernummer, stehen für "Luxus Made in Portugal". Auf Plakatwänden präsentiert der Superstar seinen durchtrainierten Körper, mit dem er für eine eigene Unterwäsche-Kollektion wirbt.
Dazu sagt Oliveira: "Marketing! Cristiano Ronaldo promotet Madeira. Wir leben vom Tourismus und Cristiano Ronaldo ist ein wichtiger Teil unseres Marketing-Konzepts. Er ist eine Marke, und deshalb hat man auch den Flughafen nach ihm benannt. Das war eine gute Wahl, denke ich, die Leute hier mögen das."

Straßenfußball als harte Schule

Und sie bewundern, dass er schon als Kind wie ein Besessener trainiert hat, erinnert sich sein Ex-Coach Pedro Talhinhas: "Ob im Training oder bei den Spielen, er hat sich immer so verhalten: Ich will der Beste sein, ich will gewinnen. Das ist der Grund, warum er so gut ist. Für ihn war es kein Unterschied, ob er trainierte oder im Wettkampf spielte, er war immer unheimlich ernsthaft bei der Sache, immer konzentriert hart arbeitend, stets an seinem Limit."
Der Straßenfußball war eine harte Schule für den ballverliebten Jungen. Er war kämpferisch, mutig, konnte sich gegen größere Gegner durchsetzen und ihnen geschickt ausweichen. Talhinhas glaubt nicht, dass Madeira noch einmal einen Fußballgott hervorbringen wird, aber wenn doch, dann würde er sicher wieder aus armen Verhältnissen kommen. Heute schickten ambitionierte Eltern ihre Söhne schon mit drei Jahren in die Vereine.
Ein Junge mit einem Ronaldo-T-Shirt läuft durch die Nachbarschaft auf der Insel Madeira.
Kinder aber vor allem auch viele Eltern sind auf der Insel Fußballverrückt. © imago sportfotodienst
"Sie hoffen, dass ihre Kinder das erreichen, was sie selbst nicht geschafft haben und setzen sie unter Druck, zu stark und zu früh", kritisiert Talhinhas. "Viele denken, mein Sohn wird der neue Cristiano. Der Vater eines Achtjährigen ist dann bei jedem Training dabei, er redet auf die Trainer ein, diskutiert mit den Schiedsrichtern, belehrt die Spieler; ein großes Problem für viele Jugendliche."
Der bergige Stadtteil Santo António, in dessen Gassen früher Kinder wilde Fußballschlachten zwischen Hauswänden und parkenden Autos ausfochten, hat sich verändert. Es ist dank EU-Subventionen eine gute Wohngegend geworden, mit Aussicht auf den Atlantik und das Fußballstadion des Erstligisten Maritímo. Viele Einfamilienhäuser wurden neu gebaut. Straßenfußball wird hier kaum noch gespielt. Die Sozialbausiedlung in der Quinta do Falcao 27 a, in der die Familie Aveiro 1985 wohnte, existiert nicht mehr.
"Hier war die Eingangstür und da stand der Schweinestall, aber das Haus wurde abgerissen", sagt Hannibal Gomez. "Mein Haus ist das da oben auf dem Hügel. Cristianos Vater war Alkoholiker. Als Kind hat Cristiano oft auf meinem Schoß gesessen und wir haben viel Fußball gespielt, aber nicht im Verein, sondern hier auf der Straße vor seinem Haus." Gomez freut sich, wenn er Besuchern zeigen kann, wie es hier früher war. Hinter dem Bewässerungskanal, in dem Regenwasser aus den Bergen in die Stadt fließt, gibt es immer noch die kleine Bar, die "Quinta Falcao", in der manchmal noch Cristianos Bruder auftaucht. "Hier haben wir immer gespielt. Ich war Torwart. Oft sind Fenster zu Bruch gegangen. Und immer wieder ist der Ball den Berg runter gerollt und im Wasser gelandet. Jemand musste dann reinspringen und ihn wieder rausholen."
Auch Gomez spricht von der Beharrlichkeit, mit der Christiano an seiner Technik gearbeitet habe. Schon als kleiner Junge habe er stundenlang auf haargenau dieselbe Stelle geschossen. "Von morgens bis abends, immer vor die Hauswand!", sagt er. "Ich schau mir alle Spiele Cristianos an. Wenn er ein Tor schießt, macht er mich glücklich!"

