Romantikerin am Klavier

Von Georg Friedrich Kühn · 27.09.2007
In den 20er Jahren galt Elly Ney als eine der bedeutendsten Beethoven-Interpretinnen. In der Nachkriegszeit wurde es stiller um sie wegen ihrer Nähe zum NS-Regime. Zeitweise hatte sie Auftrittsverbot.
Sie spielte Beethoven nicht nur meisterlich, allzu gern schlüpfte sie auch in dessen Titanen-Pose.

"Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr nähern als andere und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht zu verbreiten,"

so Elly Ney mit Beethoven im Schlusswort ihres Vortrags "Wie ich zu Beethoven kam".

Eine starke pädagogische, ja missionarische Ader hatte sie immer. Sie spielte solo oder als Begleiterin auch in Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, Lazaretten, Gefängnissen und gab Erläuterungen dazu. Bonn, ihre zweite Heimatstadt, verdankte ihr 1931 das Beethovenfest. Mittels Beethoven wollte sie das "Schöpferische, das Ewige im Menschen" wiederbeleben.

Aber auch die Hitler-Jugend profitierte von ihrem pädagogischen Drang. Elly Ney beteiligte sich an "kulturpolitischen Arbeitslagern", avancierte zum "Ehrenmitglied deutscher Mädel", schwadronierte anlässlich eines HJ-Beethovenfests über den Kraft-und-Freude-Spender Beethoven:

"Unerbittlich gestaltete er das Naturgesetz, die Wahrheit, oft bis zur Rauheit. Und dies heilige Feuer soll die Herzen der Jugend entzünden , im Kampf stärken, im Leid trösten und aufrichten.

So komm denn, du deutsche Jugend! Lass den Alltag zurück! In diesen Tagen und Stunden wollen wir gemeinsam uns den Strömen der Seelenkräfte unseres Volkes öffnen. Möge daraus unsere Tat im Dienste des Führers groß und licht erstehen."

Geboren wurde Elly Ney am 27. September 1882 in Düsseldorf. Der Vater war Militärausbilder, die Mutter musisch veranlagt. Die Großmutter, dem Schülerkreis Beethovens nahe, förderte ihr Klavierspiel. Mit erst zehn Jahren wurde Elly aufgenommen am Kölner Konservatorium. Den Sprung zur Wiener Meisterausbildung ertrotzte sie sich, noch nicht volljährig, gegen den väterlichen Willen.

Ellys besonderes Talent sprach sich schnell herum. "Musikalische Vollnatur", "bacchantisches Temperament", las man in Kritiken über ihr Musizieren ganz "von innen heraus": "so ehern im Technischen, so hin brausend in Sturm und Wetter". Bald gastierte sie in vielen europäischen Musikzentren.

1911 heiratete sie den Dirigenten Willem van Hoogstraten, 1918 bekam sie ihre Tochter - natürlich Eleonore getauft.

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte sie wie Wilhelm Furtwängler zu jenen europäischen Berühmtheiten, die nach Amerika eingeladen wurden, um dort die klassische Musik zumal auch auf Schallplatte zu popularisieren. Ihr erstes Konzert in der New Yorker Carnegie Hall bestritt sie mutig mit einem ausschließlichen Beethoven-Programm.

In der Nazizeit gehörte Elly Ney zu Hitlers "unersetzlichen", im Volksmund "gottbegnadeten" Künstlern. Zu Kriegsende tauchte sie unter dem Beethoven-Bild mit Freunden ab bei Soireen in ihrem Tutzinger Heim. Wie immer ging es ums ewig "Schöne, Wahre und Gute".

Mit der eisernen Disziplin, die sie vom Vater gelernt hatte - als Kind beim Laufen-Schwimmen morgens um fünf -, beschwieg sie nach dem Krieg ihre Nazi-Vergangenheit oder verdrängte sie mit einer Benefiz etwa zum Wiederaufbau der Bonner Beethovenhalle. Zeitweise hatte sie Auftrittsverbot. Einer Reporterin sagte sie vieldeutig:

"In die Erinnerungen der Vergangenheit einzutauchen, heißt das nicht eigentlich still werden und schweigen."

Elly Ney starb am 31. März 1968 in Tutzing. Sie war eine der letzten Romantikerinnen am Klavier, im durch die NS-Zeit so ernüchterten Nachkriegsdeutschland eher belächelt. Sie blieb beseelt von ihrer "Weltbotschaft", Beethovens "in unermesslicher Dimension" schwingendes Genie zu offenbaren: eine "Appassionata".