Roman

Einblicke in Treppenhäuser und Psychen

Von Verena Auffermann · 11.12.2013
"Ich bin's" ist eine nachdenkenswerte Geschichte über die Finten der menschlichen Psyche. Der Protagonist macht sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Freundin - und entdeckt sein Sehnsuchtsbild. Perfekt variiert die Autorin das Spiel von Realität und Täuschung.
Das Leitwort dieses kurzen Romans heißt "Irreführung“. Christa Schmidt variiert in "Ich bin’s“ das Spiel von Realität und Täuschung so perfekt, dass es auf der vorletzten Seite dieser Geschichte von Liebe, Eifersucht, Gefahr, Mord und Totschlag heißt: "Was ist passiert? Ich kann es Dir nicht sagen“.
Dabei ist vermeintlich viel geschehen. Alles läuft ab wie ein Film, auch in den drehbuchartigen Dialogen. In der Schärfe des Blicks und der Genauigkeit der Beschreibungen ist das Beschriebene im doppelten Sinn eine Innenansicht. Die Ansicht von Atelierräumen, Küchen, Treppenhäusern und einigen Berliner Szenevierteln sowie Einblicke in die Psyche von drei Personen.
Victor, ein Fotograf, fährt mit einem Drahtbügel durch den Briefkastenschlitz, um die Tür zum Atelier seiner Freundin Annusch zu öffnen. Die ist fünf Tage nach der Unterschrift unter den Mietvertrag für eine erste gemeinsame Wohnung verschwunden.
Auf ihrer Staffelei sieht Victor eine "Judith- und Holofernes-“Darstellung, gemalt von Annusch. Die Figur der Judith trägt die Züge der Malerin selbst, die Dienerin, die den kopflosen Männerkörper niederdrückt, ähnelt Annuschs Freundin Grit. Wer ist Holofernes?
Mit dieser theatralischen Eingangsszene, die jeden "Tatort“ schmücken würde, beginnt Victors verrückte Suche nach der verschwundenen Freundin. Christa Schmidt spart nicht mit Berliner Kolorit, stattet Victors Freund Lutz mit allen Klischees eines echten Berliner Kumpels aus, geizt weder mit Derbheiten noch mit überraschenden Wendungen.
Die Psychologie der Begierde
Spannung gewinnt der Roman mit dem Auftauchen einer rothaarigen Frau mit hohen Schuhen und eng gegürtetem Mantel. Diese durch die Nacht an Victors Augen vorbei stöckelnde Figur ist das Phantom, das Sehnsuchtsbild, die Andere, die Victor, dessen Suche nach Annusch ergebnislos ist, vor Augen haben wird. Und hier beginnt das eigentlich Interessante, das, was über "Tatort“ und andere Krimis hinausgeht. Die Psychologie der Begierde, die Jagd des Menschen nach einem Bild, das perfekter, reiner, weniger störanfällig ist, als die Wirklichkeit. Und da es Perfektion nicht gibt, bleibt die Rote eine Schimäre, bis am dramatischen Ende aus dem Phantom Realität wird. Es könnte alles gut werden, aber die Chancen stehen schlecht.
"Ich bin’s“ ist ein kleiner, psychologisch kluger, die Angst der Menschen, sich aneinander zu binden und sich zu vertrauen, umspielender Roman. Angst, die ausgesprochene und die unausgesprochene, ist das Thema, das Christa Schmidt mit visueller Genauigkeit und umgangssprachlicher Berliner Politur ("Deine vorgetäuschte Ruhe nervt, sagt Ricarda, ich seh’ doch, du bist kurz vor Gong!“) umsetzt.
In der ersten Hälfte wirkt das forciert, manchmal wie vorgestanzt, dieser Eindruck verliert sich mit der zunehmenden psychologischen Ernsthaftigkeit des Textes. Eine nachdenkenswerte Geschichte über die Finten der menschlichen Psyche. Vor lauter Bildern, Zeichen und Verweisen verwandelt sich die Realität in Täuschungen. Das ist raffiniert und gut gemacht. Eine anregende Studie der Gegenwart.

Christa Schmidt: "Ich bin’s“
Hanani Verlag, Berlin 2013
157 Seiten, 15,90 Euro