Angst vom Fliegen

Nicht weit entfernt von der Quinta Falcao liegt das kleine Stadion des CF Andorinha, mit Kunstrasen und 400 Zuschauerplätzen. Es ist umgeben von Felsterrassen, die mit Lorbeerbäumen bewachsen sind und ein paar versprengten Häusern am Berghang. Plakate erinnern daran, dass der große Ronaldo hier mit acht Jahren seinen ersten Spielerpass bekam, denn sein Vater arbeitete als Zeugwart in dem Amateurverein.
Rafael Andrade ist Polizist und heute im Dienst. Andorinha führt zwei zu eins gegen den Favoriten aus dem Nachbarort Camera de Lobos. Doch seine Freizeit verbringt er im Fußballstadion von Nacional de Madeira. Als Zehnjähriger hat er dort mit Cristiano Ronaldo in einer Mannschaft gespielt und erinnert sich: "Er hatte immer panische Angst vorm Fliegen. Als wir einmal in Frankreich gegen Korsika gespielt haben, hat er sich den ganzen Flug über mucksmäuschenstill unter seiner Jacke versteckt und heute hat er einen Privatjet. Aber beim Fußballspiel war er ein Rebell. Wenn er auf dem Feld war, war er ein völlig anderer Mensch. Wenn alle nach vorne liefen, und der Ball nicht bei Cristiano war, musste er ihn unbedingt bekommen. Er wollte um jeden Preis das Tor schießen. Und so ist er auch heute noch, er muss gewinnen."
Für den 13-jährigen Bernardo, der seit seinem dritten Lebensjahr bei Andorinha spielt, ist Ronaldo fraglos der beste Fußballer der Welt: "Ronaldo ist großartig, ich glaube, dass kein anderer Fußballer solche Tore schießen kann", sagt er. "Er ist ein sehr guter Spieler und arbeitet hart dafür. Dafür verdient er Respekt. Natürlich möchte ich auch so erfolgreich sein. Ich trainiere drei Tage hier und in der Schule. Aber es ist unglaublich schwer, so hart zu arbeiten. Er ist ein Madeirenser! Wir bleiben für immer Fans und schauen uns jedes Spiel an."
Natalia ist eine der wenigen Frauen in einer Familienmannschaft auf Madeira, die als Mädchen mitspielen durfte. Fußball war dort jahrelang ein reiner Männersport. Sie sagt: "In unserer Familie haben wir immer Fußball gespielt hier in Funchal. Unser Team hieß "Die Stiere". Wir haben in Qinta Falcao gespielt. Ich kannte Cristianos Mutter gut, die wohnte neben meinen Eltern. Mit Cristiano habe ich nicht viel geredet, aber mit seiner Schwester war ich gut befreundet."
Immer wenn sie frei hat, begleitet Natalia ihren12-jährigen Neffen Pedro ins Stadion, um ihn anzufeuern. Er spielt im hellblauen Andorinha-Trikot mit der Nummer 10. Schon seit einigen Jahren vergibt der Amateurverein die 7 nicht mehr. Nur Ehrenmitglied Ronaldo oder dessen Sohn dürfen diese Nummer tragen. Auch Ronaldo Junior spielt derzeit bei Juventus Turin.

10:0 war das perfekte Spiel

Aber die portugiesische Boulevardgazette "Correio da Manha" will erfahren haben, dass auch "Cristianinho" von der Jugendakademie Sporting Lissabon angefragt wurde – genauso wie sein Vater, der 1997 von Madeira aufs Festland ging, nachdem ihm sein Trainer Pedro Talhinhas zwei Jahre lang beigebracht hatte, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Denn immer, wenn "Nacional" hinten lag, ging Ronaldo verzweifelt im Alleingang auf das gegnerische Tor los und versuchte, das Spiel alleine zu gewinnen.
Der Fußballer Cristiano Ronaldo auf dem Fußballfeld in Turin.
Ronaldo spielt seit Sommer 2018 bei dem italienischen Fußballverein Juventus Turin. © picture-alliance/Lapresse via Zuma Press/Fabio Ferrari
"Ronaldo war dann glücklich, wenn seine Mannschaft gewonnen hat und er die meisten Tore geschossen hat. Wenn er nur ein Tor geschossen hat und seine Mannschaft gewonnen hat, war das okay, aber nicht das, was er wollte. Wenn sein Team gewonnen hat, ohne, dass er einen Treffer versenkt hatte, konnte man sicher sein, dass er in Tränen ausbrach: Okay, ich bin froh, dass wir gewonnen haben, aber ich hab nicht getroffen, deshalb bin ich traurig. Für ihn war das perfekte Spiel, 10:0 zu gewinnen, und selber alle zehn Tore geschossen zu haben. Jetzt stell man sich vor, was das für ein Geheule war, wenn seine Mannschaft verloren hat. Aber dann ging er duschen und danach war alles wieder okay."
Bis 2003 spielte Ronaldo bei "Sporting Lissabon", dann bei "Manchester United", wo er von David Beckham die Nummer 7 erbte. Sechs Jahre später wechselte er für den damaligen Rekordbetrag von 94 Millionen Euro zu den Galaktischen zu "Real Madrid". Dort heimste er dann so viele Auszeichnungen ein, dass er in der madeirischen Hauptstadt Funchal am Hafen ein eigenes Museum für all seine Trophäen einrichten ließ. Besucher aus aller Welt lassen sich hier besonders gerne neben den täuschend echt wirkenden Wachsfiguren fotografieren, die Ronaldo in der Werkstatt von Madame Tussauds hat herstellen lassen, erzählt Nuno Mendes vom "CR-7-Museum".
"Eine im Juventus-Outfit, die andere trägt das der portugiesischen Nationalmannschaft", sagt Mendes. "Als er bei Real Madrid gespielt hat, trug die Puppe das Trikot der Galaktischen. Die Besucher sind meistens überrascht, so viele Trophäen hier zu sehen. Die meisten sind beeindruckt von den lebensechten Wachsfiguren im Museum. Wir haben über 200 Trophäen im Museum. Dieser Original-Pokal ist der erste, den Ronaldo mit acht Jahren gewonnen hat, als der beste Regionalspieler. Seitdem sammelt er Trophäen."

