Roman

Unbändige Lust an Abschweifung

Zwei Restauratoren vor dem Gemälde "Caritas Romana" von Peter Paul Rubens.
Rubens' Bild "Caritas romana“ zeigt einen alten Mann, der von einer jungen Frau gestillt wird. Den Regisseur im Buch erinnert es an eine Filmszene, wegen der ein früheres Projekt platzte. © picture alliance / dpa / DB LWL
Von Sigrid Brinkmann · 23.12.2013
Von der Entzweiung zwischen Regisseur und Drehbuchschreiber über eine frivole Filmszene erzählt Abraham B. Jehoschuas Buch. Er meditiert darüber, wohin die Kunst kommt, wenn man sich einer Idee kompromisslos verpflichtet.
Der israelische Filmregisseur Jair Moses reist zu einer Retrospektive seines Schaffens in die spanische Pilgerstadt Santiago de Compostela. Begleitet wird er von seiner ehemaligen Gefährtin Ruth, die in seinen ersten Filmen Hauptrollen gespielt hatte. Eine Gemäldereproduktion an der Wand des Hotelzimmers ruft in Moses Erinnerungen an ein aufgegebenes Filmprojekt und das radikale Zerwürfnis mit dem einstigen Drehbuchautor und engen Freund Trigano wach.
Das "Caritas romana“ betitelte Bild zeigt einen gefesselten, halb entblößten, sehnigen alten Mann, der im Dunkel von einer jungen Frau gestillt wird. Ruth, die seinerzeit mit Trigano liiert war, sollte im Film einem Bettler am Straßenrand ihre Brust geben, doch weil sie sich nicht überwinden konnte, die von ihr als frivol und erniedrigend empfundene Szene zu spielen, wurde das ganze Vorhaben verworfen und die Liaison mit dem Drehbuchautor gleichfalls beendet. Die Frage, ob Trigano das mythologisch aufgeladene Gemälde gekannt hatte oder nicht, weckt in Jair Moses Erinnerungen an die Jahre vor der Entzweiung mit dem Drehbuchschreiber und leisen Unmut gegenüber Ruth, weil das Bild in ihr keinerlei sichtbare Emotion wachruft.
Abraham B. Jehoschua hat einen tragikomischen Roman geschrieben. Die lethargisch gewordene Filmschönheit Ruth hat den schlagfertigen und zur Eitelkeit neigenden Jair Moses noch immer in der Hand. Auch der abwesende Trigano erweist sich als Meister der Manipulation: Im Verborgenen hat er die Retrospektive in Spanien veranlasst und die Filme absichtsvoll ausgesucht. Typisch für den Romancier ist die unbändige Lust an der Abschweifung. So erzählt Jehoschua mehrere fiktive Filme nach und reflektiert ihre zeitbezogene Aussagekraft. Ironische Einschübe entschädigen für gewisse epische Längen und die überzogene Liebe zum Detail.
Glanzpunkt des Epos: Priester auf Büßerbänkchen
Jehoschua nutzt den Plot, um darüber zu meditieren, wohin die Kunst kommt, wenn man sich wie der Drehbuchautor einer Idee kompromisslos verpflichtet. Wer sich als Regisseur allein dem Empfinden der Schauspieler anschließt, kann ebenfalls nicht bestehen. Nebenbei spielt Jehoschua hintersinnig mit der nachvollziehbaren und zugleich lächerlichen Hoffnung von Künstlern, dass ihr Schaffen sie unsterblich mache. Zu den Glanzpunkten des Epos gehört die Beichte des jüdischen Regisseurs in einer stillen Kapelle. Der Atheist Moses trifft auf einen dominikanischen Mönch, der sein eigenes Verlangen nach Subversion endlich ausschöpfen kann, indem er Moses auf den Stuhl des Priesters bugsiert und dessen Beichte, seinerseits auf dem Büßerbänkchen kniend, anhört. Es wird ein Gespräch über Werktreue und Liebe.
Man ahnt, dass Moses‘ Beichte ein versteckter Makel anhaftet. Dieser zeigt sich in seiner Unfähigkeit, in realen Menschen etwas anderes als Filmfiguren zu sehen. Kann man oder muss man Verantwortung tragen für Figuren, die man ins Leben rief? Zielstrebig und mit Raffinesse erzwingt Abraham B. Jehoschua eine Wiederbegegnung mit dem Kontrahenten, und wir verstehen, auf welche Botschaft die Geschichte von der "spanischen Barmherzigkeit“ hinausläuft. An menschlicher Aussöhnung sollte jedem gelegen sein, und uneigennütziges Handeln ist zweifelsohne lobenswert oder bewunderungswürdig, aber erzwingen kann man nichts von beidem.

Abraham B. Jehoschua: Spanische Barmherzigkeit
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
477 Seiten, 26,95 Euro

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