Roman

Symbolisches Eiland

Luftaufnahme der Pfaueninsel im Berliner Bezirk Zehlendorf am 16.04.2007.
Schauplatz von "Pfaueninsel" ist die die gleichnamige Insel in der Havel - damals vor den Toren Berlins. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Helmut Böttiger · 02.10.2014
Kleinwuchs, Inzest, Dreiecksverhältnis. Thomas Hettches "Pfaueninsel" reflektiert augenzwinkernd den Trend des 19. Jahrhunderts, auszumerzen, was nicht der Norm entspricht. Ein Roman als historisches Kleinod.
Thomas Hettche gilt als avancierter, theorieversierter Autor, der schon einige Romane auf einer formal sehr ambitionierten Höhe der Zeit vorgelegt hat. Jetzt überrascht er durch einen auf den ersten Blick klassisch erzählten historischen Roman: "Pfaueninsel". Schauplatz ist die gleichnamige Insel in der Havel, vor den Toren Berlins, auf der Friedrich Wilhelm II. 1794 ein Lustschlösschen für sich und seine Geliebte Wilhelmine Encke errichtet hat. In dieser Sphäre zwischen unmittelbarer Naturwahrnehmung und historisch ziselierter Künstlichkeit wächst das kleinwüchsige Geschwisterpärchen Marie und Christian auf - Anlass für raffinierte Exkursionen in die Diskurswelten von früher Modernisierung und Gender-Problematiken.
Anstoß für das sich entspinnende Geflecht aus Handlung und Reflexion ist der Ausruf der schönen Königin Luise, als sie den Zwergen Christian zufällig im Gebüsch der Pfaueninsel erblickt: "Monster!" Alles, was nicht der Norm entspricht, vor allem derjenigen für Schönheit und Ebenmaß, wird im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgemerzt. Die Pfaueninsel mit ihren exotischen Tieren, den Menagerien, dem Palmenhaus und den üppigen Gärten steht symbolisch dafür. Die Natur wird von Maschinen, von Kunst und Vermessung zurechtgestutzt.
Eleganter Märchen- und Mythenton
Hettche wäre nicht Hettche, wenn er in diese in elegantem Märchen- und Mythenton erzählte Geschichte nicht auch abgründige erotische Motive einbauen würde. Das Dreiecksverhältnis zwischen dem inzestuös verbundenen Geschwisterpaar und dem Gärtner Gustav entbehrt nicht vielfältiger Spiegelungen und Entgrenzungen. Der berühmte Gartenarchitekt Lenné tritt hier als unheilvoller Vorbote der Technisierung und Ausmerzung des 20. Jahrhunderts auf. Hettche hat mit diesem Text ein historisches Kleinod zugeschliffen, das gekonnt mit dem preußischen Sehnsuchtsmotiv der Pfaueninsel spielt und damit auch auf eine Leerstelle der Gegenwart zielt. Der herrschaftlich-ornamentale Reiz der Pfaueninsel verfiel nach 1880, und dies ist wie ein Lehrstück: Die Innovationen sinken als Mode zurück ins Vergessen. Ein kunstvoll verspielter, augenzwinkernder Roman.

Thomas Hettche: Pfaueninsel
Roman
Verlag Kiepenheuer &Witsch, Köln 2014
352 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema