Romane über das Bauhaus

Geschichten über Kunst, Architektur und einen Sehnsuchtsort

Gruppenaufnahme der Bauhausmeister in Dessau (1926): v. l. n. r: Josef Albers, Hinnerk Scheper, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Joost Schmidt, Walter Gropius, Marcel Breuer, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Gunta Stölzl und Oskar Schlemmer.
Gruppenbild der Bauhausmeister 1926 (v. l. n. r.): J. Albers, H. Scheper, G. Muche, L. Moholy-Nagy, H. Bayer, J. Schmidt, W. Gropius, M. Breuer, Kandinsky, P. Klee, L. Feininger, G. Stölzl und O. Schlemmer. © dpa / picture-alliance / akg
Von Andreas Schäfer · 11.01.2019
Das Bauhaus, gegründet vor 100 Jahren und 1933 von den Nazis geschlossen, übt auch auf Schriftsteller einen Reiz aus. Im Vorfeld des Jubiläums sind Romane von Andreas Hillger, Theresia Enzensberger, Tom Saller und Jana Revedin erschienen.
Tom Saller: "Die meisten kennen die genialen Künstler, die am Bauhaus geweilt haben, besonders in Weimar. Aber ich habe mich für die Sicht der Studierenden entschieden, und da kommen wir jetzt in den Bereich der Fiktion oder der Fantasie..."
Das Bauhaus: 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet, 1925 umgezogen nach Dessau, 1933 von den Nationalsozialisten in Berlin geschlossen. Die Gründung nur wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkrieges war durch eine euphorische Aufbruchsstimmung geprägt. Das neu entwickelte funktionale Haus mit Flachdach und fließendem Grundriss stand als Ausdruck für eine gerechtere Gesellschaft und für die Auflösung der Grenzen zwischen Design, Kunst, Theater und Architektur!
Theresia Enzensberger: "Ich hatte die Idee, als ich in einer Ausstellung war zum neunzigjährigen Jubiläum von Bauhaus und da sah ich einen Stundenplan an der Wand hängen und dachte: Moment mal, da waren ja richtige Studenten! Da waren ja junge Leute."
Und dazu die vielen Berühmtheiten, die am Bauhaus wirkten: Walter Gropius und Mies van der Rohe, Wassily Kandinsky und Paul Klee, Marcel Breuer und Oskar Schlemmer, Johannes Itten und László Moholy-Nagy.
Jana Revedin: "...eine Dame, die mit Walter Gropius verheiratet war und die Ise Frank ist. Und ich fragte mich, das ist ja überraschend, wer war denn diese Frau? War das die Direktorengattin des Bauhauses, die Gäste empfängt und die Verträge mitunterschreibt oder war das eine viel tiefere, eine viel revolutionärere Figur, die sich wirklich für eine Emanzipation in der Zeit eingesetzt hat?"


Zum 100. Gründungsjubiläum in diesem Jahr wird des Bauhauses in zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen gedacht, aber auch Autorinnen und Autoren haben sich vom Bauhaus inspirieren lassen: Jana Revedin, Theresia Enzensberger, Tom Saller und Andreas Hillger haben historische Romane über eine Institution geschrieben, an der man alles Verstaubt-Historische abschütteln und in die Zukunft stürmen wollte. Was fasziniert Autoren heute am Bauhaus?
"Die Werkstatt. 1923. Formmeister: L.Moholy-Nagy. Technischer Meister: Chr.Dell". - Fotoreproduktion. Aus: Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923.
"Metallwerkstatt. 1923. Formmeister: L.Moholy-Nagy. Technischer Meister: Chr.Dell". - Fotoreproduktion. Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923. © picture alliance/dpa/Foto: akg-images

