Roman

Panorama des 20. Jahrhunderts

Von Olga Hochweis · 06.03.2014
Ost und West, Glück und Tragödien: Jean-Michel Guenassia erzählt die Geschichte eines Pragers in der Welt. Einige Passagen des Romans sind reichlich verkitscht. Dennoch hat man den Protagonisten am Ende ins Herz geschlossen.
Der Protagonist des Romans, Josef Kaplan, trägt dieselben Initialen wie Josef K. aus Franz Kafkas Fragment "Der Prozess". Wie der Schriftsteller stammt Kaplan aus einer Prager jüdischen Familie. Immer wieder wird Josef Kaplan im Laufe seines langen Lebens auf die Parallele angesprochen und thematisiert sie markant auch selbst. Das Buch endet mit seinem Tagebucheintrag im April 2010, seinem 100.Geburtstag:
"Vor dem Tod habe ich ebenso wenig Angst, wie ich Angst vor dem Leben hatte. Ich habe meinen Fluch überwunden. Josef K. war eine Figur von Kafka. Er ist nicht ich. Ich habe nichts mit ihm zu tun"
Wie ein großer Gegenentwurf zu Franz K. liest sich die Biografie des Mediziners Josef Kaplan. Allen Brüchen und Tragödien widersteht er und lauscht zeitlebens, wie zum Trost, den melancholischen Tangos von Carlos Gardel. Chronologisch, aber uneinheitlich akzentuiert, erzählt Guenassia die Geschichte eines Pragers in der Welt. Ost und West, Glück und Tragödien werden über ein Jahrhundert hinweg miteinander verschränkt.
Unbeschwert die frühen 1930er-Jahre in Prag, als der Jung-Sozialist und Bonvivant jungen Damen mit seinen vollendeten Tanzkünsten den Kopf verdreht. eine weitere Station ist Algerien, am Institut Pasteur in Algier, wo Kaplan an lebensrettenden Impfwirkstoffen arbeitet. Es folgt die Begegnung mit Christine, Schauspielerin und die Lebensgefährtin seines neuen besten Freundes Maurice. Kultur, Musik, gemeinsame Restaurantbesuche - dem privilegierten Leben in der kosmopolitischen algerischen Hauptstadt setzt der Krieg ein abruptes Ende. Kaplan muss als Jude das Institut verlassen und taucht unter in einer medizinischen Versuchsstation fernab der Zivilisation.
Prag bleibt nur eine blasse Kulisse
Nach Kriegsende folgt die Rückkehr nach Algier und schließlich nach Prag, gemeinsam mit Christine, seiner neuen Liebe, die ihm auch aus politischer Überzeugung in die fremde Welt folgt. Kaplans Vater wurde von den Nazis ermordet, eine neue Familie entsteht, zwei Kinder werden geboren. Die anfängliche Idylle beginnt zu bröckeln mit dem anti-jüdischen Slánský-Prozess und zunehmender persönlicher Desillusionierung.
Von einer Reise nach Frankreich mit dem gemeinsamen Sohn Martin kehrt Christine nicht mehr zurück in die Tschechoslowakei. Nach 1989 gibt es mit Martin ein trauriges Wiedersehen in Frankreich. Helena, die Tochter Kaplans, erfährt nach der Wende von den politischen Machenschaften während ihrer Beziehung zu Che, der in den 60er-Jahren in der Tschechoslowakei behandelt wurde - natürlich ausgerechnet von ihrem Vater.
Der (hier nur angedeutete) Eilflug durch Ereignisse, Schauplätze und über zahllose Figuren hinweg überzeugt nicht immer. Einem starken Romanbeginn folgt eine weit weniger gute zweite Hälfte. Vor allem die atmosphärischen Beschreibungen aus Paris und den algerischen Jahren (Jean-Michel Guenassia wurde in Algier geboren) sind exzellent. Prag dagegen bleibt leider nur blasse Kulisse. Und speziell die Liebesgeschichte von Helena und Che Guevara ist reichlich verkitscht. Aber die komplexe Hauptfigur - diesen Josef K. - hat man nach 500 Seiten des Romans durchaus ins Herz geschlossen.

Jean-Michel Guenassia: Eine Liebe in Prag
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Suhrkamp Berlin
511 Seiten, 24,95 Euro

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