Roman über den Klerus und Rom

Hinter den Kulissen des Vatikans

Besprochen von Michael Opitz · 19.11.2013
Ein deutscher Fremdenführer begegnet in einer evangelischen Kirche in Rom dem Papst. Diese Begegnung löst bei ihm ein Gedankenspiel über die dunklen Kapitel der Kirchengeschichte aus, etwa über die Rolle des Vatikans während des Holocausts. In seinem Roman zeigt sich der Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius als ausgewiesener Kenner der Stadt Rom.
Damit hat der frühpensionierte Archäologe, der im Zentrum von Delius’ „Die linke Hand des Papstes“ steht, nicht gerechnet: Als er eine in der Via Sicilia gelegene evangelische Kirche besucht, begegnet er dem Papst. Dem aus Bremen stammenden Beamtensohn, der in Rom als Fremdenführer arbeitet, bietet sich so die überraschende Möglichkeit, den Pontifex aus nächster Nähe zu beobachten, wobei ihn besonders die Hände des Oberhauptes der katholischen Kirche interessieren.
Mit archäologisch geschultem Blick nähert er sich den Händen, um sie dann, als hätte er es mit einem außergewöhnlichen Fundstück zu tun, Schicht für Schicht freizulegen. Dabei geht er mit äußerster Sorgfalt vor, sodass ihm auch ein leichtes Zucken der Papsthand auffällt. Die Handbeobachtungen werden zu Auslösern von Gedankenspielen, die bis in die Zeit von Augustinus führen. Zunächst aber fällt dem namenlos bleibenden Erzähler an den Händen des Papstes auf, dass es „Schreibhände“ sind.
Der Papst weilt nicht zum ersten Mal in dieser Kirche. Delius’ Erzähler erinnert sich daran, dass der Papst diese Kirche in offizieller Mission schon einmal besuchte. Nun aber ist er als Privatperson in einem Gotteshaus der evangelischen Kirche, die keinen Papst braucht, weil sie einen Mann wie Luther hat, der einst dem Papst die Stirn geboten hatte. Wäre es nicht aber nicht die vordringlichste Aufgabe des Papstes – so fragt sich der Erzähler –, jenen die Stirn zu bieten, die verachten, wofür er als oberster Dienstherr der katholischen Kirche steht?
Kein schmeichelhaftes Bild der ewigen Stadt
Nur fünf, eventuell auch acht Minuten hält sich der Erzähler an diesem Märzsonntag des Jahres 2011 in der Kirche auf. Aber in diesen wenigen Minuten machen sich die Gedanken des Fremdenführers auf in die Vergangenheit, wobei an Ereignisse erinnert wird, die eines Handzeichens des Papstes bedurft hätten. Der Papst schritt nicht ein, als die römischen Juden 1943 deportiert wurden. Der Heilige Stuhl reagierte auch nicht, als der libysche Diktator Gadaffi auf Einladung Berlusconis zu einem Staatsbesuch in Rom weilte und das Christentum verhöhnte. Der Papst schwieg. Nicht einmal eine „diktierte Ohrfeige“ teilte er aus. Was aber geht im Kopf des Papstes vor, wenn seine Hand zuckt? Rebelliert die Hand aus einem Reflex heraus?
Ausgehend von den Papsthänden kommt Delius in seinem Buch auf Ereignisse der Kirchengeschichte zu sprechen, die die Kirche gern im Dunkeln lassen würde. Delius teilt mit seiner Figur das Interesse am Freilegen – beide sind „Oberflächenkratzer“. Neben dem vergangenen Rom beschreibt Delius auch das gegenwärtige. Der Autor, der hinter die Kulissen des Vatikans und die der ewigen Stadt schaut, entwirft kein schmeichelhaftes Bild der ewigen Stadt.
Er liegt ihr nicht zu Füßen, sondern indem er sie herausfordert, begegnet er ihr auf Augenhöhe. Dieser in der Kirche sitzende Fremdenführer bringt alle Voraussetzungen mit, die einen Flaneur auszeichnen. Er ist in Rom zu Hause und kennt die Stadt wie seine Westentasche. Von den Flaneuren alten Schlages unterscheidet ihn allerdings, dass er nur in Gedanken unterwegs ist. Delius erweist sich mit diesem Buch, das einen mitnimmt nach Rom und durch die Geschichte, als genuiner Fremdenführer.

Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013
123 Seiten, 16,95 Euro