Das Bauhaus als Sehnsuchtsort

Tom Saller, im Hauptberuf Psychotherapeut, hat sich in seinem Roman "Wenn Martha tanzt" vage am Leben einer Urgroßmutter orientiert und aus ihre eine Künstlerin gemacht, die am Bauhaus studierte. Ihn reizte das Bauhaus vor allem als Sehnsuchtsort.
Saller: "Welche Sehnsuchtsorte gab es in Deutschland für künstlerisch interessierte Menschen? Da kommt man auf Worpswede und Berlin, und dann fiel mir... relativ schnell das Bauhaus und Weimar ein. Hier hatte ich das große Glück, so viele Disziplinen vereint vorzufinden und das noch an einem Ort... und einer relativ kleinen Stadt. Besser geht’s eigentlich nicht."
Für Theresia Enzensberger stand zu Beginn ihres Romans "Blaupause" vor allem das Interesse an Kunst und Architektur im Vordergrund.
Enzensberger: "Das ist ja etwas, womit sich auch meine Hauptfigur beschäftigt: das politische Potential von Architektur, wo man da auch sehr schnell beim Bauhaus ist. Das war ideengeschichtlich der Anfang."
Und die Architektin Jana Revedin, die als Professorin Architektur der Moderne lehrt, hat sich in dem biografischen Roman "Jeder nennt mich Frau Bauhaus" auf literarische Weise einer realen Figur genähert, die sie selbst kaum kannte.
Bei allen Unterschieden – eines springt sofort ins Auge. Alle Bücher haben weibliche Hauptfiguren. Auch Andreas Hillgers Roman "Gläsener Zeit". Die junge Clara kommt darin zum Studium nach Dessau und wird von dem Treiben dort emotional überwältigt.

Sie hatte sich für eine Freiheit entschieden, die ihr ganzes Leben aus den Fugen hob. Dabei war sie sicher, dass sie das einzig Richtige tat – eine Welt zu träumen, die nicht mehr auf dem Gestern fußen durfte, sondern ganz neu gegründet werden musste.

Was genau suchten und was genau fanden diese Frauen dort?

Die innere Reinigung.

Nach Zusammenlegung der Großherzoglichen Kunstgewerbeschule und der Großherzoglichen Hochschule für bildende Kunst nimmt im April 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar seine Arbeit auf. Es gibt keine offizielle Eröffnung. 84 weibliche und 79 männliche Studenten beginnen das erste Semester.

So beginnt ein Kapitel in Tom Sallers Roman "Wenn Martha tanzt". Das Buch ist im Frühjahr 2018 erschienen und zeichnet Marthas Leben über ein gesamtes Jahrhundert nach. Von Pommern über Weimar nach New York. 1900 als Tochter eines Kapellmeisters geboren, entwickelt Martha früh ein ungewöhnliches Talent. Sie kann Töne sehen. Und zwar in Gestalt von Formen. Doch sie weiß nicht, was sie mit dieser Gabe anfangen soll – bis ihr ein Freund rät, ans Bauhaus zu gehen.

Der Schwung der Lokomotive. Das rhythmische Rattern der Räder während der Fahrt. Bäume, Häuser, Landschaften, die am Zugfenster vorbeiflitzen – all das steckt ihr in den Knochen, pulsiert in ihrem Blut.

Dass sie in Weimar in einem Laboratorium der Zukunft gelandet ist, macht ihr gleich nach der Ankunft die Fotografin Ella klar. Ella streift auf der Suche nach Motiven durch die Stadt und nimmt die verdutzte Martha unter ihre Fittiche.

Ich dachte, nur Männer sind Fotografen...

Tom Saller verliert keine Zeit, ein für seinen Roman zentrales Thema anzusprechen: die Selbstermächtigung der Frau. Ella bietet Martha ein Zimmer zur Untermiete an – und verpasst ihr einen zeitgemäßen Haarschnitt, also eine Kurzhaarfrisur.

Vorsichtig streicht sie über ihr kurzgeschnittenes Haar. ´Das ist schön.` Sie küsst Ella sanft auf die Wange. Nie zuvor ist sie einer fremden Frau in deren Wohnung gefolgt... Allerdings hat sie auch nie zuvor wie ein Junge mit unternehmungslustig blitzenden Augen und zerzaustem Haarschopf ausgesehen.

Der erste Eindruck trügt. Martha ist keineswegs so 20er-Jahre keck wie man glauben könnte. Saller zeichnet sie als eine Art Medium: Martha saugt alles in sich auf – und bleibt auf eine rührende Art naiv. Eigentlich weiß sie gar nicht, was sie an der Schule soll. Damit ist sie am Bauhaus genau richtig. Denn dort werden die Studierenden vor ihrer Spezialisierung in den sogenannten Vorkurs geschickt.