Beeindruckende Tore

Auf einer Großbildleinwand sieht man eine nicht enden wollende Inszenierung der beeindruckendsten Tore, zum Beispiel seinen sensationellen Fallrückzieher für "Juventus" im April 2018 gegen "Real Madrid". Gerade ist der "Air-Ronaldo-Treffer" gegen Genua dazu gekommen, bei dem er den Ball mit dem Kopf in 2,56 Meter Höhe traf, und von dem halb Madeira spricht. Signierte Trikots, Unmengen goldener Fußballschuhe und ein großes Regal prall gefüllt mit etwa 50 Bällen, alle unterschrieben von gegnerischen Spielern aus den Partien, in denen Ronaldo Hattricks schoss.
Die effektvoll beleuchtete Fülle von Pokalen erinnert an die Sammlungen sakraler Kunst im Vatikan, und die Besucher stehen genauso ehrfürchtig davor. Besonders stolz zeigt Mendes den EM-Pokal, den Portugal 2016 errang, obwohl Ronaldo nach 25 Minuten wegen einer Verletzung tränenüberströmt vom Spielfeld musste und seine Mannschaft schließlich als Trainer-Assistent vom Spielfeldrand aus dirigierte.
"Ronaldo sagt, der Europameisterschaftspokal von 2016 sei die wichtigste Trophäe seiner bisherigen Spielerkarriere", sagt Mendes. "Nicht nur für ihn, für alle Portugiesen, denn unser Land hat zum ersten Mal diesen Titel gewonnen. Alle waren glücklich, es war wie ein Wunder."
Ein besonders beliebtes Fotomotiv ist die knapp dreieinhalb Meter hohe Bronzestatue vor dem Museum, die die Familie des Fußballers bei Ricardo Veloza in Auftrag gab. Der Bildhauer und Dozent an der Kunsthochschule in Funchal hat viele bedeutende Denkmäler für die Inselhauptstadt hergestellt: Das Unabhängigkeitsdenkmal auf dem Platz der Autonomie, das an das Ende der Salazar-Diktatur 1974 erinnert oder den monumentalen Engel, der um die vielen Straßenarbeiter trauert, die bei den Bauarbeiten für die kilometerlangen Tunnel Madeiras starben.
Dass ausgerechnet ein Fußballspieler seine bekannteste Arbeit werden würde, hätte sich Ricardo Veloza nie träumen lassen. Er sagt: "Fußball ist nichts für mich. Ich gehe nie ins Stadion. Und als ich den Auftrag bekam, habe ich ganz spontan erst einmal nein gesagt. Denn es ist sehr schwierig, eine Statue von einem lebenden Menschen zu machen, der eine Art Pop-Star ist, so wie Ronaldo. Deshalb wollte ich keinen traditionellen Ronaldo, der hinter einem Ball herläuft. So wie er jetzt dasteht, ist das eine für ihn ganz typische Pose. Ruhig, die Besucher umarmend. Da sieht man seine Seele. Schon aus großer Entfernung erkennt man ihn."
Ein Beau, so wie das eitle Original, das sich gerne schon zu Lebzeiten ehren lässt, ist der Bronze-Koloss nicht geworden, eher ein Hüne, ein Herr der Bälle und ein Gewinner. Breitbeinig, mit gegeltem Haar, geöffneten Händen und einer – wie viele meinen – übertriebenen Männlichkeit, vom vielen Anfassen schon ganz blank poliert, begrüßt das fast eine Tonne schwere Standbild die anlegenden Kreuzfahrtschiffe.
"Genauso sah er auf der Fotografie aus, nach dem ich ihn geformt habe", sagt Veloza. "Vielleicht hat er einen Protektor unter der Hose, ich weiß es nicht. Zwar lästern die Leute darüber, aber alle wollen ihn berühren, vor allem die Damen. Als ich an der Skulptur gearbeitet habe, habe ich Ronaldo ein Foto davon nach Madrid geschickt. Er hat geantwortet: Ich mag die Statue sehr, aber bitte entfernen Sie die Falten an den Augen. Das habe ich gemacht."
Zur feierlichen Enthüllung erschien er persönlich und scherzte gut gelaunt, dass sein Abbild schöner als er selbst sei. "Ronaldo ist Madeiras Held, allerdings hat er nur sehr wenig Kunstverständnis", so der Bildhauer. "Er ist ein schöner Mann mit einem athletischen Körper. Er spielt genialen Fußball, ist immer ein guter Sohn für seine Mutter, aber er wirkte sehr unnahbar, nicht unbedingt sympathisch."

