Roman

Die Idylle und der Hass

Von Gabriele von Arnim · 06.12.2013
Was Jamaica Kincaid schreibt, das hat sie auch selbst erlebt: das Scheitern einer Ehe. Sie erzählt wortgewaltig und voller Wut von einer Liebe, die sich in Hass verwandelt.
Zehn Jahre mussten ungeduldige Leser warten, bevor Jamaica Kincaid, vielgerühmte amerikanische Autorin karibischer Herkunft, wieder einen Roman vorlegte. Die poetisch wie politisch radikale und gern provozierende Schriftstellerin zog ihre Leser, wenn sie von ihrer bitteren Kindheit und Jugend erzählte, von Rassendiskriminierung und Gewalt, in einen mäandernden Wortstrom. Schon immer sind ihre Geschichten autobiographisch grundiert gewesen.
Und auch in diesem neuen Roman hat sie erlebt, wovon sie erzählt: das Scheitern einer Ehe. Da möchte manch einer vielleicht müde abwinken und sich anderer Lektüre zuwenden und würde einen vulkanischen Wortausbruch verpassen. Denn wie Kincaid von der Liebe erzählt, die sich in Hass wandelt, von der Zärtlichkeit, die nun von Gewaltphantasien durchsetzt wird, von Täuschung und Enttäuschung, das ist wutstark und eigenwillig.
Doch während man in früheren Büchern mitgerissen wurde von Sprachfluss und Bedrängnis, wird hier die Intensität fast künstlich beschworen. Wo einst der Schmerz in den anschwellenden Satzkaskaden spürbar wurde, regiert hier eher die kleinliche Rachsucht in Sätzen, die sich oft seitenlang hinziehen, und nagt sich in die Wortgewalt hinein. Da jetzt auch ein früherer Roman Kincaids im Unionsverlag erschien, "Die Autobiografie meiner Mutter", lässt sich die Kontinuität und Diskrepanz des Schreibens dieser Autorin aufs Schönste begutachten.
Ein gewaltiger Aufschrei
Mr. und Mrs. Sweet waren von Anfang an ein ungleiches Paar. Er ein weißer Mann aus großbürgerlich intellektuellem Elternhaus. Sie ist eine braune Frau, die mit dem Bananendampfer über den Ozean gekommen war, er dagegen ein schmaler Mann und erfolgloser Komponist. Sie ist nach der Geburt der beiden Kinder verfettet und eine erfolgreiche Schriftstellerin. Die beiden leben in Vermont. In einem hübschen Haus mit dorischen Säulen. In ländlicher Idylle. Mit zwei bezaubernden Kindern. Die schöne Persephone und der junge Heracles, damit wir auch wirklich begreifen, dass wir mittendrin in einem griechischen Drama sind.
Jamaica Kincaid, geboren 1949, kam als junge Frau aus Antigua nach New York und wurde alsbald von dem legendären Chefredakteur des "New Yorker", William Shawn, entdeckt und für das berühmte Blatt unter Vertrag genommen. Von 1979 bis 2002 war sie mit Shawns Sohn Allen verheiratet, einem eher unbekannten Komponisten. Die beiden haben zwei Kinder.
Nun interessiert bei guten Büchern nicht, ob die Geschichten erfunden oder erlebt sind. Und doch gibt es in diesem Roman immer wieder das ungute Gefühl, dass wir hier unter dem Tarnmantel der Literatur eine private Abrechnung lesen. Was Kincaid natürlich vehement ablehnt. Alles, was sie schreibe sei so wahr wie unwahr, pflegt sie zu sagen. Und es ist in der Tat faszinierend, wie Kincaid fast schon parodistisch Wut, Angst und Hass der Verlassenen in Worte hämmert, schrille Bilder in mannigfacher Abwandlung glühen lässt. Die Washington Post nannte den Roman einen gewaltigen Aufschrei. Ob es auch ein großes Buch ist, möge der geneigte Leser selber entscheiden.

Jamaica Kincaid: Damals, jetzt und überhaupt
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich
Unionsverlag, Zürich 2013
218 Seiten, 19,95 Euro

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