Kursleiter ist der Schweizer Maler Johannes Itten

Dabei handelt es sich um ein praxisorientiertes Studium Generale, das den Neuankömmlingen richtiges Sehen, Atmen, Bewegen und Begreifen der Welt vermitteln soll. Leiter dieses Kurses ist Johannes Itten, Schweizer Maler, Kunstpädagoge, und ein guruartig umschwärmter Verfechter der Mazdaznan-Lehre, einer theosophischen Strömung, die sich um die Jahrhundertwende gebildet hatte. Itten erklärt Martha an ihrem ersten Tag:

Die am besten fassbare, bestimmbare Form ist die geometrische, deren Grundelemente der Kreis, das Quadrat, das Dreieck sind. In diesen drei Formen liegt jede mögliche Form keimhaft. Sichtbar dem Sehenden – unsichtbar dem Nichtsehenden.

Saller: "Dann gibt es aber unter den Lehrern, und das hat mich am meisten fasziniert, auch das Fräulein Grunow; Gertrud Grunow, die niemals Meisterin wurde. Paul Klee beispielsweise oder Kandinsky sind in die Kurse von Frau Grunow gegangen. Sie hat Tanz, Formen, Musik, Farben versucht, in ein Konzept zu bringen, in eine Harmonisierungslehre, und von Grunow haben die allerwenigsten gehört."
Über dieses Fräulein Grunow findet Martha zu ihrer Bestimmung, dem Tanz, und schafft es, die Formen, die beim Klang von Musik vor ihrem inneren Auge entstehen, in Bewegung zu übersetzen.

Der Klavierton schwingt in ihrem Inneren nach. Zweifelsohne besitzt er die Form eines Dreiecks. Vorsichtig macht sie einen Ausfallschritt nach hinten; gleichzeitig breitet sie die Arme aus. Ein Arm zeigt jetzt schräg nach oben, der andre bewegt sich nach unten, parallel zum Bein. Mit einem Mal bildet ihr Körper eine einzige Linie. Marthas Hals ist anmutig gestreckt. Sie verharrt in dieser Haltung. - "Bravo", sagt Fräulein Grunow leise. "Ich kann es sehen."

Die Geschichte des Bauhauses wird gemeinhin in zwei Phasen unterteilt, in eine expressionistische Anfangszeit, geprägt von dem Mystiker Itten, und in eine praxisorientiere Phase, in der die ikonischen Bauten entstanden und Gropius die Werkstätten eng mit der Industrie verzahnte. Tom Saller ist vor allem an den Tendenzen des Anfangs interessiert. Er nutzt die Aura des Bauhauses für die Inszenierung einer magisch angehauchten Selbstfindung. Nachdem Martha ihre Lebensaufgabe gefunden hat, verlässt sie Weimar. Die Dessauer Phase des Bauhauses spielt deshalb im Roman keine Rolle und hat auch den Autor nicht mehr interessiert.
Saller: "Mit dem Umzug nach Dessau ist für mich die Unschuld des Bauhauses zu Ende gegangen. Wenn die da in der Bauhauskantine Quark mit Kartoffelschalen essen, dann ist das nicht nur Ernährungslehre und Mazdaznan, dann ist das tatsächlich, weil das Bauhaus kein Geld hat. Und das hat sich dann in Dessau doch deutlich verändert."


Im Gegensatz zu der naiven Martha weiß die junge Luise Schilling aus Theresia Enzensbergers Roman "Blaupause" – 2017 erschienen – sehr genau, was sie am Bauhaus in Weimar studieren will.
Enzensberger: "Luise will unbedingt Architektur studieren, aber dann doch nicht so unbedingt, dass sie das nicht aus den Augen verliert, als sie unbedingt zu einer Gruppe gehören will. Diese Cliquensache hat große Auswirkungen auf sie..."
Das Bauhaus in Dessau 1928
Das Bauhaus in Dessau 1928© imago/Arkivi
Während Tom Saller den Mythos Bauhaus bestätigt, beleuchtet Theresia Enzensberger in ihrem Campus-Roman die schmerzhafte Diskrepanz zwischen Anspruch und ernüchternder Wirklichkeit. Die Diskussionen über Kunst und soziales Engagement, in die Luise gerät, könnten so ähnlich auch in der Gegenwart geführt werden.

Mir fällt eine große Statue auf. Es ist eine Spirale aus blauen, roten und gelben Glasstücken, in denen sich ein paar spärliche Sonnenstrahlen brechen. Jakob bemerkt meinen Blick.

Johannes Ittens neueste Arbeit. Der Turm des Feuers. Ist er nicht wunderbar?

Was weiß ich schon? Ich bin keine Künstlerin.

Wie kommst du denn darauf? Man muss doch kein Künstlerin sein, um diese Farben auf sich wirken zu lassen.

Was weiß ich schon? Ich bin keine Künstlerin.

Wie kommst du denn darauf? Man muss doch kein Künstlerin sein, um diese Farben auf sich wirken zu lassen.

Nutzen tun sie aber niemandem, die Farben. Erich hat kein Dach über dem Kopf, und was macht Johannes? Er baut wunderbare Türme, in denen niemand wohnen kann.

Jakob schweigt. Dann sagt er: Warum bist du eigentlich so wütend?

Für Luises Wut gibt es verschiedene Gründe. Sie hat sich in Jakob verliebt, der sich mit dem Verweis auf das Bürgerliche monogamer Beziehungen alle Optionen offen hält. Sie ist aber auch auf sich selbst wütend, weil sie so etwas wie Besitzanspruch und Eifersucht empfindet und also weniger avantgardistisch fühlt als die Lehren von Itten es vorgeben. Ihre Wut hat aber vor allem mit der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern am Bauhaus zu tun. Sie will Architektin werden, aber für Frauen ist eigentlich nur die Weberei vorgesehen.

Im Herbst 1920 schlägt Walter Gropius vor, weibliche Studenten vor allem in den Werkstätten für Weberei oder Buchbinderei einzusetzen, um ´unnötige Experimente` zu vermeiden.

…heißt es auch schon bei Tom Saller lapidar. Bei Theresia Enzensberger zieht sich diese Ungerechtigkeit durch den gesamten Roman. Luise ist auch auf Itten wütend, der ihr mit sanftem Gurulächeln erklärt, dass Frauen nun Mal Schwierigkeiten mit dem dreidimensionalen Sehen hätten. Künstlerisch und auch was die Liebe angeht, erweisen sich Luises Weimarer Jahre als eine einzige Enttäuschung. 1923 dreht ihr der Vater den Geldhahn zu und beordert sie an eine Haushaltsschule. Während Luise von Ittens Gurugehabe zermürbt wird, kann die Autorin dessen esoterischem Zirkel durchaus etwas abgewinnen.

"Kreis um Itten... eine Art protofaschistische Sache"

Enzensberger: "Es gibt so eine Idee, dass dieser Kreis um Itten... eine Art protofaschistische Sache war, die das Bauhaus ausstoßen musste, um zu moderner Größe zu kommen... Wenn es um Rassenlehre geht oder um Eugenik... Ohne das verharmlosen zu wollen, sind das Sachen, die überall präsent waren zu der Zeit. Abgesehen davon... interpretiere ich diese esoterischen Strömungen als eine Reaktion auf die Quantifizierung der Welt. Und insofern habe ich ein bisschen Sympathie dafür, weil ich schon verstehen kann, dass man das unheimlich findet, wenn es kein Innerliches und kein Geheimnis mehr gibt."

"Das durchsichtige Haus"

Der Roman "Blaupause" teilt sich in zwei symmetrisch angeordnete Teile, wobei der für Luise entscheidende Teil in Dessau spielt, wohin die Schule 1925 umziehen musste. Nach dem Tod des Vaters kehrt Luise ans Bauhaus zurück und ist jetzt entschlossen, Architektin zu werden.

Ich will die Zukunft bauen, und die Vergangenheit abreißen.

Um Gropius´ von ihrem Talent zu überzeugen, spaziert sie einfach in sein Büro und zeigt ihm ihren Entwurf für eine Wohnsiedlung.

Als ich das Wort Zeilenbau verwende, sieht er mich überrascht an. Als ich anfange, von Theodor Fischer zu sprechen, wird sein Blick geradezu ungläubig. Auf einmal sind wir in ein Fachgespräch vertieft.

Also gut, Fräulein Schilling. Wir probieren das aus. Den Vorkurs haben sie ja schon in Weimar absolviert. Ich denke, sie sollten gleich in die Spezialausbildung des dritten Semesters einsteigen. Dort können sie sich dann auch mit den Grundlagen der Statik vertraut machen.

Gropius´ Wohlwollen entpuppt sich freilich als doppelbödig – am Ende wird er die junge Frau vor allem deshalb gefördert haben, um die Idee zu der von ihr entworfenen Siedlung als seine eigene auszugeben. Theresia Enzensberger hat sich bei der Darstellung der Ikone Walter Gropius eine künstlerische Freiheit erlaubt, die einige Leser empört hat und die sie geradezu als Nestbeschmutzung empfinden.
Enzensberger: "Dann gibt es ganz viele, immer Männer, die sich wahnsinnig ärgern, dass ich Gropius so was unterstelle... Das ist eine riesige Provokation, und die fragen auch immer, ob das legal ist und ob ich das darf..."

Doch jetzt dieser Duft! Gropius hatte sich zum Handkuss hinuntergebeugt, und Ise roch sein herbes Rasierwasser. Es war, als schüttelte sich ein regennasser Laubbaum durch die Fenster herein!

Auch in Jana Revedins biografischem Roman "Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus" spielt Walter Gropius eine Hauptrolle, wenn auch die zweite – hinter Ise Frank, Gropius´ zweiter Frau. Ise ist eine ehrgeizige Buchhändlerin und Rezensentin, als sie 1923 Walter Gropius kennenlernt. Da ist sein Bauhaus bereits sagenumwoben, steht aber kurz vor der Pleite.

Ise, ich brauche Sie

Ich weiß...

...antwortet sie sibyllinisch – und reist, bevor sie sich auf "den Rebellenarchitekten" einlässt, selbst nach Weimar, um die Schule persönlich in Augenschein zu nehmen. Was Ise vorfindet, begeistert sie.

Hier durfte man ausprobieren, korrigieren, neu beginnen, besser machen. Jedes Projekt schien sich seine eigene Dimension zu schaffen, die aus dem Austausch von Meinungen und Erfahrungen der verschiedenen Disziplinen entstand. Es war, wollte Ise einen Vergleich für ihr eigenes Metier finden, wie Texteschreiben im Kollektiv, und zwar mit einem Traumteam aus Kraus, Mann, Huxley und Virginia Woolf.

Ist Tom Saller an den mystischen Anfängen und Theresia Enzensberger an den subtilen oder expliziten Machtstrukturen einer geschlossenen Gesellschaft interessiert, so faszinieren Jana Revedin die Arbeitsweisen am Bauhaus und die fachlichen Neuerungen in Design und Architektur.


Revedin: "Es war eine echte Reformschule, die wie alle Reformschulen erst einmal höchst kritisch beäugt wurde. Und deswegen ist das Bauhaus für mich heute so aktuell wie für die Menschen aus jener Zeit, und da ich selber lehre und forsche und eben eine neue Generation von Studenten ausbilde, habe ich mich seit jeher, schon als Studentin, dieser Bewegung eingeschrieben und sie auch fortgetragen."
Doch selbst sie, die Bauhaus-Spezialistin, erfuhr von der Frau an Gropius‘ Seite erst durch einen Zufall.
Revedin: "Ise Frank entdeckten wir gemeinsam mit meinen Meisterstudenten innerhalb unserer Studien zur Reform der Moderne."
An der Seite von Ise Frank führt Revedin den Leser durch die wichtigsten Phasen des Bauhauses. Von der großen Bauhaus-Ausstellung 1923 über den erzwungenen Umzug nach Dessau und die Einweihung der spektakulären Meisterhäuser bis zur Kündigung der Finanzierung des Flugunternehmers Junkers, womit schon der Anfang des später durch die Nazis erwirkten Endes 1933 eingeläutet wird. Man tanzt mit Oscar Schlemmer oder ist dabei, wenn Marcel Breuer den Freischwinger entwickelt.

Breuer hatte den Damen die Musterstücke im Archivregal erläutert: Aus den Stahlrohstücken entstanden Stehlampen oder ein Teetablett oder ein Handtuchhalter.

Doch jetzt arbeiten wir an unserem ersten Stuhl…

...er hatte seine Begeisterung kaum unterdrücken können…

…an einer ganzen frei-schwin-schwing-end-den Möbellinie.

Ises emanzipatorisches Werk bestand dabei aus zweierlei: Sie war die beste Öffentlichkeitsarbeiterin, die sich Gropius hätte wünschen können, was ihr den Spitznamen "Frau Bauhaus" einbrachte. Aber sie nahm auch die Einrichtung des Meisterhauses nach ergonomischen Prinzipien vor und schrieb Artikel über die Arbeitsersparnis, die sich daraus für die Hausfrau ergab.

