Romantik der Etagenbetten

Von Gerd Brendel |
Die meisten haben auf Klassenfahrten Bekanntschaft mit ihr gemacht: die Jugendherberge. Für viele Heranwachsende bedeutete der Ausflug in die Jugendherberge auch das Übertreten des nächtlichen Ausgehverbots, gemeinsames Bettenmachen, Abwaschdienst und viel Spaß hinter dem Rücken der Lehrer.
"Seit eh und je spielt sich das Herbergsleben nach einem ganz bestimmten Reglement ab, ob Einzel-, Familien- oder Gruppenwanderer oder Schulklassen - alle haben sich ausnahmslos der Hausordnung zu unterwerfen."

O ja, ausnahmslos auch für das wohlbehütete Einzelkind aus der westdeutschen Provinz auf Klassenfahrt in einer anderen westdeutschen Provinz, ein paar Zugstunden weiter südlich. Die erste Nacht in Stockbetten: von so einschneidender Bedeutung wie der erste Sex, natürlich in einer Jugendherberge, so aufregend wie der erste Rausch, so nervenaufreibend wie nichts zuvor. Der Zimmergeruch, der Malzkaffee und die Schmelzkäseecken zum Frühstück, die sauer-süßlichen Ausdünstungen 50 pubertierender Jungmänner: Das war der Geruch der großen weiten Welt.

" Hier macht gemeinsam Spaß, was der einzelne gar nicht so gerne tut."

Wie zum Beispiel das Bettenmachen. Und auch der streng verbotene Ausflug in die nächtliche Kleinstadt war in der Gruppe noch mal so aufregend.

Die Stadt hieß Tübingen. Die Jugendherberge war ein Kasten aus den 60ern. Jungs und Mädchentrakt trennte ein Eisengitter.

"Und um 10 Uhr geht das Licht aus."

Und die Eingangstür wurde verschlossen. Mein bester Freund und ich fuhren Stocherkahn auf dem Neckar und tranken Bier in obskuren Studentenkneipen. Als wir lange nach Mitternacht Richtung Quartier schwankten, lag die Herberge schweigend im Tal. Hinter allen Fenstern dunkel. Irgendwo trieben wir eine Leiter auf. Gerettet.

Am nächsten Morgen waren wir die Helden, die die uneinnehmbare Festung Jugendherberge bezwungen hatten. Seitdem habe ich noch in vielen Jugendherbergen übernachtet und einige mürrische Herbergsväter nach der Schließzeit aus dem Schlaf geklingelt.

Mein Jugendherbergsausweis öffnete mir Schlafsäle auf der ganzen Welt. In Amsterdam musste ich dem misstrauischen Herbergsvater meine unversehrten Arme vorweisen, weil er mich für einen Junkie hielt. In Rom kletterte ich nachts über den Zaun neben der Herberge, um in Mussolinis Olympia-Schwimmbecken zu baden.

Jugendherbergen rochen nach Abenteuer, auf jeden Fall solange, bis ich mich dem Alter meines Klassenlehrers von damals näherte und den Rucksack gegen den Rollkoffer tauschte. Meine Jugendherbergszeit schien endgültig vorbei zu sein, bis, ja bis vor ein paar Jahren in Warnemünde zur Hauptsaison. Kein freies Bett nirgends, bis auf einen Schlafplatz in der Jugendherberge. In den Stockbetten links und rechts schnarchten ein Vater und seine zwei halbwüchsigen Söhne. Nachtschweiß hing wie schweres Parfüm unter der Zimmerdecke. Und in der Nacht träumte ich von meterhohen Leitern. Das Frühstück am nächsten Morgen verschlief ich. Dabei hatte ich mich schon so auf den Malzkaffee und die Schmelzkäseecken gefreut.