Romy Straßenburg, Jahrgang 1983, arbeitet als Journalistin für zahlreiche deutsche und deutsch-französische Medien, unter anderem war sie Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo". 2008 gewann sie den Deutsch-französischen Journalistenpreis für das Webprojekt "Generation 80" , 2016 war sie für den Grimme-Preis nominiert. Straßenburg arbeitet als Dozentin am Institut Pratique du journalisme (IPJ). Gerade ist ihr Buch über Frankreich, "Adieu liberté - Wie mein Frankreich verschwand", bei Ullstein fünf erschienen.
Die "Generation Erasmus" und ihre Versäumnisse
08:16 Minuten

Gibt es so etwas wie eine europäische Identität? Oder ist das nur eine schöne Illusion der akademischen Elite? Nur wenn es gelingt, auch die sozial Abgehängten ins EU-Boot zu holen, hat Europa eine Chance, meint Journalistin Romy Straßenburg.
Europa, EU – das ist für viele gleichbedeutend mit unbegrenzten Möglichkeiten, politisch, kulturell, wirtschaftlich. Auch unser Studiogast Romy Straßenburg hat als Zeitungspraktikantin im französischen Nancy vom Erasmus-Programm profitiert und es genossen, ohne große Hürden ein anderes Land, eine andere Kultur kennenzulernen. Mit dem Brexit stellt sich die Frage: Ist dieses "Wir Europäer"-Gefühl, diese Vorstellung von einer gemeinsamen EU-Identität nur eine Illusion?
"Was haben wir verpasst?"
Romy Straßenburg, sagt rückblickend: "Das mit dem Brexit war schon eine Geschichte, bei der ich wirklich geschluckt habe und gedacht habe: Was ist da schief gegangen? Was haben wir verpasst – als Generation, die als Erasmus-Studenten Europa ja sehr positiv wahrgenommen hat -, dass nun diese Abspaltung vonstatten geht?"
Die Journalistin betont: Sie selbst bewege sich in einem Milieu, das sehr pro-europäisch eingestellt sei und zähle sich selbst zur "Generation Erasmus", die sich "in einer Art Bubble" bewege und voll von den Freiheiten der EU profitiert habe. Deshalb übersehe man leicht, dass es viele Menschen gebe, denen nicht bewusst sei, dass eine Europäische Union ihnen Vorteile bringe.
Viele fühlen sich sozial abgehängt
Viele Menschen vor allem in Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal hätten das Gefühl, sozial abgehängt zu sein. Diese Abgehängten müssten wieder ins Boot geholt werden. Auch in ihrer Wahlheimat Frankreich sei der sich ausbreitende EU-Frust bei vielen jungen Leuten zu beobachten, sagt Straßenburg.
Insofern sei es beschämend zu sehen, dass die EU-Befürworter – speziell die akademische Elite – es bislang versäumt hätten, der anderen Seite zu verdeutlichen, wo die Vorteile der Gemeinschaft lägen. Vielen der sozial Benachteiligten sei beispielsweise gar nicht bewusst, was alles mit Mitteln der EU gefördert werde – etwa soziale Projekte, Bauwerke, Infrastrukturen.
Viele EU-Bürger nähmen Brüssel jedoch vor allem als bedrohlich und bürokratisch wahr. "In Brüssel werden ja Anker ausgeworfen. Es werden Dinge entschieden, die sich in den einzelnen Ländern, in den Regionen bis hin zum kleinsten Dorf auswirken. Und wir Journalisten, aber auch andere – Unternehmer etwa –, sollten mal dorthin gehen und schauen, was passiert vor Ort, wenn das und das in Brüssel entschieden wird. Wie gestaltet sich die Lebensrealität dann?"

Die Journalistin und Autorin Romy Straßenburg.© Deutschlandradio / Mirjam Wlodawer
Der Frust der Vergessenen
Die Gelbwesten-Bewegung sei ein gutes Beispiel dafür: Wer eine Ökosteuer beschließe und das Benzin teurer mache, dürfe nicht die Menschen in der Provinz vergessen, die dort komplett von ihrem Auto abhängig seien, weil es keine Alternative gebe.
Die Frustration dieser Vergessenen wirke sich auch auf die EU-Wahlen aus, denn viele seien der Meinung, mit ihrer Stimme nichts bewirken zu können und kein Mitspracherecht zu haben. Interessant findet Romy Straßenburg in diesem Zusammenhang den Blick von außen auf die EU – etwa von jungen Amerikanern, die staunend sehen, dass ein so großes Gebilde wie Europa sich beispielsweise auf gemeinsame Regelungen für Plastikmüll einige. Für die jungen US-Bürger sei das "großartig und unvorstellbar".
Das zeige: Auch diese von vielen Europäern verfluchten oder belächelten kleinen Schritten seien etwas, das "unsere Werte und unseren Alltag letztlich mitprägen. Und das ist schön – darauf können wir auch stolz sein".
(mkn)
Die komplette Sendung mit Romy Straßenburg hören Sie hier:
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