Von der Einfahrt aus musste das Haus unspektakulär aussehen. Es war schlicht und einfach weiß. Dafür hatte es "Augen", riesige, fassadenbündige Fenster in schwarzen Eisenrahmen, die sich gegenüberlagen, sodass man von außen durch die Raumfluchten hindurchsah. Das Haus war tatsächlich durchsichtig.

Auf eine geschickte Weise setzt Jana Revedin das Motiv der "gläsernen Wand" auch im Verhältnis zwischen den Figuren ein. Dass gläserne Wände am Bauhaus zwischen den Geschlechtern existieren, macht ihr der fesche Marcel Breuer schon bei einer ersten Führung mit der Bemerkung über die Weberei deutlich.

Wen interessieren schon Lesbenteppiche.

Revedin: "Was mich in der Recherche ein wenig ernüchtert hat, war zu sehen, dass zwar Frauen zum Studium zugelassen waren, aber dass man den Frauen sehr schnell eine Nische zugewiesen hat – wie es heute nicht anders im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geschieht. Das sind Männerseilschaften, die leider auch noch heute tragen."

Der Männerriege ein weibliches Kollektiv entgegengesetzt

Der selbstgewisse Breuer, der Möchtegernguru Johannes Itten, der Frauen verschlingende Kandinsky und der clowneske Oskar Schlemmer – der Männerriege hat Revedin ein weibliches Kollektiv entgegengesetzt, das Ise hilfreich zur Seite steht. Dazu gehört Irene Hecht, eine ungarisch stämmige mondäne Fotografin, die Ise fast näher kommt als ihr Ehemann.
Revedin: "Die, die sich wirklich bewährt haben, karrieremäßig, waren die, die vorher schon Malerin waren oder Fotografin waren oder Stoffdesignerin, eben schon ein Handwerk hatten und sich darauf stützen konnten."
Eine dieser starken Frauen ist die wunderbar gezeichnete Manon Gropius, stolze Junkersfrau mit einem klarsichtig kritischen Blick auf ihren Sohn Walter.

Manon Gropius, eine Frau, die einem Gardegeneral in nichts nachstand. Nicht in der Statur, nicht in der Kühnheit der Stirn, nicht in der Präzision ihrer Gedanken. Auch nicht in der Redegewalt. Ise wurde ganz still neben ihr.

Dass Ise still wurde, ist später leider wörtlich zu nehmen. Ise Frank hat das Bauhaus mitgestaltet und mit ihren Kontakten dafür gesorgt, dass nach der Schließung das New Bauhaus in Chicago gegründet werden konnte. Dennoch wäre sie fast vergessen worden. Denn anders als ihre mondäne Freundin Irene Hecht, deren Fotos vom Studentenalltag heute noch bekannt sind, hinterließ sie kaum sichtbare Spuren. Und während ihr Mann nach der gemeinsamen Emigration in die USA zu Weltruhm gelangte, konnte sie nur noch unter seinem Namen publizieren.

Das Dreieck.

Das Flachdach, die fließenden Raumübergänge, das Fehlen von Ornamenten oder die experimentellen Bühnenaktivitäten von Oskar Schlemmer. Finden sich die am Bauhaus propagierten Stilprinzipien auch in den Romanen wieder?
Saller: "Das Bauhaus als ästhetisches Konzept: ich mag dieses Ohne-Ornament, ohne Schnörkel, und habe dieses eben versucht, in Sprache zu übertragen, um mit möglichst wenigen Worten möglichst viel auszudrücken."

"Was kann die Avantgarde heute sein?"

Enzensberger: "Was kann die Avantgarde heute sein? Das sind Fragen, die man sich stellen kann als Schriftsteller. Ich bin zum Beispiel jemand, ich liebe den amerikanischen Roman und ich liebe die amerikanische Kultur dafür, dass sie nicht strikt unterscheidet zwischen E und U Kultur. Das ist in Deutschland so eine Krankheit und da hatte ich eben die Idee, ein Genre zu nehmen – den historischen Roman – und damit etwas zu machen, das hoffentlich intelligent ist, aber nicht experimentell in dem Sinne, ich weiß eigentlich gar nicht, was die Leute damit meinen. Und was man zu Inhalt und Form noch sagen kann: Das Bauhaus war ja nicht nur Form, sondern auch Handwerk!"


Am konsequentesten hat vielleicht Andreas Hillger in seinem bereits 2013 erschienenen Roman "Gläserne Zeit" nach einer formalen Übersetzung eines Bauhausprinzips gesucht – und sie im Figurendreieck einer ménage à trois gefunden. Die junge Clara kommt nach Dessau ans Bauhaus und kann sich nicht zwischen dem ungestümen Kommunisten Carl und dem poetisch-sentimentalen Lukas entscheiden. Alle drei träumen sie von einer idealischen Balance der Kräfte:
Ise Frank und Walter Gropius 1961 in Darmstadt
Ise Frank und Walter Gropius während der Eröffnung des Bauhaus-Archivs 1961 in Darmstadt. © picture alliance/dpa/Foto: Koll

"Meinst Du nicht", fragte er Carl nun, "dass so ein Dreiklang möglich ist? Herz, Hirn und Hände?"

Doch das Gleichgewicht der Kräfte und die Harmonie innerhalb der Dreiecksbeziehung dauern nur kurz an. Dann zieht es Carl in den Dunstkreis des kommunistischen Gropius´- Nachfolgers Hannes Meyer, der für alles Künstlerische nur Verachtung übrig hat. Lukas wiederum zeigt sich angewidert von dem Dünkel vieler Bauhäusler.

Und wo blieb dabei der Mensch? Selbst Schlemmers Kostüme waren nichts als bunte Korsagen, in die er seine Tänzer presste, um ihnen die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen abzugewöhnen. Auf einmal schien es Lukas, als zeige die Schule ausgerechnet bei dieser Schau der Masken und Verkleidungen ihr ungeschminktes Gesicht: den Hochmut, der sich aus dem Glauben an die eigene Überlegenheit und die Ahnungslosigkeit der anderen speiste. Was wussten sie denn wirklich von denen, deren Leben sie ungefragt planten?

Lukas bricht sein Studium ab und beginnt, in Junkers‘ Flugzeugfabrik zu arbeiten, wo er in Kontakt mit der sogenannten einfachen Bevölkerung kommt und merkt, dass die Stimmung offen antisemitisch und nationalistisch geworden ist und sich längst gegen das Bauhaus gewendet hat.

Vor dem Eingang standen zwei Männer in den braunen Lettow Hemden der Sturmabteilung und mit der Hakenkreuzbinde am linken Arm. Sie verteilten Flugblätter. "Volksgenosse! Arbeiter! Angestellter! Der nationale Sozialismus ist auch Deine Sache!"

Während Hillger in dem Roman "Gläserne Zeit" in Lukas und Carl die widerstreitenden politischen Kräfte aufeinanderprallen und sie in einer Spirale aus Verrat und Gewalt eskalieren lässt, schafft er zugleich eine der zartesten Figuren, denen man auf dieser Lesereise durchs Bauhaus begegnet. Es ist der seherische, über allen politischen Querelen schwebende Paul Klee.

Ja, Fräulein Clara. Das ist eine dunkle Vorhersage, von der ich glaube, dass sie auch unsere Zeit meint. Wir haben die Epochen der Menschheit nach den Stoffen benannt. Wir kennen die Stein-, die Eisen- und die Bronzezeit. Aber für unsere Gegenwart haben wir keinen Namen, obwohl man doch gerade am Bauhaus sehen kann, was ihr wichtigstes Material ist. Das Glas. Ich will sie die gläserne Zeit nennen, weil sie so zerbrechlich ist und weil alles in Scherben fallen wird. Das Bauhaus war immer Kampf und wird immer Kampf bleiben.

Doch bevor Klee, erschöpft von den schwierig gewordenen Verhältnissen am Bauhaus, 1931 einen Ruf an die Düsseldorfer Kunstakademie annimmt, gibt er Clara noch eine kleine, zauberische Vorstellung in Lebensklugheit. Und die entspringt bekanntlich weder Kunstmanifesten noch Stilprinzipien, sondern schlicht der Erfahrung – und ist heute so gültig wie vor einhundert Jahren.

Der Meister nahm seinen Tee mit Milch und Zucker. Clara sah dem Weiß zu, wie es sich mit dem Gold in langen Schlieren vermischte, ehe er die Kristalle vom Löffel auf den Grund der Tasse sinken ließ:

Fest und flüssig, kostbar und profan – auch Tee ist eine Kunst, nicht wahr?

Klee schien Gedanken lesen zu können.

Es kommt darauf an, jede Handlung, zu heiligen. Ob ich nun male oder musiziere, spaziere oder schlafe – immer versuche ich, mir des besonderen Moments bewusst zu sein.

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