Roman

Verwirrend, düster, mutig

Der Autor Martin Becker
Der Autor Martin Becker © dpa / picture alliance
Von Manuela Reichart · 26.05.2014
Eines langen Tages Reise durch die Nacht: In seinem Romandebüt schickt Martin Becker einen jungen Mann zurück in seine Heimatstadt, um Spuren und Erinnerungen zu beseitigen.
Vor einem Jahr starb der Vater, nun ist der Sohn zurückgekehrt in die kleine Stadt, um das Haus seiner Eltern zu verkaufen. Es muss leer geräumt, besenrein werden, eine Entrümpelungsfirma ist beauftragt. Er sitzt im Vorgarten und sieht den drei stummen Arbeitern zu, gibt Anweisungen: "Was Ihnen persönlich erscheint, das verbrennen Sie. Räumen Sie es in Kartons, bringen Sie es in den Garten, zünden Sie es an." Mit dieser eindrücklichen Szene beginnt der Roman. Die Männer wollen den Anweisungen nicht einfach folgen, sie glauben nicht, dass ein Mensch ohne Erinnerungsstücke auskommen kann, wenn er weiter leben will.
Martin Becker erzählt eine eindringliche Nachtgeschichte. Der Protagonist hat den Tod des Vaters nicht verwunden, er kommt zurück - und will eine alte Frau umbringen. Das Haus verkaufen, einen unerklärlichen Mord begehen und dann schnell wieder verschwinden: das sind seine Vorhaben. Er kann nicht schlafen, er geht ins Bordell, er freundet sich mit dem seltsamen Portier seines Hotels an, er trifft einen Freund aus Kindertagen und verliebt sich in eine schöne junge Frau mit traurigen Augen. Dadurch wird alles noch düsterer.
Sprünge in der Zeit und den Emotionen
Der Autor sammelt Geschichten und Figuren, schert sich nicht um Stringenz oder Logik, springt herum in Zeiten und Gefühlen. Da taucht als leuchtendes Versprechen ein offenbar von allen Einwohnern erwarteter Großherzog auf, und während man sich angesichts dieser aus der Zeit gefallenen Figur noch die Augen reibt, sitzt der adlige Herr in einem Hinterzimmer des Gasthauses und sieht aus wie eine Operettencharge.
Immer wieder geht es um die furchtbare Nacht im Krankenhaus, in der der Vater starb und der Sohn nicht wusste, wie er sich verhalten, was er fühlen sollte, und es geht um all die Nächte in der Heimatstadt, die der junge Mann fliehen will, vor der er sich hüten muss. Dass dieser Protagonist nicht bei Trost ist, dass er den Verstand verloren zu haben scheint, wird auch dem Autor immer deutlicher, der sich einmischt in den Ablauf seiner Geschichte, interveniert und kommentiert, sich an uns wendet und uns zu Komplizen der Geschichte macht, wenn er etwa für einen kurzen Augenblick einen Bruder einführt, damit die Szene am Totenbett des Vaters nicht allzu unerträglich wird in ihrer Einsamkeit und Tristesse.
Vor sieben Jahren erschien ein Band mit Erzählungen des 1982 in Plettenberg geborenen, in Leipzig lebenden Autors. Sein erster Roman ist originell und verwirrend, düster und mutig: Eine Nachtgeschichte der besonderen Art.

Martin Becker: Der Rest der Nacht
Luchterhand Verlag, München, 2014
208 Seiten, 19,99 Euro