"Nationalstraße" im Kino

Ein belesener Schläger

10:57 Minuten
Ein älterer Mann mit Bomberjacke, Glatze und Kapuzzenpulli steht vor der nächtlichen Kulisse einer Plattenbausiedlung und zeigt frech den Mittelfinger.
Hynek Cermák als Vandam in "Nationalstraße": eine ambivalente, komplex angelegte Figur aus dem Milieu der "Abgehängten". © 42 Film/MM Filmpresse
Jaroslav Rudiš und Štěpán Altrichter im Gespräch mit Susanne Burg · 06.06.2020
Audio herunterladen
Vandam trinkt gerne, schlägt gerne und wettert gegen alles und jeden. Ein Neurechter, der für seine Kneipe im Prager Plattenbau-Gebiet lebt. Jaroslav Rudiš erschuf Vadam in seinem Roman "Nationalstraße". Jetzt kommt die Verfilmung.
Susanne Burg: "Nationalstraße" – das ist ein Theaterstück und Roman des tschechischen Erfolgsautors Jaroslav Rudiš. Eine lakonische Tragikomödie über einen tschechischen Antihelden, ein Kind der Prager Vorstadt, ein Wutbürger unserer Zeit. Nun ist daraus ein Film geworden. Vandam ist in einer Prager Plattenbausiedlung aufgewachsen, im 30. Jahr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs lebt er immer noch da.
Täglich trifft er sich mit seinen Freunden in seiner Stammkneipe. Aber die soll geschlossen werden – und einem Einkaufszentrum Platz machen. Vandam versucht das abzuwehren, und die Lage eskaliert. Jaroslav Rudiš hat das Drehbuch für den Film zusammen mit dem tschechischen Regisseur Štěpán Altrichter geschrieben. Beide leben in Berlin.

Düster und witzig zugleich

Herr Rudiš, ihr Roman besteht zu großen Teilen aus so einer Weltanklage Ihres Protagonisten Vandam, die er an seinen 17-jährigen Sohn richtet. Wie sind Sie vorgegangen, diese Suada filmisch aufzubereiten und in eine Form zu bringen?
Rudiš: Das war eigentlich einfach am Anfang, weil die Geschichte auf einer Kneipenbegegnung basiert. Ich habe diesen realen Vandam mal getroffen in einem Prager Gasthaus, mit ihm ein bisschen Bier getrunken und ihm zugehört. Ein Typ, der sich gerne prügelt, der provoziert, aber irgendwie auch smart und belesen ist. Ein belesener Schläger, der Lyrik liest und viel über die Geschichte weiß – die trifft man in einem Prager Gasthaus auch nicht so oft.
Es ist eine Reise in seinen Kopf. Eine tragisch-komische Reise, eine düstere, aber auch eine lustige Reise. Und da muss ich mich bei Štěpán bedanken, dass er das einfach noch mit diesem tschechischen Humor gestärkt hat.
Burg: Herr Altrichter, Sie lachen sehr zufrieden. Wie sind Sie vorgegangen, als Sie das gelesen haben? Sie kannten das ja vielleicht auch schon. Hatten Sie direkt Bilder im Kopf?

Altrichter: Ich kannte das Buch tatsächlich nicht, ich kannte andere Geschichten von ihm. Dieses Buch wurde an mich herangetragen, ich habe es gelesen und erst dann haben wir festgestellt, dass wir in Berlin Luftlinie einen Kilometer voneinander entfernt leben - als Tschechen.

Aber klar, es kommen Bilder, die sind tatsächlich erst mal düster. Man fragt sich natürlich, wie soll man das um Gottes Willen verfilmen, wenn da einer alleine in seinen Kopf reist.
Das fand ich aber super spannend. Der Charakter und die Innenwelt interessiert mich viel mehr als die programmatische Idee oder ein Thema. Dann habe ich mal so eine Lesung gesehen, von Jaroslav, wie er das liest. Und da siehst du ja - die witzigeren Parts sind sehr witzig -, an welchen sich das Publikum wegbricht. Und da dachte 'So, ja, das ist ja genau das, wieso ich selber ins Kino gehen will, wenn das eine Mischung von Gefühlen ist'.

"Seinen Frust finde ich sehr wahrhaftig"

Burg: Die Filmfigur Vandam ist sehr komplex, Er ist ein Kind der Vorstadt, die Faust sitzt locker, er schlägt sich gern, er trinkt gern in seiner Kneipe, sein Vorbild ist der Action-Darsteller Jean-Claude van Damme. Er wettert ja sehr viel gegen alle, - irgendwie eine ominöse, diffuse Masse -, die Regierung, die Medien, die Fremden, die Gentrifizierer, das ist im Film sehr stark. Woraus speist sich eigentlich seine Unzufriedenheit?
Altrichter: Ja, das ist das Spannende an dieser Figur, diese Ambivalenz. Er ist jemand, dem man erst mal nicht zuhören würde, wo ich mich wegsetzen würde bei seinen Meinungen. Und das ist Jaroslavs Talent, dass er diesen Menschen dann genau zuhört.
Diese Schlüsse, die Vandam daraus zieht, sind zumindest für mich ein absolut rotes Tuch. Aber es gibt den Frust in ihm, den kann ich total nachvollziehen, den finde ich sehr wahrhaftig. Und so geht es nicht nur ihm, sondern ganz vielen Leuten in Deutschland, auf der ganzen Welt, die dann vielleicht wählen oder Meinungen haben, die wir ganz schrecklich finden. Aber der Schmerz …, wir haben versucht, dass man so ein bisschen die andere Seite sieht.

