Roman

Ehe zu Hause, Tangoliebe nebenher

Von Gabriele von Arnim |
Der Klavierbauer Schmidt bringt vier jungen Menschen auf einem neuseeländischen Felsplateau das Tanzen bei. Lloyd Jones spürt in seinem traurig-unterhaltsamen Roman über Kontinente hinweg dem Eros des Tangos nach.
1916 hausen vier junge Leute in einer geschützten neuseeländischen Felshöhle am pazifischen Ozean. Sie haben sich versteckt vor der Welt und dem Krieg, der sie zu erfassen droht. Einsamkeit, Hitze, Meer, Hunger und Langweile bestimmen ihre Tage.
Bis der englische Klavierstimmer mit dem deutschen Namen Schmidt beginnt, ihnen auf einem Felsplateau das Tanzen beizubringen. Nicht irgendeinen Tanz lehrt er sie, sondern den Tango. Louise, das einzige Mädchen der Gruppe, tanzt mit allen. Doch nur mit Schmidt spürt sie den Eros der schleifenden Schritte und wiegenden Hüften, der schmiegenden Wangen. Das Gleichgewicht der Gruppe droht verloren zu gehen. Bis Schmidt eines Tages verschwindet.
Drei Jahre später, Louise hat inzwischen einen der Jungen aus der Höhle geheiratet und führt ein dröges Leben mit ihm, bekommt sie einen Brief von Schmidt aus Buenos Aires. Er vermisse sie so, sie möge kommen; er tanzt mit ihr in seinen Zeilen. Etwa 80 Briefe später entschließt sie sich, auf die große Reise zu gehen – und kommt zu spät. Schmidt hat das Warten nicht länger ertragen und geheiratet.
Unausweichlichkeit des Begehrens
Was als grandioses Liebesversprechen auf dem einsamen Felsplateau begann, wird nun zu einer entsagenden Liebe, die sich in Schmidts Ehegeflecht einfügen muss. Louise bleibt in Argentinien, um mit Schmidt zu tanzen.
Der neuseeländische Schriftsteller Lloyd Jones erzählt hier keine lineare Liebesgeschichte, sondern wandert mit fliegender Lust zwischen den Kontinenten und den Generationen hin und her, sucht dabei nach den Zufällen des Schicksals, den erratischen Wiederholungen von Liebesmustern, der Unausweichlichkeit des Begehrens und den oft so vagen Umrissen einer eigenen Identität.
Schmidts Enkelin Rosa, Chefin eines argentinischen Restaurants im neuseeländischen Wellington, beginnt mit ihrem Tellerwäscher im nächtlich leeren Lokal Tango zu tanzen. Und lebt alsbald, wie ihr Großvater es tat, eine Ehe zu Hause und eine Tangoliebe nebenher.
Mehr als ein Tanz
Jones, der einst als Reporter die Welt bereiste, gelingt es immer wieder, auch als Romancier, unterschiedlichste Lebenswirklichkeiten zu erzählen. Aber sich dem Kontinent Tango zuzuwenden, war selbst für den gewitzten Lloyd ein Wagnis. Denn der Tango, so sagen Kenner, sei viel mehr als ein Tanz, er sei eine Philosophie, eine Lebenshaltung, ein Amalgam aus Eros, Gesellschaft, Geschichte und Protest. Seit September 2009 gehört der Tango übrigens zum Immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO.
Lloyd kann wunderbar exzentrische Tanzszenen schreiben– doch er wagt nicht wirklich, sich der existentiellen Dringlichkeit des Tangos hinzugeben, ihn die Dramaturgie des Romans bestimmen zu lassen. Im Gegenteil. Jones benutzt den Tanz als Code, als Impuls für den Fortgang der Handlung. Das nimmt der Tango ihm übel.
Und so lesen wir bis zum Schluss einen auch in seiner Traurigkeit unterhaltsamen und schönen Roman mit dem schwebend faden Gefühl, nicht gänzlich in die Tiefe des Tanzes und des Lebens eingedrungen zu sein.

Lloyd Jones: Hier, am Ende der Welt, lernen wir tanzen
Aus dem Englischen von Grete Osterwald
Rowohlt Verlag, Reinbek 2014
302 Seiten, 19,95 Euro

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