Geringes Interesse an den Skandalen

Orlando Barros aus Camera de Lobos sieht das anders. Seine Bar "Filhos D‘Mar" ist vollgestopft mit Ronaldo-Devotionalien. Über dem Tresen hängt ein meterlanges Poster, auf dem alle VIP-Gäste, die schon einmal dort waren, miteinander trinken – eine Fotomontage. Er sagt: "Hier ist die Mutter von Ronaldo, sie war erst letzten Sonntag wieder hier. Die ganze Familie kommt hierher. Das ist, Albuquerque, der Präsident von Madeira bei der Einweihung des Flughafens, das der Premierminister von Portugal António Costa."
Stolz präsentiert Barros signierte Trikots aus allen Phasen von Ronaldos Karriere. Sein schönstes Erlebnis war, von ihm als VIP zu einem Empfang bei "Real Madrid" eingeladen zu werden. Dass sein Superheld sich wegen Steuerbetrugs und Vergewaltigungsvorwürfen zu verantworten hatte, ist für den Gastwirt kein Thema. "Es war wie eine Hetzjagd! Auf Madeira halten die Leute zu Ronaldo und sagen, das war alles einvernehmlich, eine normale Angelegenheit zwischen Mann und Frau. Und wer versucht nicht, die Steuer zu hinterziehen? Alle tun das. Es ist vorbei, sprechen wir nicht mehr darüber."
Auch bei "National" äußert sich niemand kritisch über den Vereinspaten, der in Spanien Steuern in Millionenhöhe unterschlagen hatte. Oliveira hält sich ebenfalls zurück. Ronaldo habe sich doch mit dem spanischen Fiskus geeinigt. Natürlich habe seine Zeitung darüber berichtet, aber er sei kein Klatschreporter, sondern Sportjournalist: "Skandale sind nicht unser Schwerpunkt. Das ist doch Ronaldos Sache. Ich bin kein Richter. Ich finde es problematisch, ihn zu verurteilen, nicht, weil er hier auf Madeira geboren wurde, sondern weil er ein Vorbild ist im und außerhalb des Stadions. Beim Sport konzentriert er sich auf den Wettkampf, darauf Pokale zu gewinnen, im Privatleben auf seine Familie und auf sein Geschäft. Das ist sein Leben. Er hat seine Strafe bezahlt. Das ist in Eurem Land doch auch so. Jetzt ist alles wieder okay."
Rui Pinto, der portugiesische Whistleblower und das Gesicht von Football-Leaks, der gehackte Daten veröffentlichte und damit ein Steuerverfahren gegen Ronaldo ins Rollen brachte, ist in den Augen vieler Madeirer kein Held, sondern ein Verräter. Er säße deswegen zurecht im Gefängnis und müsse sich vor Gericht wegen Cyberkriminalität verantworten.
Für viele scheint der berühmteste Sohn Madeiras einen Freibrief zu haben, solange er seine Heimatinsel in positive Schlagzeilen bringt als Torschützenkönig, Wohltäter und Förderer der portugiesischen Fußballjugend. Talhinhas denkt lieber darüber nach, was der Mittdreißiger nach Vertragsende bei "Juventus" 2022 vorhat: "Alles, was Cristiano anfasst, gelingt. Er kann hierherkommen als Trainer, als Präsident, egal, er würde alles gut machen und für uns wäre es eine Freude, ihn zurückzuhaben."
In den portugiesischen Klatschspalten war allerdings kürzlich zu lesen, dass Ronaldo gerne Filmschauspieler werden würde. Doch erst einmal ist er der Hoffnungsträger für die kommende Europameisterschaft. Dazu Talhinhas: "Mit Ronaldo kannst Du jedes Spiel gewinnen. Das ist natürlich nicht genug, aber Portugal hat viele Spitzenspieler, und mit Cristiano haben wir den besten Fußballer der Welt."
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