Es heißt immer ‚die Abgehängten‘. Wir wollten genau, dass es nicht die sind, sondern dass man sieht ‚Okay, der Typ ist teilweise einfach ein homophobes, sexistisches Arschloch, xenophob auch noch, teilweise ist er aber auch ein total geschichtsbelesener Mensch mit einer guten Ratio‘. Und das finde ich spannend, wenn man in einen Film geht und dann nicht weiß, wie ist der jetzt, dieser Typ. Und hier weiß ich es nicht, bis zum Ende des Films.
Ein bulliger Mann und eine Frau stehen auf der Straße und blicken nach oben.
Eine komplexe Figur: Szene aus "Nationalstraße".© 42 Film/MM Filmpresse/Jan Hromadko
Es gibt so einen Spruch: "In einem deutschen Film weiß man am Ende einer jeden Szene, wer gelogen hat." Und hier weiß man das bis zum Ende des Films nicht, und das finde ich toll.

Rudiš: Ich wurde auch zum Beispiel öfters nach Lesungen gefragt: "Ich habe so viel gelacht, aber darf man hier lachen?" Eine sehr deutsche Frage - "Darf man hier lachen, das ist so ein furchtbarer Typ?" So eine Frage würde in Tschechien wahrscheinlich niemand stellen. Aber ich denke, um so mehr muss man lachen bei diesen Machos. Und letztendlich sind viele von den Rechten unglaublich lächerlich. Und man kann sie auch mit Humor entblößen.

Altrichter: Eigentlich ist Vandam eher ein postmoderner Philosoph, wenn man das sieht.

Rudiš: Ein Bierphilosoph.

"Die Kneipe ist ein heiliger Ort"

Burg: Über einen Ort müssen wir noch sprechen, nämlich die Kneipe, die Rolle der Kneipe im tschechischen Selbstverständnis.

Altrichter: Das hat verschiedene Level. Einmal: Insgesamt ist die Kneipe ein heiliger Ort in Tschechien. Ich erzähle immer gerne die Geschichte, als ich in Polen war und dann eine Stadtführung bei einem Filmfestival machte. Und der Guide war ein Pole, der sehr tschechophil war und meine Bücher auch kannte und meinte: "Ich übersetze dir das immer, was ich sage." Und dann meinte er: "Hier, diese Kirche wurde zugemacht im kommunistischen Regime, das ist so, als würde man in Tschechien eine Kneipe zumachen."
Ein Mann in Skinheadmontur steht im Gegenlicht einer Abend- oder Morgensonne auf einer Straße.
Auf seine Kneipe lässt er nichts kommen. Auch wenn sie ihm weggentrifiziert wird.© 42 Film/MM Filmpresse/Jan Hromadko
Das hat tatsächlich diesen Wert, deswegen kann man das auch mit ein bisschen Humor so interpretieren in dem Film. Da ist es natürlich so, dass es eine alte Kneipe ist, die ja langsam aufgefressen wird und zu einer Bowlingbahn, einem Einkaufszentrum umgentrifiziert werden soll.
Insgesamt wird dieses Plattenbaugebiet, in dem er wohnt, von allen Seiten vom Turbokapitalismus, der ja auch in Tschechien herrscht, langsam aufgefressen. Vandam klammert sich mit Zähnen und Füßen an das letzte Stückchen - das ist ja wirklich so ein DDR-Museum, also ein tschechisches Vorwendezeitmuseum. Und es ist, würde ich sagen, Vandams Komfortzone. Und die wird ein bisschen aufgelöst.

Die "feinen Prager Caféleute"

Burg: Ich hatte das mit der Kneipe auch gefragt, weil ich mal in einem Interview, das Sie gegeben hatten, gelesen hatte, dass in Tschechien auch so ein bisschen "Streit" darum herrscht, ob man jetzt zur Kneipe gehört oder zum Caféhaus.

Rudiš: Ja, das war wirklich so ein Politikum, dass letztendlich die ganzen liberalen Intellektuellen von den Neurechten in Tschechien als Prager feine Caféleute beschimpft werden. Das ist totaler Schwachsinn, weil die auch in die Kneipen gehen. Das ist auch ein Versuch, die Gesellschaft zu trennen.
Aber diese Rolle der Gaststätte und des Wirtshauses nicht nur in der tschechischen, sondern in der mitteleuropäischen Kultur ist unglaublich wichtig. Das ist ein Ort der Begegnung, der Ort der Geschichte und der vielen kleinen Geschichten, die da erzählt werden. Ein Ort, wo man auf einen Erzähler wirklich tatsächlich wartet, der dann einfach die anderen unterhält.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema