Roman

Vom Vorstandschef zum Whistleblower

Der ehemalige britische Olympus-Manager Michael Woodford
Der ehemalige britische Olympus-Manager Michael Woodford © picture alliance / dpa
Moderation: Matthias Hanselmann · 02.04.2014
Er war Manager beim japanischen Konzern Olympus – und wurde zum Whistleblower, der Informationen über betrügerische Machenschaften an die Presse weitergab. Danach musste Michael Woodford um sein Leben fürchten. Beim Interview hatte er eiskalte Hände.
Mathias Hanselmann: Ganze drei Jahrzehnte seines beruflichen Lebens hat Michael Woodford bei der Firma Olympus verbracht und er schaffte etwas, was vorher noch nie einem Europäer geglückt war: Er wurde CEO, also Vorstandsvorsitzender oder Präsident des Gesamtkonzerns – aber nur für kurze Zeit: Nur zwei Wochen nach seiner Ernennung wurde er gefeuert, denn Woodford hatte entdeckt, dass sein Konzern etwas vertuscht, und dabei ging es nicht um Peanuts, sondern um rund zwei Milliarden US-Dollar.
Michael Woodford wurde zum Whistleblower, half dabei, den Skandal in der eigenen Firma aufzudecken. Die Verantwortlichen, allen voran der Olympuspatriarch Kikukawa sind inzwischen verurteilt. Woodford selbst bekam eine hohe Abfindung, aber er kämpft weiter, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Enthüllung“ und reist mit seiner Geschichte um die Welt. Für seinen Mut hat er inzwischen diverse hochkarätige Preise erhalten. Ich habe mich gestern mit Michael Woodford in seinem Hotel in Berlin getroffen, und meine erste Frage: Mr. Woodford, Sie hatten alles erreicht, waren Präsident des Konzerns – und dann kam eine E-Mail, die alles veränderte. Erzählen Sie uns davon!
Michael Woodford: Ja, also am 1. April 2011 habe ich den Job angetreten, und dann im Juli war ich in Hamburg und bekam eine E-Mail, die ich in einer Kaffeepause noch nicht weiter beachtete, und als ich dann wieder zurück im Hotel war, öffnete ich sie. Und ein Bekannter – den ich im Buch auch schütze, weil er in einer großen japanischen Firma arbeitet, aber ich muss ihn unter falschem Namen in meinem Buch erwähnen, weil man das in Japan immer noch als Betrug werten würde, dass er mir diese Info gegeben hat – machte mich auf einen Artikel in einer kleinen Zeitschrift aufmerksam, in der beschrieben wurde, dass Olympus drei seltsame, kleine Firmen gekauft hatte, die eigentlich überhaupt keinen Profit machten, sogenannte Micky-Maus-Firmen, aber dafür über eine Milliarde Dollar hingeblättert hatte. Und dann wiederum sind 700 Millionen Dollar auf den Cayman-Inseln verschwunden, und das hörte sich natürlich nicht gut an.
Hanselmann: Wie konnten Sie damals sicher sein, dass diese Vorwürfe auch stimmen?
"Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen"
Woodford: Na, ich habe es am Anfang nicht geglaubt, ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich wusste, dass Olympus vielleicht nicht sehr gut gemanagt ist, aber ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie korrupt sind. Als ich dann kurze Zeit später wieder in Japan war, habe ich den Konzernchef Kikukawa und auch Mori, den Vizechef, damit konfrontiert, und ich merkte, dass sie sehr ausweichend reagiert haben, das war der 2. August 2011, und dann merkte ich plötzlich, dass hier etwas schrecklich falsch lief. Immerhin war ich ja der Präsident, ich war ja der CEO von Olympus und war für 40.000 Mitarbeiter verantwortlich, und ich wollte wissen, was los ist!
Hanselmann: Und Sie waren einen langen, aber am Ende steilen Weg gegangen von Ihrer Karriere her gesehen, und sicherlich auch im Inneren dem Konzern zur Loyalität verpflichtet. Was was für Sie der entscheidende Moment, der entscheidende Impuls, um zum Whistleblower zu werden?
Woodford: Also für mich besteht Loyalität eben auch darin, wenn etwas wirklich falsch läuft, und wir reden hier von zwei Milliarden Dollar. Das dann auch aufzudecken, das gehört für mich zur Loyalität hinzu. Ansonsten würde man sich ja eher der japanischen Definition von Loyalität anschließen, die eher in dem Fall bedeuten würde, dass ich zum Kompagnon geworden wäre. Und mir war eigentlich klar an diesem Tag, wo ich mit Kikukawa und Mori darüber redete, dass da was nicht stimmte und dass ich nur zwei Möglichkeiten hatte: Entweder ich würde das aufdecken, oder ich würde mich mitschuldig machen.
Hanselmann: Tsuyoshi Kikukawa war zu der Zeit der Herrscher über den Konzern, der Patriarch. Sie hatten ja noch die Vorstellung, Olympus von innen zu reformieren. Welche Rolle spielte Kikukawa Ihnen gegenüber?
Woodford: Nun, meine Meinung über ihn hat sich wirklich von dem Moment an geändert, wo ich dann auch wirklich in Japan gelebt habe, weil Kikukawa war eigentlich mein Förderer gewesen, er hatte mich in Amerika gefördert, er hatte mich in Europa gefördert, er hat mich zum Präsidenten der gesamten Olympus-Gruppe gemacht, und er war so was wie ein Lieblingsonkel: Er war immer freundlich, er war immer zuvorkommend, er hat immer gelächelt. Und ich habe ihm überhaupt nicht zugetraut, dass er so etwa in sich haben könnte, dass er zu so einem Riesenbetrug fähig wäre.
Als ich dann aber nach Japan kam und merkte, wie man ihn dort behandelt, dass er wie ein Kaiser dort ist, da habe ich dann schon einen großen Unterschied gemerkt – und ich war anscheinend auch der Erste, der ihn wirklich herausgefordert hat, der ihm widersprochen hat, wenn es um wirtschaftliche Fragen ging. Und in Tokio hat er sich wirklich wie ein Gott aufgeführt und wurde auch wie ein Gott behandelt.
Hanselmann: Wie hat dieser Gott reagiert auf Ihr Whistleblowing?
"Es war wirklich offener Hass"
Woodford: Es war wirklich offener Hass, der mir plötzlich entgegenschlug, und das war eine so unerwartete Veränderung, die ich da wahrnahm an diesem Mann, das war wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und er ist ein so egotistischer, diktatorischer Mensch und hatte jeglichen Bezug zur Realität verloren. Auch die Art und Weise, wie er von seinen Untergebenen, die ja auch alle hohe Posten hatten bei Olympus, behandelt wurde, haben eigentlich nur dazu beigetragen, dass er sich eben so aufgeführt hat. Aber bis heute ist es für mich sehr, sehr verstörend, dass ich von diesem Mann diese doch sehr dunkle Seite gesehen habe.
Hanselmann: Wie hat man innerhalb des Konzerns Olympus reagiert auf Ihr Whistleblowing? Wie ist man mit Ihnen umgegangen?
Woodford: Also der große Schock, den ich dann wirklich erlitten habe, der ging nicht von den japanischen Kollegen aus, die waren sozusagen nicht die Bösen, sondern ich war wirklich geschockt, wie Leute in Hamburg, in Großbritannien und in den USA reagiert haben! Und das waren wirklich Leute mit einer 30-, 40-jährigen Berufserfahrung, die wirklich hohe Posten innehatten und die mich unterstützt hatten bis zu dem Punkt, wo ich entlassen wurde, weil ich hatte wirklich Beweise, ich hatte ganz schlagkräftige Beweise, und nach meiner überraschenden Entlassung haben sie sich sofort zurückgezogen, sie haben mich sofort fallenlassen.
Und in meiner Arroganz habe ich das irgendwo nicht bemerkt, weil wie gesagt, es handelt sich hier nicht etwa um irgendwelche Jungspunde, die noch ein Haus abzubezahlen hatten, sondern das waren Leute, die hatten meine Kinder in den Armen gehalten, die kannte ich seit über 30 Jahren, und die waren in einem reifen Alter, wo ich das niemals erwartet hätte. Aber ich habe dann eben gemerkt, dass Menschen nicht bösartig sind, aber in Konflikten einfach nur noch an sich denken und noch an den innersten Teil ihrer Familie, und alles andere ist ihnen nur noch egal, das wünschen sie sich nur noch zur Hölle. Und das war wirklich eine sehr, sehr schmerzvolle Lektion, die mir da erteilt worden ist, weil ich bin eigentlich jemand, der sehr positiv auf die Menschen und die Welt blickt, und das ist mir nach diesen Ereignissen nicht mehr möglich.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das „Radiofeuilleton“, ich spreche mit Michael Woodford, er hat seine Geschichte als Whistleblower beim japanischen Konzern Olympus in einem Buch niedergeschrieben, Titel: „Enthüllung – Kaltgestellt, gejagt, bedroht“. Mr. Woodford, ein Kapitel Ihres spannenden Buches haben Sie mit „Flucht“ überschrieben. Vor wem und wovor mussten Sie flüchten?
Woodford: Nun, Facta, diese kleine, sehr engagierte japanische Zeitschrift, die den Skandal ins Rollen gebracht hatte, hat ja dann noch einmal am 23. September 2011 nachgelegt mit Details und hat eben auch geschrieben, dass ein Teil dieses Geldes wohl an sehr dubiose Herrschaften gegangen ist. Und die „New York Times“ hat dann in einem sehr großen Artikel im Wirtschaftsteil das noch einmal mit aufgegriffen und beispielsweise ein Memo abgefangen, was zwischen dem Staatsanwalt und der Polizei zirkulierte. Es ist niemals bewiesen worden, dass die Yakuza in irgendeiner Form von diesem Korruptionsskandal profitiert hat, aber es sind schon Leute für weit weniger als 1,7 Milliarden Dollar umgelegt worden.
Und halten Sie mal kurz meine Hand, Matthias – Sie sehen, die ist ganz kalt. Also ich habe immer noch Angst, wenn ich nur daran denke, weil ich war eigentlich jemand, der war ein Businessman, und plötzlich hatte ich das Gefühl, ich sei der Protagonist in einem Krimi von John Grisham.
Hanselmann: Ist Ihre Familie davon beeinträchtigt worden und wenn ja, in welcher Form?
"Vor allem meine Frau hat gelitten"
Woodford: Na, vor allen Dingen meine Frau hat gelitten, weil als ich wieder zurückkehrte nach London, habe ich von morgens bis abends erst einmal Interviews gegeben. Meine Frau hat diese Interviews streckenweise koordiniert, aber wir haben uns einfach nicht sicher mehr gefühlt, und ich bin dann zur Polizei gegangen und habe auch gesagt, ich habe Angst, dass mich die Yakuza ermordet, und daraufhin hat man mich wirklich beschützt. Es sind wirklich Polizisten gekommen mit Maschinengewehren, und ich dachte eigentlich, ich wohne in einer sehr sicheren Wohnung, aber dann kamen eben zwei Polizisten, die sagten, also die Tür muss noch verstärkt werden und Sie müssen den Briefkasten abschaffen.
Und meine Frau fragte nur: Warum können wir den Briefkasten nicht behalten? Und man hat uns eben aufgeklärt, dass man das eben auch benutzen könnte, um da Sprengstoff einzuführen. Und da habe ich im Gesicht meiner Frau wirklich gesehen, welche Ängste das auslöste, und sie hat wirklich seitdem Albträume und sie schreit richtig laut in der Nacht. Das hat sie eben auch sehr, sehr beeindruckt.
Hanselmann: Nach all dem, was Sie erlebt haben und was Sie uns berichtet haben oder auch in Ihrem Buch niedergeschrieben haben, staune ich einfach darüber, dass Sie immer noch die Vorstellung haben, dass in dieser Wirtschaftswelt etwas nach ethisch sauberen Grundsätzen vonstatten gehen kann. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie komplett desillusioniert sind.
Woodford: Also es ist nicht so, dass ich glaube, dass sich die Wirtschaftswelt jetzt verändern wird von heute auf morgen. Mir geht es darum, dass es Regularien gibt, dass es Gesetze gibt, dass zum Beispiel auch Whistleblower besser geschützt werden. Und das ist es, für das ich kämpfe. Und die Selbstregulierung, an die glaube ich nicht, ich glaube nicht an die Selbstregulierung von großen Firmen, von großen Konzernen. Und deswegen müssen Gesetze her, um auch die Medien beispielsweise zu kontrollieren, um Fußball zu kontrollieren oder eben, um Konzerne zu kontrollieren. Das ist ganz wichtig, dass das von außen geschieht, weil an Selbstregulierung glaube ich nicht.
Hanselmann: Michael Woodford, ein Mann gegen einen gigantischen japanischen Konzern, sein Buch „Enthüllung – Kaltgestellt, gejagt, bedroht“ ist erschienen bei Wiley und ab heute im Buchhandel erhältlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eige